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Yahwe Mutabo schrieb am 27.12. 2005 um 14:25:32 Uhr über

Rita

Als Jonathan Watson die Fenster seines Elternhauses im Norden von Houston mit Kreuzen aus weißem Klebeband sicherte, lag die Stadt im Pfad eines der mächtigsten je gemessenen Hurrikane, und drei Millionen Menschen waren auf der Flucht. »Rita« würde Galveston versenken, hieß es, und Houston mit Wind und Wasser verheeren. Gott helfe denen, die zurückbleiben. Gebete oder Galgenhumor.

Watson (22), Student der Politik- und Medienwissenschaften an der University of Houston, hatte die Vision, auf Planken des zerstörten Hauses in der Sintflut zu treiben. Und weil er über einen ausgeprägt skurrilen Humor und filmische Phantasie verfügt, malte er zwei Pappschilder mit Endzeitparolen, die mit als letzte versinken sollten: »Hurrikan? Welcher Hurrikan? Sollen wir uns etwa fürchtenist an der roten Haustür befestigt. »Weiß Gott nicht, daß Texaner unbesiegbar sind? Schließlich war er es doch, der uns so gemacht hat ...« ziert das Fenster nebenan. Keine zwölf Stunden nach dem Aufprall der windigen »Rita«, die Houston soweit links liegen ließ, daß es nicht einmal genug regnete, hängen Jonathan Watsons widerständige Poster in der heißen Nachmittagssonne. Wie alte Witze.

»Rita«, die Betrügerin, »Lovely Rita, Meter Maid«, die frivol mit Houston spielte, ist längst weg.
Eigentlich war sie nie da. Fast schämen sich die Leute für ausgestandene Angst und ihre verbarrikadierten Häuser. In den letzten Stunden vor dem Aufprall des Sturms bei Sabine Pass um 2.30 Uhr in der Früh stiegen in Houston auf Terrassen und in Vorgärten die ersten feuchtfröhlichen Grillpartys. Es war wie am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag, und »Rita« sollte nur noch etwas Feuerwerk liefern. Die Feiernden winkten Autofahrern zu, es gab großes Hallo und Gelächter, während im Fernsehen von Sturmböen zerzauste Reporter den Weltuntergang zu beschwören versuchten, statt ihn abzusagen. Jonathan Watson, der mit fünf Freunden, einer Flasche Scotch und einem Vorrat an Kartoffelchips in den fensterlosen, sicheren Hinterzimmern einer Borders-Buchhandlung den Sturm aussitzen wollte, vergnügte sich ein paar Stunden, das groteske Schauspiel der lokalen Fernsehsender auf der Suche nach ihrem verlorenem Hurrikan zu bezeugen. Dann gingen alle nach Hause.

Die Medienhysterie wird, neben der Massenevakuierung mit all den Schreckensgeschichten der Gestrandeten, zu den vornehmsten Erinnerungen an einen Sturm zählen, den man vergessen kann. Als längst klar war, daß Houston und Galveston verschont würden und selbst Beaumont und Port Arthur, fast 150 Kilometer östlich, glimpflich davonkommen würden, schrieen die Kabelsender noch immer um die Wette Mord und Flut. Einfach weil sie da (meist an den falschen Orten) waren und Adrenalin und Spesen verbrauchten. Es gab kein Maß mehr im Hype. Sie hatten keine Toten, keine Verzweifelten auf Dächern, keine Plünderungen. Ein zersplittertes Fenster in Galveston, eine brennende Lagerhalle, Dachschäden an einem Hotel, in dem CNN-Crews hausten, davongewehte Baseballkappen von Reportern waren die Sensationen. Nie waren Amerikas Medien so unverschämt, hilflos, lächerlich wie in der Sturmnacht an der Westseite von »Rita«.

Nicht daß es kein Leid gab, keine vernichteten Existenzen, keine Evakuierungen von aufgeschreckten alten Menschen und Patienten in Krankenhäusern der Küstenregion. Der Flammentod von 24 evakuierten alten Menschen in einem Bus wird »Rita« zugeschrieben werden. Und der Ninth Ward in New Orleans wurde nach »Katrina« zum zweiten Mal versenkt. Nach dem tödlichen Zaudern in der ersten Katastrophe mußte wohl die Überreaktion bei der ausgefallenen Katastrophe folgen. Es gab in den bangen Stunden vor dem Aufprall einige Kommentare der Politiker, die ohne ihr Verschulden, einfach weil der Sturm sich als heiße Luft erwies, zu Krisenkitsch wurden: »Seid ruhig, seid stark und betet für Texas« (Gouverneur Rick Perry) gehört dazu wie der ernstgemeinte Rat seiner Amtskollegin in Louisiana, Kathleen Blanco, sich mit wasserfester Tinte die Sozialversicherungsnummer auf die Arme zu schreiben, um wenigstens bei der Identifizierung ihrer Leiche zu helfen.


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