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Bettina Beispiel schrieb am 6.5. 2023 um 20:31:42 Uhr über

Wurst

Die tapfere Annamariafernandaconchitamagdalena Wurst:

Es war einmal Annamariafernandaconchitamagdalena Wurst. Weil jedoch der Name Annamariafernandaconchitamagdalena Wurst überaus lang und zudem recht schwer auszusprechen war, nannten sie alle bloß A-Wurst. Die Ärmste hatte ihr gesamtes Leben in einer tiefen Grube zwischen Unrat und Gülle zugebracht, in die sie unmittelbar nach ihrer Geburt bedauerlicherweise hineingefallen war. So war es ihr auch niemals vergönnt gewesen, je die liebe Sonne zu sehen. Das indes vermisste die A-Wurst auch nicht, da sie gar nichts anderes kannte als ihre heimatliche Grube, in der ihre einzige Gesellschaft die Maden und die munteren Ratten waren. In Nässe, Moder und ewiger Dunkelheit führte sie ein bescheidenes, aber glückliches Leben, bis sie eine gewisse Ratte kennenlernte, die von auswärts gekommen und durch einen unglücklichen Zufall in die Grube verschlagen worden war. Diese Ratte war wohl nicht von edlem Geblüt, doch war sie ein Mann von Welt, ein überaus gebildeter und angenehmer Gesprächspartner. Nicht nur, dass die Ratte ihren Namen Annamariafernandaconchitamagdalena Wurst tadellos auszusprechen vermochte, sie wusste überdies auch viel von der Welt da oben in der Sonne zu berichten. Und so geschah es, dass die A-Wurst große Sehnsucht bekam, selbst einmal all die Herrlichkeiten unter Gottes Himmel kennenzulernen. Sie vermählte sich mit der Ratte und gebar bald darauf ihr erstes Kind. Es folgten Zwillinge und nach und nach noch viele Kinderchen, bis die zehne voll waren. Nun trug es sich bald darauf allerdings zu, dass ihr Gemal aus Gründen des Alters verschied, und nachdem sein Leib verwest und von einer Schar gelblichweißer Maden vertilgt worden war, träumte die A-Wurst noch immer von der Welt unter Himmel und Sonne. Ihre Kinderchen, welche die A-Wurst über alles liebte und die sie ihre Kluckerchen nannte, bekamen wieder und wieder zu hören, was ihr die gebildete Ratte einst berichtet hatte. »Ach, wir wollen auch hinaus in die weite Welt«, riefen da die Kluckerchen, »und wir wollen auch alles brav lernen in einer Schule, einer richtigen A-Schule!« »Ach, meine geliebten Kluckerchen«, sprach da die A-Wurst, »all dies war stets auch mein eigener Traum, der sich wohl niemals erfüllen wirdDa erschien der Sandmann, Dämon der Nacht, in der Grube und sprach: »Liebe A-Wurst, liebe Kluckerchen, wie wäre es, wenn wir für ein Weilchen tauschen. Ich bin es leid, der quengeligen Menschenbrut allabendlich Sand in das Angesicht zu blasen und ihr beim Eindösen zuzuschauen. Viel lieber würde ich für einige Zeit hier unten in behaglicher Dunkelheit leben, mir aus menschlichem Stuhl eine Frau formen und sie durch ein geheimes Ritual zum Leben erwecken, um dann mit ihr zu verfahren, als sei sie ein Weib aus Fleisch und Blut. Nun, liebe Familie A, wie wäre das? « Die A-Wurst und ihre Kluckerchen waren begeistert von diesem Vorschlag, und da war es, als erfasste ein Sturmwind die gesamte Familie A und hob sie in die Höhe empor. Und ganz da oben wurde es heller und immer heller, und plötzlich fand sich die Mutter mit ihren Kinderchen auf einer lichtdurchfluteten Blumenwiese wieder. Wie herrlich es doch hier in der Sonne war! Überdies sah die A-Wurst nun erstmalig ihre Kluckerchen im hellen Tageslicht. Wie wohl sie aussahen, kugelrunge, pausbäckige und braune Kinderchen, ganz so, wie sie es sich stets gewünscht hatte. Ja, der Sandmann hatte ihren Traum wahr werden lassen, wenn nur die Schmeißfliegen ihre Freude nicht allzu sehr getrübt hätten. »Die Sonne bekommt euch nicht«, summten die Schmeißfliegen, »ihr seid nicht daran gewöhnt und werdet eintrocknen. Wir wissen, wie grausam die Hitze des Sommers ist, haben wir unsere Kindheit als Maden doch in einem Kadaver verbracht, der in praller Sonne verweste.« »Aber so himmlisch frei wie jetzt habe ich mich noch nie gefühltrief die A-Wurst, welche von der Sonne bereits ganz dunkelbraun geworden war und sich lustvoll zwischen den Gräsern reckte. Da ließen sich die Schmeißfliegen auf der A-Wurst nieder und krabbelten über ihren braunen Leib. »Das tut gut, das tut so gut!« stöhnte die A-Wurst in tiefer Glückseligkeit. Und während sich Gevatter Rollfuß, welcher den ehrenwerten Beruf des Pillendrehers ausübte, ihrer kleinen Kluckerchen annahm, schrumpfte die A-Wurst mehr und mehr zusammen und wurde von der Sonne hart wie Zement gebacken. Ja, die klugen und lebenserfahrenen Schmeißfliegen hatten Recht behalten, denn als schließlich der Regen des Herbstes den ausgedörrten Boden benetzte, war von der A-Wurst und ihren geliebten Kluckerchen nirgendwo mehr etwas zu sehen. Doch die A-Wurst hatte die schönsten Dinge erlebt, die einer A-Wurst nur zuteil werden können, sie hatte die Blumen und die Sonne gesehen, das Streicheln der Gräser und den Sommerwind gespürt und sich von den Schmeißfliegen die letzten Momente ihres, ach, so bescheidenen Lebens auf die angenehmste nur denkbare Art versüßen lassen.

Ach ja, möglicherweise ist Annamariafernandaconchitamagdalena Wurst inkarniert und somit wiedergeboren worden, als große SängerIn und KünstlerIn. Wobei zwar ihr kompletter Nachname in der Erinnerung bis heute überlebte, von ihrem schrecklich langen Vornamen aber nur der vorletzte Teil überliefert ist.



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