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upsidedown schrieb am 29.6. 2010 um 10:12:17 Uhr über

Leberegel

Oder auch »Dicrocoelium dendriticum«, oder auch »Der Sinn des Lebens«?

Als an jenem frühen Morgen die Sommersonne noch tief über der Wiese stand, und die feine Mischung aus klarer, frischer Luft, dem Duft der Blumen, dem leisen Rauschen der Blätter und die Aufmerksamkeit für einen unscheinbaren Falter noch nicht von dem Lärm von Maschinen, touristisch eingeschleppten Hunden und dem Hämmern im eigenen Kopf überstrahlt wurde, war weder der Schnecke, der Kuh, noch er Ameise klar, dass sie Teil eines ganzen sind, einander zugehörig, dazu verdammt, einer übergeordneten Regel zu folgen.

Auch der Wurm tat nur sein Werk, so wie er es jeden Morgen und jeden Abend tut. Er denkt nicht an die Ameise, so wie diese nicht an die Schnecke denkt. Und auch die Kuh ist nicht zu überzeugen von den anderen.

Als an diesem Morgen die Sonne tief über der Wiese dieser Lichtung scheint ist niemandem klar, dass eine Ameise fehlt. Es fehlen jeden Tag Ameisen. Sie verlaufen sich, werden versehentlich zertreten oder sterben einfach so.

Auch die Ameise hatte nicht ans Sterben gedacht. Nur an eines. An diesen unstillbaren Drang, einen Grashalm zu erklimmen, in der lauen Sommernacht, dem Mond entgegen. Und dort still wackelnd, zu verharren.

Es kam einfach eines Tages, als sie, so wie sie es oft tut, ein wenig dem köstlichen Schleimballen der Landschnecke kostete, die auf den schönen Namen Zebrina oder vielleicht Helicella hörte, was keine Rolle spielt, denn so heißen viele Schnecken hier.
Es dauerte nicht lange, und da war er da. Dieser Drang. Immer wenn die Sonne unterging, überfiel es die Ameise und auf dem Heimweg, auf den sich alle Ameisen machten, schlich sie sich heimlich zur Seite, suchte nach dem allerhöchsten Grashalm, erklomm diesen, immer wieder dem Mond entgegen, bis ganz hoch an die Spitze und verharrte dort leise wiegend im Wind.

Es war mehr ein Zufall, aber doch unvermeidbar, dass auch an dieser Stelle dieser Wiese eine Kuh fraß, getrieben von ihrem auch nächtlich währenden Hunger, und die Ameise wenn auch schnelles Opfer der Kuh wurde.

Die Kuh ihrerseits merkte gar nichts. Es gab keinen Vorfall und auch keinen Kollateralschaden zu notieren, keine Opfer. Auch war es für sie erstmal nicht von Bedeutung, dass sich dieser sehnliche Trieb der Ameise, nun in ihr befand, gleich dem Totenkult einiger Völker, mit den Überresten eines Toten seine Seele aufzunehmen, wie ein Parasit, wie ein Alien, der ein böses Ei in Dir ablegt.
Und doch war es nur ein kleines unschuldiges Kind, ein noch ungeborenes, Metazekarie getauft, das nun seinen aufgetragenen Weg geht, gleich uns allen, die wir geboren werden und sterben, töten und getötet werden, fressen und gefressen werden und uns dabei nicht darum scheren, wie man uns heißt und was wir sind, und exzystiert zu einem jungen Burschen, kraftvoll, der sich seinen schwierigen Weg bahnt, so wie wir alle, egal ob man uns Menschen, Kühe oder Parasiten heißt. So heißt er nun junger Leberegal und sucht sich seinen Weg dorthin.

Hungrig und pubertierend, träumt er von den Gallengängen der Leber, so wie wir von Sex am Kaminfeuer, dessen Holz wir aus Bäumen schlugen, deren eigenes und all jenes Leben, das an ihnen hängt, nicht zu erkennen vermochten, vorher ein Ripeyesteak aßen, das ein Bulle war, zuvor ein niedlich Kalb, dass das Pech oder Glück hatte, nicht Kuh zu sein, um später einmal in nicht mehr als sechs, vielleicht sieben, maximal aber 10 Lactationen, gleichmaßen Trächtigkeiten, egal ob durch einen Bullen im Natursprung im Stall oder durch die kunststoffen behandschuhten Hände eines Tierarztes inseminiert zu werden.

Ewig fortsetzbar wäre es, doch denken wir nicht daran, da es nicht unser Auftrag ist, daran zu denken, so wie der adulte Leberegel an nichts als seinen Auftrag denkt, frisst und sich vermehrt, bis schließlich seine Kinder in Eiern geboren werden und aus der Leber in den Stuhl der Kuh wieder auf die morgendliche Sommerwiese an das Licht der Sonne gelangen, wo von ihnen keine Ameise, keine Kuh und keine Schnecke wissen.

Und so wie an jedem Morgen, windet sich Zebrina, die Landschnecke, langsam durchs Gras, fressend, sich vermehrend, ohne jedes Wissen darum, dass ihr Auftrag den Auftrag eines jeden anderen belangt und kostet von dem Fladen der Kuh, der ihr so wohlriechend erscheint, wie uns ein Kirschbaum immer als reicher Kindertraum in positiver Erinnerung sein wird, ein Ei mit Mirazidium des jungen Burschen, des Egels, der da sitzt in den Gallengängen seiner Leber und nichts von dem Vor und Danach seines Handelns weiß, wie er auch nichts vom Feuerholz des Kamins weiß, und auch unser Denken nur eine gewisse Tiefe erreicht, ob wir nun wollen oder nicht.

Und so setzt die Schnecke ihren Weg fort, gefolgt von ihrer Spur, gleich einer Autobahn, links und rechts, so wie sie meint, dass sie es braucht, so wie alle ihren Weg nehmen, manifestieren, nicht fragend, ob diesen Weg jemand anderes braucht und welchen Weg dieser Weg für einen anderen bedingt, und setzt wieder und wieder ihre eigenen Meilensteine, ihre Schleimballen in das morgendliche Gras, in dem die Zekarien schlummerten, die unbemerkt in ihrer Mitteldarmdrüse heranwuchsen.

Auch an diesem Morgen...




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