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Tabak ist in Europa eine relativ neue Droge, deren geschichtliche Entwicklung sowohl Austin als
auch Hess »die größte Drogenepidemie aller Zeiten« (Hess '89, S. 125 und Austin '82 S. 121)
nennen.
Ursprungsland des Tabaks ist Amerika136, und schon im Jahre der Entdeckung dieses Kontinents
wird der Tabak zum ersten Mal schriftlich von einem Europäer erwähnt: Die Tagebücher des
Columbus berichten von einer Sitte der Indianer, Rauch von Blättern zu »trinken«137.
Diese den Europäern anfangs sehr fremde Sitte wurde von ihnen sehr schnell übernommen.
Walther bemerkt, daß der Tabak wahrscheinlich durch in ihre Heimat zurückkehrende Spanier zu
Beginn des 16. Jahrhunderts nach Spanien und Portugal gelangt sei und dort vorerst nur als Heil-
pflanze bekannt geworden wäre (vgl. Walther '82, S. 377).
Das Rauchen von Tabak ist für die abendländische Welt eine völlig neue Form des Konsums. Das
läßt sich unter anderem daran erkennen, daß es bis in das 17. Jahrhundert hinein keinen eigenen
Begriff für dieses Tun gibt. Bis dahin sollte davon, wie Columbus es ja auch schon tat, als Rauch-
trinken oder Tabaktrinken gesprochen werden138.
Vom portugiesischen Hof wurde die neue Mode von Jean Nicot, der dort französischer Gesandter
war, 1559 nach Paris und von dort nach ganz Europa gebracht139. Ihm zu Ehren wurde die
Pflanze 1570 von Lièbeault Nicotiana genannt, was Linné 1737 übernahm. Als 1828 der wich-
tigste Wirkstoff des Tabaks, ein Alkaloid, isoliert wurde, nannte man ihn dementsprechend Niko-
tin140.
Tabak wurde neben seiner Funktion als Genußmittel auch als Allheilmittel und als Zierpflanze
der Oberschicht geachtet141. Anfangs unglaublich teuer (sein Gewicht wurde in Silber aufgewo-
gen142), wurde er schnell zur modischen Droge des Adels, der sich mit kostspieligem Rauchzube-
hör darzustellen suchte143.
Diese immensen Ausgaben für Tabak, die aufgrund des Monopols Spaniens im Tabakimport
wiederum beträchtliche Devisenverluste hervorriefen, waren es wohl auch, die König Jakob I. von
England 1604 zu einer der bekanntesten Streitschriften gegen den Tabakkonsum veranlaßten144.
In »The Counterblast to Tobacco« bekämpfte er das Tabakrauchen "auf der Ebene des Rassen-
und Nationalstolzes, bestritt seine medizinische Wirksamkeit und tadelte es als eine Sünde (als
'lebendiges Beispiel und Muster der Hölle') und Verderb des nationalen Wohlstands" (Austin '82,
S. 123).
Im gleichen Jahr hob er die Importzölle auf Tabak um 4000%, um ihn zu verteuern und so die
Konsumenten vom Genuß abzuhalten, aber seine medizinische Anwendung zu erlauben. Jedoch
hatte er mit diesem Vorgehen, das als erster Versuch, eine Droge indirekt zu bekämpfen, be-
zeichnet wird, keinen Erfolg145. Er bewirkte damit nur ein Ansteigen des Schmuggels, verringerte
aber in hohem Maß seine medizinische Anwendung. Tabak war nun Konsumenten aus dem Be-
reich der Medizin zu teuer, worauf sie wieder auf altbekannte Kräuter zurückgriffen, wohingegen
das Gesetz für die Adligen nur die Exklusivität dieser neuen Droge steigerte146.
Jakob I. hob dieses Gesetz vier Jahre später wieder auf, was zu einem solchen Anstieg des Imports
führte, daß 1614 viertausend Tabakgeschäfte in London ansässig waren, von denen der Staat in
Form von Abgaben Einkünfte bezog. Überdies war es den Briten gelungen, mit dem
Virginiatabak, der ab 1604 zur Verfügung stand, das spanische Monopol im Tabakhandel zu
durchbrechen. Tabak wurde im Laufe der Zeit eines der wichtigsten Anbauprodukte der engli-
schen Kolonien. Jakob I. förderte am Ende seiner Amtszeit den Tabakhandel, da die Gewinne
daraus zu einer finanziellen Säule des Staates geworden waren147.
Ähnliches ereignete sich in anderen Ländern. Meist wurden Verbote aufgehoben, nachdem sich
gezeigt hatte, daß sich aus dem Tabakhandel ein enormer Gewinn schlagen ließ, an dem der Staat
natürlich interessiert war und schließlich den Tabakhandel förderte148. "Der Prohibition folgte die
Steuerpolitik" (Hess '89, S. 127).
Angewandt bei dieser Art der Politik wurde das »Apalto-System«, wonach das Handelsmonopol
und die Verarbeitung als alleinige Rechte an Privatunternehmen vergeben wurde, die dann die
Preise bestimmten149.
Geraucht wurde der Tabak vorwiegend in der Pfeife. Hess schreibt dazu: "Das Pfeiferauchen war
zwar vom 17.-19. Jahrhundert die durchgehende Konsumform, aber gerade deshalb nicht dieje-
nige, die als die besonders auffallende die jeweilige Mode bestimmte. Das waren vielmehr - vor
allem auch durch ihre besondere Beziehung zur jeweils herrschenden sozialen Klasse - Schnupf-
tabak und Zigarre." (Hess '89, S. 127).
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