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wauz schrieb am 11.9. 2014 um 21:05:02 Uhr über

Behörde


SPIEGEL ONLINE
11. September 2014, 00:12 Uhr
Massenanträge an Stadtverwaltung
Der Quälgeist von Dordrecht

Von Benjamin Dürr, Amsterdam

Bis zu 70 Briefe schreibt Mustafa Karasahin pro Tag an die niederländische Stadt Dordrecht. Die Antworten sind ihm egal, er will das Rathaus lahmlegen. Nun soll ein Gericht ihn stoppen.

Im Rathaus werden die Briefe in mehreren Schränken aufbewahrt. Sie haben alle denselben Absender: Mustafa Karasahin aus Dordrecht, eine Stadt zehn Kilometer südlich von Rotterdam. Seit mehreren Jahren stellt er Anträge an die Gemeindeverwaltung, Hunderte pro Monat, an manchen Tagen sind es bis zu siebzig Briefe. Die Beamten sind gesetzlich verpflichtet, jede einzelne Anfrage zu beantworten. Karasahin nutzt das aus. In der Behörde spricht man von »Briefterror«.

Die Geschichte von Mustafa Karasahin und der Stadt Dordrecht ist die Geschichte eines eskalierten Streits. Sie klingt wie ein Scherz, aber sie handelt auch von grundsätzlichen Fragen in einer Demokratie. Nun könnte sie ein Ende finden, denn die Gemeinde will Karasahin im Gefängnis sehen.

Mustafa Karasahin besitzt seit den Neunzigerjahren mehrere Häuser in Dordrecht, 42 Gebäude sollen es zwischenzeitlich gewesen sein. Wegen der Vermietung einiger Wohnungen an Wanderarbeiter kam es zum Streit. Es gab Beschwerden wegen Ruhestörungen und Brandschutzverstößen, städtische Kontrolleure verhängten immer höhere Bußgelder, Karasahin zahlte sie nicht, weil er sich nicht verantwortlich fühlte. Zwei der Gebäude wurden schließlich zwangsversteigert. Da ging der Ärger richtig los.

»Ich schlage die Bürokratie mit ihren eigenen Waffen«

Die Gemeinde habe ihn geplagt, sagt Karasahin. Jetzt plage er die Gemeinde. Er will das Rathaus lahmlegen. In den vergangenen zwei Jahren hat er rund 3500 Briefe geschrieben. »Ich schlage die Bürokratie mit ihren eigenen Waffen«, sagt er am Telefon und lacht.

Jeder Bürger hat das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen. In den Niederlanden sind Behörden verpflichtet, eine Anfrage innerhalb von vier Wochen zu beantworten. Schafft es eine Behörde nicht innerhalb dieser Frist, muss sie den Bürger für jeden Tag Verspätung entschädigen und bis zu 1260 Euro zahlen.

Das setzt die Verwaltung unter Druck. Karasahin stellt so viele Anfragen, dass die Gemeinde bereits extra Mitarbeiter einstellen musste, um alle Briefe fristgerecht zu beantworten. Zweieinhalb Vollzeitstellen wurden seinetwegen im Rathaus geschaffen. Drei bis vier Mitarbeiter sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Karasahins Anfragen zu beantworten. Seine Briefe kosten Dordrecht rund eine halbe Million Euro pro Jahr. Die Gemeinde findet, die Mittel könnte man sinnvoller einsetzen. Karasahin sagt, so viel sei das nicht. Dordrecht habe Geld, um für 35 Millionen Euro ein Kulturzentrum zu renovieren.

»Absolut unverhältnismäßig«

Mehr als zwei Drittel aller jährlichen Anfragen an das Rathaus kommen von Mustafa Karasahin. »Es ist absolut unverhältnismäßig«, sagt Gemeindesprecher Mark Benjamin. »Viele Anfragen betreffen ihn überhaupt nicht«, sagt er. »Bei vielen anderen ist ganz offensichtlich, dass wir gar keine Auskunft geben dürfen

Karasahin fragt zum Beispiel, wer im Haus mit der Nummer 31 registriert ist. Wie viele Personen dort wohnen. Ob es Brandschutzkontrollen gibt. Er will wissen, unter welchen Bedingungen ein bestimmtes Gaststättengebäude vermietet wird und fordert Einsicht in den Mietvertrag. Wenn ein Antrag abgelehnt wird, kann Karasahin anschließend Einspruch einlegen. Und er stellt komplizierte Anfragen: Welche Baugenehmigungen wurden erteilt, die diese Hausnummerierung ermöglichten? Manche Anfragen könne man direkt beantworten, sagt Gemeindesprecher Benjamin, andere würden zusätzlich noch Archivmitarbeiter oder Juristen beschäftigen.

