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Max schrieb (im Kapitel Abhärtung, wie und sein Bruder von den Eltern gegen Kälte abgehärtet wurden. Zuletzt mussten die Brüder ganzjährig kurze Hosen tragen. Auch Abhärtung gegen Schmerz stand auf dem Programm. Aber diese Prügel waren in erster Linie Strafen für Missetaten.
Wie war das bei uns? Wie in anderen Familien? Am Stammtisch kamen wir drei alten Freunde auf das Thema. Darüber will ich berichten. Beginnen will ich mit den eigenen Erfahrungen.
Wir hatten harte, konsequente Eltern. Aber sie ließen uns auch Freiraum, konnten über manchen Unfug lachen. Wir liebten unsere Eltern.
Bei uns gab es, wie in manchen Familien die „Wochendabrechnung“. Freitags, nach dem Abendessen, mussten wir abdecken, spülen und aufräumen – und anschließend in Dreiecksbadehosen mit unserm persönlichen Rohrstock antreten. Der wurde mit jedem Geburtstag durch einen etwas längeren und dickeren ausgetauscht. Auch die Mindestanzahl der Hiebe – entsprechend dem Alter – war festgelegt. Zunächst fragte Vater die Mutter, ob eine „Zulage“ erforderlich sei, dann äußerte er sich. Nun stand die Anzahl der Rohrstockhiebe fest. Nacheinander mussten wir stramm stehen, die Hände an den Fußgelenken verankern und versuchen jede Schmerzäußerung zu unterdrücken. Wenn alles vorbei war, dann war alles vorbei. Anziehen, raus auf die Straße oder was mit den Eltern spielen – was wir wollten.
Mein bester Freund erzählte: „Bei uns war es anders. Ich war der einzige Sohn. Für alles und jedes gab es Strafpredigten, den Rohrstock nur ausnahmsweise für die schlimmsten Missetaten. Irgendwann platzte mir der Kragen. Da war ich 12 Jahre alt. „Ich hasse euer Gelaber, verprügelt mich doch lieber!“ sagte ich. Der Vater entschied: „O.k., wenn du es so willst.“ Von nun an setzte es nur noch Hiebe, zwei, dreimal die Woche, manchmal zweimal am gleichen Tag. Mit 14 war ich prügelgeil und steckte die Hiebe ohne Schmerzgeschrei weg.
Unser dritter Stammtischbruder schwieg. Ihn hatte ich erst im Beruf kennen gelernt. Von seinen Jugenderfahrungen wusste ich nichts. „Wie war es bei dir? Erzähl mal!“
„Ich war ein Waisenkind, Vater gefallen, Mutter gestorben. Ich war ein ganz normaler Junge, sportlich, gesund, manchmal frech und abenteuerlustig. Einmal wurde ich zum Heimleiter gerufen. Ich und zwei weitere Jungs in meinem Alter. Da saß ein Ehepaar. Die wollen einen neuen Pflegesohn, hieß es. Sie entschieden sich für mich. Später erfuhr ich, dass er ein pensionierter Aufseher in einer Jugendstrafanstalt war. Jetzt prügelte er seine Pflegejungs weil es ihm Spaß machte. Ja, er peitschte uns auch. Ich kann euch die Narben zeigen. Wir mussten barfuß in verlumpten Hosen laufen, Nur bei Frost gab es etwas wärmere Klamotten.
Mein Klassenlehrer wusste, dass ich nicht blöd war und wie ich behandelt wurde. Er beschaffte mir ein gutes Abschlusszeugnis und eine Lehrstelle in einer Maschinenfabrik, die weit außerhalb lag. Dort hatten sie ein Wohnheim für die Lehrlinge. Ich machte dort die Gesellen- und die Meisterprüfung. Meine eigenen Kinder habe ich fast nie geschlagen, nur wenn sie gelogen oder geklaut haben.
Und heute? Schon eine Ohrfeige ist Kindesmisshandlung. Den goldenen Mittelweg werde ich nicht mehr erleben.
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