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wuming schrieb am 2.5. 2010 um 02:02:13 Uhr über

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Fördern und Fordern einmal anders




Fördern und Fordern einmal anders
Twister (Bettina Winsemann) 01.05.2010

Das Konzept des »Fördern und Fordern« ist zum »Fordern und Fordern« geworden - statt Hilfebeantragendem gibt es den Kunden in der Servicewüste


Wenn Du zur ArGe gehst, vergiss das Gesetzbuch nicht

Seitdem mit der Agenda 2010 der Umbau des Sozialstaates legitimiert wurde, gibt es bei jenen, die die Sozialleistungen berechnen oder auszahlen, keine Hilfeempfänger mehr, sondern lediglich »Kunden«. Die Arbeits»ämter« wurden in Agenturen umgetauft und mit Hilfe von Experten wurde das Erscheinungsbild dynamisiert, z.B. veränderte man das bisher bekannte Logo der Arbeitsämter, um sich der neuen Agenda anzupassen. Das neue Logo, so hieß es von Seiten der BA, sollte, zusammen mit dem Farbleitsystem innerhalb der Broschüren, dafür stehen, dass die Bundesagentur für Arbeit sich intern gewandelt habe.


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Wir wollen damit in Summe ein klares Signal geben: Die BA öffnet sich, wird zeitgemäßer, sie arbeitet kundenorientiert und wirkungsvoller.
(Carsten Heller, Leiter Marketing und interne Kommunikation bei der BA)


Altes und neues Arbeitsamt-Logo

Zeitgleich wurde auch das Prinzip des »Fördern und Fordern« als vorgeblich echte Chance für (Langzeit)arbeitslose nach Außen kommuniziert. Seitdem die Agenda 2010 umgesetzt wurde, wurde dieses Prinzip mehr und mehr zum »Fordern und Fordern«, was gerade auch durch die Statusveränderung des Hilfeempfängers ermöglicht wurde. Die Sicht der Agentur hat sich gleichermaßen verändert, so dass der Hilfesuchende, der entweder als Kunde oder Leistungsempfänger tituliert wird, seine Ansprüche klar definieren muss, um diese befriedigt zu bekommen. In Anlehnung in Nietzsche wird oft gerne davon gesprochen, dass derjenige, der zur ArGe geht, das Gesetzbuch nicht vergessen solle.

Von der Bitte zur Forderung

Mit dieser Statusveränderung geht auch eine Veränderung der Sicht auf jene, die die ArGe aufsuchen, einher. Da sie letztendlich gezwungen sind, nicht um Hilfe zu bitten, sondern diese einzufordern, fällt es leicht, die einst als hilfebedürftig angesehenen Menschen als Fordernde zu sehen, wobei fordernd oft mit unverschämt fordernd gleichgesetzt wird, was in der öffentlichen Debatte durchaus für jene von Vorteil ist, die den Hilfebedürftigen an sich als Schmarotzer oder ähnliches erscheinen lassen wollen. Gleichermaßen wird so suggeriert, derjenige, der quasi mit dem Gesetzbuch unter dem Arm erscheine, könne sich (da anscheinend sowohl intelligent, rechtlich bewandert als auch selbstsicher genug) sicherlich auch leicht einen Arbeitsplatz suchen bzw. diesen finden, so er denn wolle. Der eher negativ besetzte Begriff des Forderns wird hier zum Synonym für eine Anspruchshaltung, ohne jedoch zu erläutern, dass dieses Fordern notwendig ist um selbst gesetzlich verankerte Leistungen zu er- und Rechte zu behalten.

Zum Vergleich:


Der Hilfebedürftige, Peter Hansen, erschien am 24.2.2001 beim Amt und bat um eine Beihilfe zur Erstausstattung seines Haushaltes nach einem Brand. (Frühere Version)




Der Kunde/Leistungsempfänger, Peter Hansen, erschien am 24.2.2001 in Begleitung zweier Zeugen bei der Agentur für Arbeit und forderte die Übernahme der Kosten einer Erstausstattung seines Haushaltes nach einem Brand. Um seiner Forderung mehr Nachdruck zu verleihen, legte er zwei Urteile vor, die die Gewährung solcher, nach einem Notfall eingetretenen, einmaligen Beihilfen eindeutig als notwendig ansahen. (Aktuelle Version)