Natürlich gehe es ihm nicht um die Informationen, sagt Karasahin. »Die Antworten landen sowieso im PapierkorbFür ihn gehe es darum, Widerstand zu leisten, Stärke zu zeigen. »Sie haben mich unterschätzt«, sagt er.

Im vergangenen Jahr hat die Gemeinde versucht, Karasahin mit einem Gerichtsprozess zu stoppen. Der Richter urteilte, Karasahin dürfe nur noch zehn Anfragen pro Monat stellen. Karasahin hielt sich nicht daran. Für jeden Brief zu viel wurden Geldbußen verhängt. Der Betrag stieg und stieg - nun sind 300.000 Euro erreicht. Karasahin hat bisher keinen Cent davon bezahlt.

Debatte unter Juristen

Deshalb muss Karasahin nun erneut vor Gericht. Am Donnerstag beginnt die Verhandlung. Ein Richter wird entscheiden, ob Karasahin wegen der ausstehenden Zahlungen ins Gefängnis muss.

Das ältere Urteil, Karasahins Anzahl an Briefen zu begrenzen, ist umstritten und löste unter Juristen in den Niederlanden eine Debatte aus. Es berührt grundsätzliche Freiheiten und Rechte in einer Demokratie. »Man kann einem Bürger nicht einfach das Recht nehmen, mit den Behörden zu kommunizieren«, sagt Aline Klingenberg, Expertin für Verwaltungsrecht an der Universität Groningen. Deshalb müsse auch alles bearbeitet werden. »Es könnte ja sein, dass nach zehn störenden Briefen die elfte Anfrage gerechtfertigt ist

Mustafa Karasahin sagt, er habe keine Angst vor einer drohenden Haft. »Im Gefängnis habe ich noch mehr Zeit, um noch mehr Briefe zu schreiben

URL:

http://www.spiegel.de/panorama/niederlande-mustafa-karasahin-kaempft-mit-briefen-gegen-dordrecht-a-990839.html

Mehr auf SPIEGEL ONLINE:

Zugang zu Behördenwissen: Baden-Württemberg hadert mit der Transparenz (01.07.2014)
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/informationsfreiheitsgesetz-in-baden-wuerttemberg-a-978492.html

Mehr im Internet

Dordrecht zum Kulturzentrum
https://cms.dordrecht.nl/inwoners/nieuws/february-2013/laatste-stap-in-realisatie-energiehuis
Dordrecht über das Urteil
https://cms.dordrecht.nl/inwoners/nieuws/july-2013/dordrecht-beperkt-beantwoording-brieven-veelschrijver

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11. September 2014, 00:12 Uhr
Massenanträge an Stadtverwaltung
Der Quälgeist von Dordrecht

Von Benjamin Dürr, Amsterdam

Bis zu 70 Briefe schreibt Mustafa Karasahin pro Tag an die niederländische Stadt Dordrecht. Die Antworten sind ihm egal, er will das Rathaus lahmlegen. Nun soll ein Gericht ihn stoppen.

Im Rathaus werden die Briefe in mehreren Schränken aufbewahrt. Sie haben alle denselben Absender: Mustafa Karasahin aus Dordrecht, eine Stadt zehn Kilometer südlich von Rotterdam. Seit mehreren Jahren stellt er Anträge an die Gemeindeverwaltung, Hunderte pro Monat, an manchen Tagen sind es bis zu siebzig Briefe. Die Beamten sind gesetzlich verpflichtet, jede einzelne Anfrage zu beantworten. Karasahin nutzt das aus. In der Behörde spricht man von »Briefterror«.

Die Geschichte von Mustafa Karasahin und der Stadt Dordrecht ist die Geschichte eines eskalierten Streits. Sie klingt wie ein Scherz, aber sie handelt auch von grundsätzlichen Fragen in einer Demokratie. Nun könnte sie ein Ende finden, denn die Gemeinde will Karasahin im Gefängnis sehen.

Mustafa Karasahin besitzt seit den Neunzigerjahren mehrere Häuser in Dordrecht, 42 Gebäude sollen es zwischenzeitlich gewesen sein. Wegen der Vermietung einiger Wohnungen an Wanderarbeiter kam es zum Streit. Es gab Beschwerden wegen Ruhestörungen und Brandschutzverstößen, städtische Kontrolleure verhängten immer höhere Bußgelder, Karasahin zahlte sie nicht, weil er sich nicht verantwortlich fühlte. Zwei der Gebäude wurden schließlich zwangsversteigert. Da ging der Ärger richtig los.

