Ich habe es RTL angeboten
(Erzählung – fragmentiert, präzise, kühl. Keine Erinnerung, nur Wiederstand. Keine Stimme, aber Sprache.)
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Sie war, was man früher „vom Fach“ nannte, als ob Beruf etwas sei, das man in einer Manteltasche mit sich trug.
Ein paar Jahrzehnte lang war sie die Person, die man anrief, wenn man wusste, dass etwas auf Sendung muss, das nicht aussieht wie Fernsehen, sondern sich so anfühlt. Sie wusste, wann ein Schnitt schweigen darf, und dass ein guter Satz nicht ankommt, wenn man ihn mit Musik unterlegt.
Aber all das lag schon eine Weile zurück, als sie Silvester 1989 in Köln auf einer Party stand, in einem Altbau mit schlecht verputzten Decken, in einem Raum, der von sich selbst wusste, dass er bald ausgebaut wird.
Sie rauchte nicht. Hielt die Zigarette nur, wie man ein Signalgerät hält, das früher mal nützlich war.
Im Wohnzimmer lief RTL.
Bunt, laut, stolz auf die eigenen Schnitte.
Sie sah nicht hin.
Sie hatte es längst gesehen.
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Sie hatte ihnen etwas angeboten.
Drei Formate.
Auf einer Schreibmaschine geschrieben, mit Fingern, die schon zu viel über Dialoge gewischt hatten.
Eins über das Scheitern. Ohne Ironie.
Eins über das Gespräch. Ohne Auflösung.
Eins über das Zuschauen. Ohne Schutz.
Kein Plot.
Kein Drehbuch.
Keine Musik.
Nur Menschen.
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1999 saß sie dann in einem Büro im Kölner Mediapark, zwischen Akustikpaneelen, die Gespräche verschluckten, bevor sie überhaupt hätten wirken können.
Man hatte sie eingeladen, weil jemand in der Redaktion sich an ihren Namen erinnerte.
Nicht an ihre Arbeit. Nur den Namen.
Sie legte die Blätter auf den Tisch.
Man lobte das Layout.
Man fragte, ob es auch ein Voting gebe.
Man fragte, wer denn da „durchdreht“.
Man fragte, ob man da „emotional“ werde.
Sie sagte: nein. Man bleibt einfach.
Man verlässt den Raum nicht.
Man bleibt im Bild.
Das sei die ganze Sendung.
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2020 war sie allein.
Sie sprach seltener.
Der Fernseher lief nicht mehr.
Nicht aus Verweigerung.
Aus Müdigkeit.
Er hatte nichts mehr zu sagen.
Sie las ihre Konzepte, als lese sie fremde Protokolle.
Sie dachte manchmal, sie hätte das alles geträumt.
Dass Fernsehen einmal gewagt hatte, weniger zu senden, um mehr zu zeigen.
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Und dann, 2049,
mit 99,
saß sie in einem Pflegeheimzimmer in Köln-Zollstock, das exakt so eingerichtet war,
wie man sich das Leben einer Frau vorstellt,
deren Namen niemand mehr sucht.
Ein Pfleger fragte, ob sie Nachrichten schauen wolle.
Sie sagte, langsam, fast undeutlich:
Ich hab’s… RTL angeboten.
Er verstand sie nicht.
Oder nur halb.
Oder nur das, was seine eigene Müdigkeit hören konnte.
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Später, in der Pause, schrieb er auf sein Handy:
Zwei Menschen.
Kein Publikum.
Kamera bleibt drauf.
Gespräch. Ohne Zeit.
Vielleicht sendbar.
Er reichte es ein.
Er bekam ein Stipendium dafür.
Ein junger Produzent baute daraus ein Sendeformat.
Spartanisch. Billig.
Erfolgreich.
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Ihr Fernseher lief an dem Abend.
Zwei Menschen.
Ein Tisch.
Stille, die sich nicht erklärt.
Sie schlief.
Oder sie war schon fort.
Oder beides.
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Niemand kannte ihren Namen.
Niemand musste ihn kennen.
Aber jemand hatte etwas gesendet,
das sie gemeint hatte.
Und das war mehr,
als man von den meisten sagen kann,
die laut ins Mikro sprechen
und nie wirklich etwas sagen.
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ENDE.
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