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stopthewar schrieb am 15.2. 2003 um 10:25:55 Uhr über

Krieg


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14.02.2003



Hans Thie / Lutz Herden

Schockwellen









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NICHTS BLEIBT, WIE ES ISTDer Irak, die NATO und
der deutsche Stellungskrieg

Zwei große Schlachten hat die Bush-Regierung bereits
gewonnen. Praktisch die gesamte politisch denkende und
handelnde Weltgemeinde ist auf diesen einen Punkt konzentriert.
Nicht Weltwirtschaftskrise und Bilanzskandale, nicht Hunger und
Verelendung, nicht Ökokatastrophen und Schutz des Planeten -
nur noch Irak. Die Macht, die Tagesordnung allein zu bestimmen,
wurde eindrucksvoll demonstriert. Diesem ersten Sieg musste
der zweite zwangsläufig folgen. Alle anderen Staaten - ob mit
eigenen Ambitionen oder ohne, ob vorbereitet oder konfus, ob sie
wollen oder nicht - müssen sich dem Thema stellen und der
Supermacht ein Bekenntnis abliefern. Frei und souverän
antworten kann aber niemand. Denn alle, auch die größeren und
mittleren, haben die Konsequenzen ihrer Haltung zu bedenken.
So kam es, wie es kommen musste: Nach der
Ergebenheitserklärung von Blair, Aznar, Berlusconi und anderen
nun der offene Streit in der NATO. Auch dies ist ein Gewinn für
die Vereinigten Staaten. Denn sie brauchen die NATO nicht
unbedingt, während den zerstrittenen Europäern, besonders aber
dem verängstigten deutschen Bürgertum, der Schock eines
drohenden sicherheitspolitischen Vakuums ins Gesicht
geschrieben steht.

Für die westliche Allianz rächt sich spätestens heute der
Funktionswandel, den es seit 1990 auf der Suche nach neuer
Sinngebung gegeben hat. Die Dreistigkeit des von den
Amerikanern in Brüssel lancierten türkischen Begehrens besteht
ja darin, das man den Bündnis- und Beistandsfall für einen
provozierten Angriffskrieg reklamiert - mit anderen Worten:
Handlungsmaxime des Bündnisses für den kollektiven
Verteidigungsfall werden für einen Angriffsfall missbraucht und
sollen nach dem Willen der USA im Kollektiv abgenickt und
vollstreckt werden. Wer hier sein Veto einlegt, handelt
bündniskonform, gemessen an den bei der NATO-Gründung von
1949 formulierten Prinzipien. Wer hier zustimmt, degradiert die
NATO zur operativen Handlungsreserve und zum
kontributionspflichtigen Alliierten Amerikas - komme, was da
wolle.

Der Präzedenzfall aktiver Beihilfe zu einer aus nationalen
Interessen geführten Aggression - er geht noch über das
Paradigma der NATO-Intervention gegen Jugoslawien von 1999
hinaus. Eigentlich könnten die Europäer ihren hoch gelobten
Weltgerichtshof wieder auflösen oder sich selbst auf die
Anklagebank setzen, nur wird es wohl an Richtern und Klägern
fehlen, was niemandem ein Trost sein sollte. So hörbar, so
dröhnend geradezu, war das Ausatmen der Geschichte seit dem
Gezeitenwechsel von 1990/91 nicht mehr zu hören.

Geschichte kann einige Zeit scheinbar stillstehen und sich dann
um so stärker beschleunigen. Die Bundesrepublik Deutschland ist
- trotz eines seit 20 Jahren anhaltenden kleinkarierten
Stellungskampfes um Steuern, Renten, Sozialabgaben und
Gesetzesdickicht - vergleichsweise immer noch ein Hort der
Stabilität. Dass sie sich radikal verändern und den Sozialstaat
herkömmlicher Prägung hinter sich lassen muss, wenn sie ein
funktionierendes Gemeinwesen bleiben will, ist tausendfach
wiederholt worden und mittlerweile zum gemeinsamen Programm
aller Bundestagsparteien geronnen. Und dennoch scheitern sie
bislang, egal in welcher Koalition, immer wieder am offenen und
verdeckten Widerstand der Bevölkerung, die sich weigert, ganz
auf den neoliberalen Zug der Zeit aufzuspringen.

In diesem Jahr, mit dem Treibsatz Irak-Konflikt, könnte sich
dieses Patt auflösen. Wenn die Amerikaner ihren Kurs erfolgreich
durchhalten, wäre Rot-Grün, innen- wie außenpolitisch isoliert, am
Ende. Eine bürgerliche, vorübergehend auch eine Große
Koalition der Systemveränderer hätte mehr als je zuvor freie Hand
und würde sich wohl großzügig an den Kosten amerikanischer
Ressourcensicherung beteiligen, im Interesse der atlantischen
Eintracht und um den Druck auf die eigene Bevölkerung zu
erhöhen. Wenn, so das zweite Szenario, die Amerikaner ihren
Krieg beginnen, aber nicht schnell beenden können oder gar
einen Flächenbrand auslösen, wird auch eine rot-grüne
Regierung, sollte sie im Amt bleiben, das Chaos der
Weltwirtschaft und entsprechend der öffentlichen Haushalte
nutzen, um »tiefgreifende Reformen endlich« durchzusetzen. So
bleibt im Moment nur die verzweifelte Hoffnung, dass sich die
Ironie der Geschichte fortsetzt: ein ansonsten prinzipienloser
Kanzler reitet weiter, weil er längst nicht mehr anders kann, auf
dem Prinzip einer friedlichen Lösung, wird auf wundersame
Weise zum Katalysator der Vernunft und ermuntert ungewollt alle
jene, die nicht nur eine friedliche, sondern auch eine gerechtere
Welt verlangen.


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