MeinBlock

Nachdem sich eine Reihe schwererziehbarer Jugendlicher in musikalischer Form mit ihrer wohnungsbaulichen und soziokulturellen Wirklichkeit auseinandergesetzt haben, bekomme ich fast Lust, auch meinem, im zahnlos–fauligen Volksmund 'Schlageter–Siedlung' genannten Viertel ein entsprechendes musikalisches Denkmal zu setzen. Einen erforderlichen Beat hätte mir der umtriebige Uli M. sicher schnell in seinem Studio gezaubert, gewisse Motive wie Azads »In meinem Block gelten Regeln, die wir selbst aufstellen. Wenn Du nicht von hier bist, ist es garantiert, dass Du auffällst. Wir brauchen mehr Geld, mehr Gold, mehr Gras, SL und mehr Spaß« könnten fast ohne Abstriche auch für Golzheim übernommen werden... Hm, leider habe ich keine besonders angenehme Singstimme. Aber vielleicht könnte ich Konrad überreden, seinen gregorianikerfahrenen Baßbariton in den Dienst der Flows zu stellen. Eine Gang oder Posse hätten wir schnell zusammen wenn wir Gero G*s Knabenserail engagieren, die bringen auch die erforderliche Credibility mit. Und es wäre das stärkste Argument für K., als MC Silverback die Gegenreformation des Hiphops einzuläuten.

Es ist ja im Grunde kaum auszudenken solches hier zu schreiben, aber weil wir gerade Wutang's »Tearz« hören ... früher, es ist schon lange her, da lag Regen auf dem Kopfsteinpflaster des kleinen grünen Städtchens an der H., der alsbald auch gefror, weil es ja November war oder war's Februar? Niemand weiß es, denn schließlich war es jeder Monat, vor allem die Sommermonate des Wartens waren schön, man weiß halt nicht viel oder will es hier nicht immer wissen, wer weiß, aber was man weiß ist, dass wir uns damals die »36th Chamber« vom Wu-Tang-Clan auf Cassette überspielt haben, um sie im Walkman zu hören. Gleichzeitig war das auch die Zeit der merkwürdigen »Beeper«, komische Geräte, die man anrufen kann und dann sieht der Empfänger die Nummer oder eine Nachricht, bei uns waren das eh immer Zahlencodes. So habe ich Hoks Bescheid gegeben, das lief dann immer am Kino, manchmal habe ich durchaus mal eine Stunde warten müssen. Es war kalt und ich habe »Tearz« gehört, während die Leute vorbeigingen, manche kauften im anliegenden C&A ein, andere tranken eine Flasche Kräuter im Neonlicht der »Kaskaden«, während in der Ferne die Züge rauschten. Im Hauseingang gelehnt pustete ich mir in die klammen Hände und als ich schließlich hatte, was ich wollte, galt es, heil nach Nord zu kommen ...

Das alles wäre nicht so ausschlaggebend, wenn es nicht noch immer Nord wäre, wohin wir uns durchschlagen müssten ... (wenn wir es doch nur täten!!).

Beim Betrachten des Videos von Separate wurde mir mal wieder klar, dass ja ein guter Teil der Rap-Musik, die ich mir so anhöre, von Leuten kommt, die in etwa so alt wie ich, teilweise auch zwei, drei Jahre jünger sind als ich, und dass manche von ihnen damit auch noch einen Haufen Kohle machen. Wäre ich in einem anderen Plattenbaugebiet aufgewachsen, könnte ich jetzt einer von ihnen sein. Ist aber andererseits natürlich auch gar nicht so schlimm.