Die Leberhose des Grauens
Rüdigers Knie schlotterten wie Pudding im Erdbeben, als er die Haustür aufdrückte. Der Geruch von Kohlsuppe und Unglück hing in der Luft. Drei Fünfen, zwei Sechser und eine Lehrerbemerkung, die klang, als hätte man seinen Hirnlein-Zellen kollektiven Urlaub genehmigt. *»Versetzung gefährdet«* – die drei Worte brannten schlimmer als der letzte Kochlöffel-Angriff auf sein Hinterteil.
»Rüdiger!« Vatis Stimme donnere aus der Küche, während Rüdiger versuchte, sich hinter dem Garderobenschrank zu verstecken. Doch seine Leberhose – dieses gestreifte Monstrum aus Sackleinen, das Muddi bei jeder Gelegenheit aus der Mottenkiste zerrte – verriet ihn mit einem verräterischen *Krrrschhh*.
»Zeig her.« Vati stand da wie ein General vor der Schlacht, die Kaffeetasse in einer Hand, das Schicksal in der andern. Rüdigers Finger zitterten, als er das Zeugnis aus der zerknitterten Schultasche fischte. *Ritsch* – das Papier entfaltete sich wie ein Sargdeckel.
»*Hömma*«, raunte Vati, während seine Augen über die Noten glitten, wenn dat dein Ernst is, dann hat der Lindwurm in deinem Hirnlein aber Samba getanzt.» Irgendwo zwischen der Sechs in Mathe und der Bemerkung «Konzentration wie ein Goldfisch im Regen" verfinsterte sich seine Stirn zur Gewitterwolke.
»*Wir müssen uns... zum Lachen in'n Keller unterhalten.*«
»*Nee Vati, nich der Keller!*« Rüdiger heulte wie ein Messerwerfer im Kabarett, während er rückwärts zur Treppe torkelte. Doch der Griff seines Vaters – hart wie Omas Essiggurken – zerrte ihn vorwärts. Die Waschküchentür quietschte Protest, als wüsste sie, was gleich passierte.
Plötzlich: *Klirr!*
Muddi stand im Türrahmen, den Kochlöffel schwingend wie Excalibur. »*Warte mal, Heinz!*«, rief sie, während Rüdiger sich verzweifelt an einem Wäschekorb festkrallte. »*Erst erzähl uns der Bengel, wieso seine Englisch-Arbeit aussah wie Geheimschrift vom Pink Panther!*«
Die Antwort kam als Flüstern: »*Hab... äh... den Bleistift* ***zwischen*** *den Ohren verloren?*«
*Zack!* Der Löffel wirbelte durch die Luft – landete aber plötzlich sanft auf Muddis Handfläche. »*Reicht!*«, kicherte Vati unvermittelt, »*Dat is genau wie damals, als ich versucht habe, Alufolienhüte für die Klassenhamster zu basteln!*«
Verblüfftes Schweigen. Dann: *Pfffft* – ein Schnauben wie bei einem Dampfkessel.
»*Hast du je...*«, prustete Muddi, »*die Bilder von seinem... Schokokuss-Versuch im Kunstunterricht gesehen?*« Plötzlich rollte Vati auf dem kalten Kellerboden, Tränen in den Augen. »*Fünf Farbkleckse und die Lehrerin rief Feueralarm! HA!*«
Rüdiger blinzelte. Statt Prügel gab's Popcorn? »*Aber... der Rektor meinte doch...*«
»*Pah!*«, winkte Muddi ab, während sie eine Flasche Brause aus dem Regal zog, »*Der gute Herr Dr. Pöselmeyer tanzt bei jedem Notenschnitt Charleston auf'm Vulkan. Weißte was?*« Sie knallte drei Gläser auf den Tisch. »*Wir ham auch mal Sitzengeblättert. Dein Vati hat nach Bio noch gedacht, Photosynthese is'n Eiskremgeschmack!*«
Lautes Gelächter hallte durch den Keller. Irgendwo fiel eine Kartoffel aus dem Regal (*Plumps!*), und Rüdiger begriff langsam: Seine Familie war genauso debil wie er. »*Also...*«, stotterte er, »*ich krieg kein Hosenboden-Lobgedicht heut?*«
Vati zwinkerte. »*Doch. Aber* ***nach*** *der Brause. Und hol mal die alte Schultüte von 1972. Da is noch'n altes Hausaufgabenheft drin – wer zuletzt lacht, macht die Teppichklopfer-Fabrik sauber!*«
**Zwei Stunden später**
Die Nachbarn hielten sich die Ohren zu, als aus Nummer 12 ein markerschütterndes »LAAAAAND IN SIIIIIIIIICHT!« dröhnte – gesungen von drei Flaschenbrause betrunkenen Köppen im Keller, umringt von staubigen Schulheften und mindestens einem Geisterfahrer-Diplom aus Vatis Hauptschulzeit. Rüdiger grinste. Versetzung hin oder her – seine Eltern waren die beste Fünf im Leben, die er je kriegen würde.
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