Auch, wenn der Hilfebedürfte angesichts oftmals verloren gegangener Unterlagen, vager Aussagen usw. nicht mehr alleine den Gang zum Leistungsgewährenden unternimmt, kann dies die geschilderte Wirkung verstärken. Während derjenige, der einst um Hilfe bat, als armer, oft ohne eigene Schuld in die Notlage geratener Mensch angesehen wurde, wird der Leistungseinfordernde, der in Begleitung zweier Zeugen sowie mit Ausdrucken von Urteilen beim Leistungsträger vorstellig wird, zum Symbol für die in »spätrömischer Dekadenz« lebenden, egoistisch denkenden Menschen. Überlegungen, dass nicht jede Leistung, die möglich wäre, in Anspruch genommen werden sollten, treffen genau in diese Kerbe.

Diese Änderung in der Sicht auf diejenigen, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, war notwendig, um das Fundament für eine Abkehr Sozialstaatsprinzip zu legen. In den Köpfen der Bevölkerung musste sich die Ansicht festsetzen, dass es sich hier nur zu einem geringen Prozentsatz um Hilfebedürftige handelte, der Großteil jedoch nicht bereit war, sich den Bedingungen zu fügen, die mit der Agenda 2010 aufgestellt wurden. Hier gingen Eingriffe in die Intimsphäre des Hilfebedürftigen mit Datenschutzverletzungen und der Abkehr vom Hilfeangebotsprinzip einher. So bedarf es beispielsweise bei den Anträgen auf Hilfegewährung erst eines höchstrichterlichen Urteils, um die Pflichten der Leistungsgewährer wieder in die Gleichung einzufügen. Ähnlich den Banken hat die BA ihre Pflichten mehr und mehr auf den Kunden abgewälzt, auf dass dieser auch die möglichst umfangreiche Verantwortung trägt. Das bedeutet, dass nicht der Leistungsgewährende Hilfe offeriert, sondern der Kunde ein solches Angebot explizit, unter Berücksichtigung möglichst vieler Winkelzüge und Schlupflöcher, einholen muss. Für die Hilfebedürftigen, die weder über das Wissen noch über den Mut zum Fordern verfügen, ergibt sich damit das Mauerblümchensyndrom: Sie bleiben beim Tanz um die Leistungsgewährung außen vor.

Oft vorkommende Schikanen haben hier noch zusätzlich dazu beigetragen, dass Menschen, denen Sozialleistungen sogar zuständen, auf diese verzichten - hier steht aber keineswegs der heroische Verzicht im Vordergrund, sondern die Angst, einer Behandlung ausgesetzt zu werden, die auf die Psyche negative Auswirkungen hat. Für die »Fördern und Fordern«-Apologeten, die selbstverständlich hinnehmen, dass Sozialleistungen mit einer Gegenleistung des Hilfebedürftigen einhergehen (welche wiederum nicht selten in der Aufgabe der Privatsphäre besteht) ist dies eine Situation, in der sie nur gewinnen können. Zum einen liefern diejenigen, die aus den obigen Gründen auf Leistungen verzichten, Argumente für die »offensichtlich-geht-es-ja-auch-ohne-diese-Leistungen«-Debatte, zum anderen können sie als Symbol für diejenigen dienen, die nicht der »Mitnahmementalität der Fordernden« anhängen.

Die legitime Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die dank der Verantwortungsabgabe der Leistungsgewährer nur noch als Ergebnis des Forderns möglich ist, wird somit immer negativer bewertet. Und dies ist durchaus gewollt - nur auf diese Weise kann der Sozialstaat so umgebaut werden, dass er letztendlich nur noch ein rudimentäres Existenzminimum anbietet, das nicht einmal in finanzieller Form geleistet werden muss. Und für ein Heer von Niedriglohn- bis Kostenlosarbeitern, welche auch die Arbeitsplätze bedrohen, die derzeit noch am Rande eines Mindestlohnes bezahlt werden. Es ist davon auszugehen, dass nach den Vorstößen der Zeitarbeitsbranche und Pflegedienstbranche, der Ruf nach dem Einsatz von ALG-II-Empfängern/Langzeitarbeitslosen auch in Privathaushalten erneut erschallen wird. Selbstverständlich zu Günstiglöhnen.





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