»Ich schlage die Bürokratie mit ihren eigenen Waffen«

Die Gemeinde habe ihn geplagt, sagt Karasahin. Jetzt plage er die Gemeinde. Er will das Rathaus lahmlegen. In den vergangenen zwei Jahren hat er rund 3500 Briefe geschrieben. »Ich schlage die Bürokratie mit ihren eigenen Waffen«, sagt er am Telefon und lacht.

Jeder Bürger hat das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen. In den Niederlanden sind Behörden verpflichtet, eine Anfrage innerhalb von vier Wochen zu beantworten. Schafft es eine Behörde nicht innerhalb dieser Frist, muss sie den Bürger für jeden Tag Verspätung entschädigen und bis zu 1260 Euro zahlen.

Das setzt die Verwaltung unter Druck. Karasahin stellt so viele Anfragen, dass die Gemeinde bereits extra Mitarbeiter einstellen musste, um alle Briefe fristgerecht zu beantworten. Zweieinhalb Vollzeitstellen wurden seinetwegen im Rathaus geschaffen. Drei bis vier Mitarbeiter sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Karasahins Anfragen zu beantworten. Seine Briefe kosten Dordrecht rund eine halbe Million Euro pro Jahr. Die Gemeinde findet, die Mittel könnte man sinnvoller einsetzen. Karasahin sagt, so viel sei das nicht. Dordrecht habe Geld, um für 35 Millionen Euro ein Kulturzentrum zu renovieren.

»Absolut unverhältnismäßig«

Mehr als zwei Drittel aller jährlichen Anfragen an das Rathaus kommen von Mustafa Karasahin. »Es ist absolut unverhältnismäßig«, sagt Gemeindesprecher Mark Benjamin. »Viele Anfragen betreffen ihn überhaupt nicht«, sagt er. »Bei vielen anderen ist ganz offensichtlich, dass wir gar keine Auskunft geben dürfen

Karasahin fragt zum Beispiel, wer im Haus mit der Nummer 31 registriert ist. Wie viele Personen dort wohnen. Ob es Brandschutzkontrollen gibt. Er will wissen, unter welchen Bedingungen ein bestimmtes Gaststättengebäude vermietet wird und fordert Einsicht in den Mietvertrag. Wenn ein Antrag abgelehnt wird, kann Karasahin anschließend Einspruch einlegen. Und er stellt komplizierte Anfragen: Welche Baugenehmigungen wurden erteilt, die diese Hausnummerierung ermöglichten? Manche Anfragen könne man direkt beantworten, sagt Gemeindesprecher Benjamin, andere würden zusätzlich noch Archivmitarbeiter oder Juristen beschäftigen.

Natürlich gehe es ihm nicht um die Informationen, sagt Karasahin. »Die Antworten landen sowieso im PapierkorbFür ihn gehe es darum, Widerstand zu leisten, Stärke zu zeigen. »Sie haben mich unterschätzt«, sagt er.

Im vergangenen Jahr hat die Gemeinde versucht, Karasahin mit einem Gerichtsprozess zu stoppen. Der Richter urteilte, Karasahin dürfe nur noch zehn Anfragen pro Monat stellen. Karasahin hielt sich nicht daran. Für jeden Brief zu viel wurden Geldbußen verhängt. Der Betrag stieg und stieg - nun sind 300.000 Euro erreicht. Karasahin hat bisher keinen Cent davon bezahlt.

Debatte unter Juristen

Deshalb muss Karasahin nun erneut vor Gericht. Am Donnerstag beginnt die Verhandlung. Ein Richter wird entscheiden, ob Karasahin wegen der ausstehenden Zahlungen ins Gefängnis muss.

Das ältere Urteil, Karasahins Anzahl an Briefen zu begrenzen, ist umstritten und löste unter Juristen in den Niederlanden eine Debatte aus. Es berührt grundsätzliche Freiheiten und Rechte in einer Demokratie. »Man kann einem Bürger nicht einfach das Recht nehmen, mit den Behörden zu kommunizieren«, sagt Aline Klingenberg, Expertin für Verwaltungsrecht an der Universität Groningen. Deshalb müsse auch alles bearbeitet werden. »Es könnte ja sein, dass nach zehn störenden Briefen die elfte Anfrage gerechtfertigt ist

Mustafa Karasahin sagt, er habe keine Angst vor einer drohenden Haft. »Im Gefängnis habe ich noch mehr Zeit, um noch mehr Briefe zu schreiben

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http://www.spiegel.de/panorama/niederlande-mustafa-karasahin-kaempft-mit-briefen-gegen-dordrecht-a-990839.html

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http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/informationsfreiheitsgesetz-in-baden-wuerttemberg-a-978492.html

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Dordrecht zum Kulturzentrum
https://cms.dordrecht.nl/inwoners/nieuws/february-2013/laatste-stap-in-realisatie-energiehuis
Dordrecht über das Urteil
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