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wuming schrieb am 14.10. 2007 um 23:32:04 Uhr über

Literatur

Literatur
Schriftstellerin Marianne Fritz 58-jährig gestorben
Sie selbst hat öffentliche Auftritte in den vergangenen Jahren gemieden. Präsent war Marianne Fritz - zumindest in eingeweihten Kreisen - dennoch. Erst im Herbst vergangenen Jahres lud die Kunst-Gruppe »Fritzpunkt« Literaturinteressierte zu einem recht ungewöhnlichen Event: Unter dem Titel »Fritz-Manöver« sollte jeweils eine Doppelseite des Romans »Naturgemäß II« zeitgleich von 1357 Personen gelesen werden, um das Mammut-Werk in etwa zehn Minuten zu bewältigen.

Am Nachfolgeband »Naturgemäß III« habe Fritz bis zum Schluss gearbeitet, so der Literaturwissenschafter Wendelin Schmidt-Dengler. Am Montag ist Fritz nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 58 Jahren gestorben.

Die ungelesenste Autorin
Nicht immer stieß Fritz mit ihrer eigenwilligen Sprache auf ungeteilte Sympathie, an ihrem sperrigen Werk scheiterten zahlreiche Kritiker. Gegenüber dem »Falter« meinte Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek im Jahr 2003 über ihre Kollegin: »Es ist ein singuläres Werk, vor dem man nur stehen kann wie ein gläubiger Muslim vor der Kaaba. Wahrscheinlich bin ich im ganzen zu klein für Marianne Fritz, sie geht nicht in mich hinein

»Wohl kaum eine andere österreichische Autorin hat ein so umfangreiches Werk vorzuweisen wie Marianne Fritz«, schreibt Karin Cerny in ihrem Porträt der Schriftstellerin, das auf der Website des Literaturhauses Wien nachzulesen ist. Fritz sei die »wahrscheinlich ungelesenste Autorin überhaupt«.

Aufgewachsen in Vorarlberg
Marianne Fritz wurde am 14. Dezember 1948 in Weiz in der Steiermark geboren, wuchs in Vorarlberg auf und kam in den 60er-Jahren nach Wien. 1978 erschien im Fischer-Verlag ihr literarisches Erstlingswerk »Die Schwerkraft der Verhältnisse«, für das sie im selben Jahr mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet wurde. 1980 folgte der 550-Seiten-Roman »Das Kind der Gewalt und die Sterne der Romani«, und im Jahr 1985 veröffentlichte die Schriftstellerin im Suhrkamp-Verlag das dreibändige Romanwerk »Dessen Sprache du nicht verstehst«, das auch in einer Taschebuchausgabe in zwölf Bänden auf den Markt kam.

Ausgehend vom Jahr 1914 erzählte Fritz exemplarisch die Geschichte der Proletarierfamilie »Null« aus dem Marktflecken »Nirgendwo«. Auf über 3.000 Seiten entstand ein komplexes Bild einer historisch zwar fixierbaren, jedoch gleichzeitig teilweise mythologisierten Parallelwelt. Ziel war eine Geschichtsschreibung, die jene erfasst, welche üblicherweise nur als Objekte im Strom der Ereignisse mitgerissen werden.

Gewaltiges Prosaprojekt
Alle diese Bücher sind Teil eines bereits um 1970 konzipierten gewaltigen Prosaprojekts mit dem Titel »Die Festung«, das die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert zum Thema hat. Mit den beiden Mammut-Romanen »Naturgemäß I« und »Naturgemäß II«, die zusammen an die 5.000 Seiten haben, fügte Fritz ihrer »Festung« 1996 beziehungsweise 1998 zwei neue Teile hinzu.

Stilistisch setzte Fritz mit ihrer eigenwilligen Erzählsprache die Tradition der Wiener Gruppe und der österreichischen sprachkritischen Literatur fort. Durch das Weglassen von Hilfsverben und Artikeln, ungewohnte Wortfolgen und eine veränderte Interpunktion stellte die Autorin hohe Ansprüche an ihre Leserschaft. Unterstreichungen, wechselnde Buchstabendichte, Kursivschrift, Einrückungen, Großschreibung, Fettdruck und Randnoten suggerierten Bedeutung.

Auszeichnungen
Marianne Fritz wurde für ihr literarisches Schaffen mehrfach ausgezeichnet. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, unter anderem den Förderpreis für Literatur der Republik Österreich 1979, den Förderungspreis zum österreichischen Würdigungspreis für Literatur 1990, den Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur 1994 sowie das Robert-Musil-Stipendium des Unterrichtsministeriums im Jahr 1990 und den Peter-Rosegger-Preis 1999.

In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Kafka-Preises, der unter anderem an Peter Handke, Elias Canetti oder Ilse Aichinger ging, unterstrich Wendelin Schmidt-Dengler die Verwandtschaft von Marianne Fritz mit Kafka hinsichtlich Radikalität und Kompromisslosigkeit des Werks, das den »habsburgischen Mythos« in der Literatur »liquidiert« habe. Schmidt-Dengler wandte sich weiters gegen das Vorurteil, die Texte von Fritz seien umfänglich und verdunkelnd: Ihre Literatur sei im Gegenteil »umgänglich« und diene der »Erhellung«.

Literarische Ausnahmeerscheinung
Mit großem Bedauern hat Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) auf den Tod der Autorin reagiert. Sie sei eine »Ausnahmeerscheinung in der Welt der Literatur« gewesen, so Mailath-Pokorny. »Die Konzentration und unermüdliche Arbeit an ihrem Opus Magnum 'Die Festung' machte sie zu einer unvergleichlichen SchriftstellerinFritz hinterlasse »ein Werk von einer epochalen Dimension und einzigartiger denkerischen Kühnheit«. Wien habe schon früh ihre literarische Leistung mit der Zuerkennung des Preises der Stadt Wien gewürdigt.

Links
Fritzpunkt
Literaturhaus Wien - Marianne Fritz


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