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Heynz Hyrnrysz schrieb am 4.11. 2000 um 23:26:00 Uhr über

Dachboden

Die Sonne steht hoch, die Schule ist aus. Draußen, auf dem Schulhof, warten sie schon auf mich. Sie kommen auf mich zu, umringen mich. »Knie nieder!«, ruft einer. Das ist seit einigen Tagen ihr Lieblingsspruch. Meine Angst ist groß, aber ich bleibe wie immer stehen. Vielleicht wäre es schneller vorbei, würde ich tun, was sie sagen - aber da kommt auch schon der erste Faustschlag in meine Magengrube, der Schmerz beugt mich nach vorne, ich fühle kalte Übelkeit in mir hochsteigen. Einer schubst mich von hinten, ich stolpere, falle zu Boden. Ich versuche, Dreck von meinen Kleidern fernzuhalten. Mutter wird sonst böse werden. Die Tritte, die mich jetzt treffen, spüre ich kaum noch. Irgendwann lassen sie dann von mir ab - für heute. Ich fühle etwas warmes feuchtes an meiner Wange. Blut? Nein, Spucke!

Zu Hause wasche ich mir das Gesicht, dann versuche ich, meine Kleider wieder so sauber wie möglich zu bekommen. Mutter soll nicht böse werden. Auf dem Küchentisch liegt ein Zettel, mit den üblichen Anweisungen, wie ich mein Mittagessen warm zu machen habe. Mutter ist nicht zu Hause. Sie muß arbeiten, um die Schulden bei der Bank zu bezahlen. Meine Eltern haben Schulden bei der Bank, weil sie ein Reihenmittelhaus gekauft haben, in dem wir jetzt wohnen. Dafür haben wir jetzt was Eigenes, sagt Vater immer. Nachdem ich mein aufgewärmtes Mittagessen runtergeschlungen habe, verziehe ich mich in mein sicherstes Versteck, auf den Dachboden. Dort bleibe ich und starre die rohe Ziegelwand an. »Der Dachboden ist für einen Ausbau vorgesehen«, erklärt Vater jedesmal, wenn er Besuchern das Haus zeigt, »da kann später mal der Junge reinIch bleibe auf dem Dachboden, bis Mutter kommt. Dann gibt es bald Abendbrot. Später kommt dann auch Vater von der Arbeit. Während dem Essen wird wenig gesprochen. Dann will Vater in Ruhe Zeitung lesen, dann will er Tagesschau sehen. Danach läuft der Fernseher noch weiter, um neun muß ich ins Bett.

Jahre später, der Dachboden ist inzwischen ausgebaut, Vater hat deswegen noch einen Nebenjob angenommen, findet man mich tot in einem Bahnhofsklo. Überdosis! Einen Tag nach meiner Beerdigung gehen die alte Frau Wohlmut und Frau Schmidt, die Nachbarin meiner Eltern, zusammen über den Friedhof.

»Da liegt jetzt der Sohn von meinen Nachbarn, der hat doch Drogen...«, sagt Frau Schmidt, mit der Blechgießkanne in ihrer Hand auf mein frisches Grab deutend.

»Ja, das ist die heutige Zeit. Zu unserer Zeit hätt's sowas nicht gegeben. Den jungen Leuten heutzutage geht's einfach zu gut. Die haben doch alles, da fangen die dann sowas an.«, erwidert Frau Wohlmut.

»Ja, aber für die Eltern ist es schwer

»Für die Eltern ist es schwer, ja das stimmt



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