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Heike denkt zuviel schrieb am 14.10. 2006 um 17:17:24 Uhr über

Rheinland

Rheinische Landeskunde - Das Arme Tier

Im westlichen Teil von Nordrhein-Westfalen in der Region Rheinland - in dem Land also, in dem ich geboren wurde - gibt es eine besondere Tierspezies, die ich in dieser Form noch nirgends anders in Deutschland entdecken konnte. Es ist eine Tierart, die dort jedem Menschen bekannt und vertraut ist, die sich aber vielleicht nicht weiter verbreitet hat, weil sie eine nur sehr kurze Lebensspanne hat. Zwischen etwa einer Stunde und zwei Tagen währt das Leben dieses Tierchens, dass in der Landessprache alset Erme Dier“ bezeichnet wird. Wörtlich ins Hochdeutsche übersetzt müsste man esdas arme Tiernennen - der wissenschaftliche Fachbegriff lautetdepressive Verstimmung“. Um das Wesen - und damit das in meinen Augen Besondere - dieses Tiers zu begreifen, bedarf es aber einiger Erläuterungen.

Das „Erme Dier“ ist ein frei lebendes Tier, dass sich nicht domestizieren lässt, aber die Neigung hat, sich einen Menschen zur Gesellschaft auszusuchen. Wer dieses Tierchen zu Gast hat, dem bringt es tiefgründige, traurige Gedanken, die ihn veranlassen, sich aus der lebendigen Welt um ihn herum für eine Weile zurückzuziehen in gemeinsamem Leid mit seinemArmen Tier“. Das Tier fragt nicht, wann sein Besuch genehm ist, es kommt und nimmt den Gastgeber in Anspruch solange sein kurzes Leben dauert. Das kann für den Menschen eine recht unangenehme Zeit sein, manchmal scheint diese Zeit aber auch eine Art „reinigende Kraftzu haben - und über eines kann sich der Mensch sicher sein: Die Zeit des „Ermen Dier“ ist kurz und geht vorüber.

Die Menschen, die in dem Landstrich zuhause sind, haben den Umgang mit dem Tier gelernt und auch den Umgang mit dem Mitmenschen, der gerade ein Exemplar dieser Spezies zu Gast hat. „Hesse et Erme Dier?“ (hast du das Arme Tier?) hört man öfters dort oder: „der het et Erme Dier...“ (Der hat das Arme Tier), was soviel bedeutet wie: „Lass den jetzt mal ein bisschen in Ruhe, der ist gerade mit traurigen Gedanken beschäftigt und braucht Zeit für sich selbst.“ Das, was das Tier zum echten „Ermen Dier“ macht, ist: Der Mensch mit demArmen Tierwird in Ruhe gelassen aber nicht ausgeschlossen. Er wird so wie er zur Zeit ist mitgenommen, aber es wird nichts von ihm erwartet. Denn jeder weiß: morgen kann eines der Tierchen bei mir auftauchen, und dann bin ich derjenige, der ein bisschen Rücksichtnahme braucht. Es wird kein großes „Bohai“ um das Tier gemacht, ein bisschen Schulterklopfen, ein verständnisvolles Lächeln für den Mitmenschen - dann hat er Zeit, sich mit seinem Tierchen auseinander zu setzen, bis entweder das Leben um ihn herum dem Tier den Garaus macht oder es von selbstdas Zeitliche segnet“.

Neuere Beobachtungen lassen mich vermuten, dass es dasArme Tierin Wirklichkeit überall in Deutschland, ja, überall auf der Welt gibt. Allerdings scheinen die Besonderheiten des Tiers oft nicht bekannt zu sein, und damit ist die korrekte Zuordnung erschwert. So kann es passieren, dass die Anwesenheit des Tiers weder von dem Betroffenen noch von seinen Mitmenschen erkannt wird. Das Leiden des Betroffenen wird dann vergrößert, indem man Erwartungen an ihn hat, die er - scheinbar unerklärlicherweise - nicht erfüllen kann. Oder man verlängert die unangenehme Zeit für den Betroffenen und ängstigt ihn, indem man das Tier umfangreichen Untersuchungen unterzieht in der Annahme, es handle sich um einen gefährlichen Parasitenbefall.

Ich bin der Meinung, so wie im Biologie-Unterricht Hund und Katze besprochen werden, gehört dasArme Tierfrühzeitig auf den Lehrplan in allen Schulen. Es existiert, es ist in keiner Weise vom Aussterben bedroht, und eigentlich ist es verwunderlich, dass es nicht über seine Ursprungsregion Rheinland hinaus viel weitläufiger bekannt ist. Vielleicht liegt das ja wirklich nur an dem Dialekt, den bisher keiner verstanden hat...


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