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Marcel schrieb am 25.8. 2001 um 12:56:23 Uhr über

Sodom

Wie die Juden wiederum (abgesehen von einigen, die nur mit den Angehörigen ihrer eigenen Rasse umgehen wollen, immer rituelle Ausdrücke auf der Zunge haben oder Witze, die sich auf heilige Dinge beziehen) meiden sie einander und suchen statt dessen jene, die ihnen am meisten entgegengesetzt sind, doch nichts von ihnen wissen wollen, deren rauhe Ablehnung sie aber zu verzeihen bereit sind und an deren Entgegenkommen sie sich förmlich berauschen; in eine Gemeinsamkeit gleichwohl mit ihresgleichen gezwungen durch das gewisse Scherbengericht, das über sie verhängt wird, und die Schmach, in die sie hinabgesunken sind, weil ihnen doch schließlich eine Verfolgung, die der des Judentums ähnlich ist, die physischen und psychischen Merkmale einer Rasse aufgedrückt haben; manchmal schön, manchmal Abscheu erregend (trotz des Spottes, mit dem derjenige, der sich mehr der entgegengesetzten Rasse vermischt, ihr besser angepaßt hat und nach außen hin der vergleichsweise weniger Invertierte scheint, den anderen überhäuft, der es eindeutiger geblieben ist) finden sie im Umgang mit ihresgleichen eine Entspannung und selbst eine Stütze für ihre Existenz, wobei sie sogar, während sie ablehnen, eine besondere Menschengruppe zu sein (deren Name als die größte Beleidigung gilt) denjenigen, denen es gelingt, ihre Zugehörigkeit zu verbergen, gern die Maske abreißen, weniger um jenen zu schaden, als um sich selbst zu entschuldigen, und geneigt, wie ein Arzt die Blinddarmentzündung, so ihrerseits die Inversion in die Geschichte zurückverfolgen und mit Genugtuung daran zu erinnern, daß Sokrates einer der Ihren war (wie die Israeliten von Jesus sagen, er sei Jude gewesen) ohne daran zu denken, daß es keine abnorm Veranlagten gab zu einer Zeit, als Homosexualität etwas ganz Reguläres war, wie auch keine Christenfeinde vor Christus, und daß erst der darauf ruhende Makel das Verbrechen zu einem solchen stempelt, weil er einzig die übriggelassen hat, die jeder Predigt, jedem Beispiel, jeder Züchtigung unzugänglich waren aufgrund einer ganz speziellen, angeborenen Disposition, welche, obwohl zuweilen von hohen moralischen Qualitäten begleitet, anderen Mensch mehr zuwider als gewisse Laster, bei denen das nicht der Fall sein kann, wie Diebstahl, Grausamkeit, Unredlichkeit, die aber doch besser verstanden und infolgedessen auch von der Mehrzahl der Menschen leichter entschuldigt werden; sie schaffen ein Freimaurertum, das sowohl ausgebreiteter als wirksamer ist und weniger beargwöhnt wird als dasjenige der Logen, denn es beruht auf einer Gleichheit der Neigungen, der Bedürfnisse, der Gewohnheiten, des Wagnisses, der Lehre, des Wissens, des Umgangs, des Vokabulars, innerhalb dessen die Mitglieder, die sich gar nicht zu kennen wünschen, sich dennoch sofort an natürlichen oder konventionellen, unwillkürlichen oder gewollten Zeichen ermitteln, die dem Bettler an dem großen Herrn, dem er den Wagenschlag schließt, dem Vater an dem Verlobten seiner Tochter, demjenigen, der Heilung oder seelische Entlastung in der Beichte oder Verteidigung vor Gericht erstrebt, in dem Arzt, dem Priester, dem Anwalt, den er aufgesucht hat, untrüglich als solche erscheinen; alle sind genötigt, ihr Geheimnis zu wahren, während sie ihrerseits Teilhaber an dem Geheimnis der anderen sind, von dem die übrige Menschheit nichts ahnt, das ihnen aber die unwahrscheinlichsten Abenteuerromane wahr erscheinen läßt, denn in einem solchen Leben, das selbst etwas unzeitgemäß Romanhaftes hat, ist der Botschafter der Freund des Sträflings, der Fürst geht, wenn er das Palais der Herzogin verläßt, mit einer Leichtigkeit, die ihm seine aristokratische Erziehung verleiht und über die ein zitternder Kleinbürger nicht verfügen würde, zu einer Unterhandlung mit dem Apachen; sie stellen einen ausgestoßenen Teil der menschlichen Gemeinschaft dar, doch einen bedeutenden Teil, nur vermutet, wo er nicht sichtbar wird, frech und ungestraft da, wo kein Mensch ihn errät; seine Anhänger finden sich überall, im Volke, in der Armee, im Tempel, im Zuchthaus, auf dem Thron; schließlich lebt auch ein großer Teil wenigstens in innigem und gefährlichem Umgang mit den Männern der anderen Rasse, die er reizt und mit denen er sein Spiel treibt, indem er von seinem Laster spricht, als ob es nicht das seine sei, ein Spiel, das leicht gemacht wird durch die Verblendung oder die Falschheit der anderen; ein Spiel, daß jahrelang andauern kann bis zu dem Tage des Skandals, an dem diese Bändiger selbst verschlungen werden; bis dahin gezwungen, ihr Leben zu verbergen, ihre Blicke dort wegzuwenden, wo sie gern haften würden, sie auf dem zu fixieren, wovon sie wegschauen möchten, wandeln sie notgedrungen das Geschlecht vieler Adjektive in ihrem Vokabular abein durch die Gesellschaft verhängter Zwang, der leicht wiegt neben dem inneren Zawng, den ihr Laster oder das, was man in unangemessener Weise so nennt, ihnen weniger mit Rücksicht auf andere als auf sie selbst auferlegt, wirksam in einem Maße, daß es ihnen selber gar nicht mehr als Laster erscheint.

Proust 2066-2068





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