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@ schrieb am 30.8. 2010 um 08:23:09 Uhr über

Kissen

Inmitten Zierkissen
Auf dem Sofa einer entpolitisierten Epoche
von Roberto De Lapuente am 16. August 2010 Ver­ein­zelt ver­nimmt man sie noch, die Ver­glei­che, die un­se­re Zeit mit der der Wei­ma­rer Re­pu­blik in Ver­wandt­schaft stel­len. Wie da­mals herr­sche Wirt­schafts­kri­se, Ar­beits­lo­sig­keit, drif­te man in ra­di­ka­le Ex­zes­se ab - wie vor­zei­ten drän­gen sich Er­werbs­lo­se mit grif­fi­gen Wer­be­phra­sen auf: Mache alles! oder Ich bin ein Mann für alle Fälle! schil­der­ten sie sich selbst aus - nur der Duk­tus sei heute mo­der­ner, so smart wie die smar­te Fas­sa­de un­se­rer Epo­che, heute sage man: jede Ar­beit ist für mich zu­mut­bar! Wei­mar ist!, das hört man oft, ist für viele zur fixen Idee ge­wor­den. Dabei wird ein we­sent­li­cher As­pekt aus­ge­blen­det, der un­se­re Zeit nicht mit Wei­mar ver­schwis­tert sein läßt.

Die Jahre zwi­schen 1919 und 1933 waren Jahre, die wie nie zuvor - und kaum da­nach - po­li­tisch ge­prägt waren. Die Men­schen, selbst un­te­re Schich­ten, selbst Ge­sel­len und häus­li­ches Ge­sin­de, waren - wenn auch nur an­satz­wei­se manch­mal - po­li­ti­siert. Man be­such­te Ver­samm­lun­gen, schloss sich Par­tei­en oder Or­ga­ni­sa­tio­nen an, woll­te Fort­schritt oder Be­wah­rung, De­mo­kra­tie oder Au­to­ri­tät, Zi­vi­li­tät oder Mi­li­ta­ris­mus - je nach Ge­sin­nung, je nach In­tel­lekt. Es wurde viel Scharf­sin­ni­ges ge­for­dert und be­für­wor­tet, viel Irr­sin­ni­ges na­tür­lich auch, viel Men­schen­ver­ach­ten­des so­wie­so - es ging po­li­tisch zu, mit allen Schat­ten­sei­ten einer sol­chen Men­ta­li­tät. Die Wei­ma­rer Re­pu­blik war ein Pro­jekt auf tö­ner­nen Bei­nen, aber Still­stand be­trieb sie nicht - es rühr­te sich was! Kom­mu­nis­ten und Spar­ta­kus­bund, Na­tio­nal­so­zia­lis­ten und Stahl­helm, SPD und Zen­trum - jede Seite mo­bi­li­sier­te ihre Kli­en­tel. Es ging so po­li­tisch zu, dass eines der wich­tigs­ten Vor­ha­ben der neuen kas­ta­ni­en­far­be­nen Macht­ha­ber war, das Po­li­ti­sche aus dem All­tag zu ver­ban­nen - Po­li­tik soll­te fort­an von einer Par­tei ge­macht wer­den; sie soll­te diese lei­di­ge Auf­ga­be auf sich neh­men, um den All­tags­men­schen zu ent­las­ten. Die Auf­lö­sung der De­mo­kra­tie wurde aus deren Sicht not­wen­dig, um die aus­ar­ten­den po­li­ti­schen Kämp­fe, die für sie Läh­mung dar­stell­ten, end­gül­tig in den Griff zu be­kom­men. In man­cher Hin­sicht war die Wei­ma­rer Ver­si­on den an­de­ren aus Bonn und Ber­lin de­mo­kra­tisch tat­säch­lich über­le­gen: dort flo­rier­te der Mei­nungs­plu­ra­lis­mus, dort nah­men die Men­schen rege An­teil an der res pu­bli­ca, an der öf­fent­li­chen Sache - alle Nach­tei­le, wie die Dul­dung von groß­spre­che­ri­schen Men­schen­metz­gern, Stra­ßen- und Saal­schlach­ten in­be­grif­fen.

Eine sol­che po­li­tisch auf­ge­la­de­ne Stim­mung, wie sie da­mals vor­herrsch­te, fin­det man heute nicht mehr vor. Man kann Ge­schich­te oh­ne­hin nicht mit­ein­an­der ver­glei­chen; Ge­schich­te wie­der­holt sich nicht. Will man aber Par­al­le­len zie­hen, was völ­lig le­gi­tim ist, so kann die Wei­ma­rer Zeit nicht her­hal­ten. Denn heute leben wir in einer voll­kom­men ent­po­li­ti­sier­ten Ära - die Men­schen drän­gen Po­li­tik in Par­tei­aus­schüs­se, neh­men das von dort Aus­ge­kotz­te dann ab­ni­ckend, manch­mal auch leicht mur­rend zur Kennt­nis, küm­mern sich aber an­sons­ten lie­ber um ein nach Außen re­la­tiv ab­ge­schot­te­tes Pri­vat­le­ben. Sie wol­len Hei­me­lig­keit, keine Kon­tro­ver­sen und Er­ör­te­run­gen. Po­li­tik ist damit zu einem Ge­schäft ge­wor­den, dass von aus­ge­bil­de­ten Ge­schäfts­leu­ten aus­ge­übt wird - man ist dank­bar dafür, dass sie es auch lei­ten, damit das po­li­ti­sche Ge­schwätz nicht zu je­der­manns Sache wer­den muß. Laß mich mit Po­li­tik in Ruhe!, hört man oft; Seien Sie mal nicht so po­li­tisch!, ist auch eine Auf­for­de­rung, die nicht rar wird in un­se­ren Tagen. Wir sind zu einer un­po­li­ti­schen Ge­sell­schaft her­un­ter­ge­kom­men, ma­chen uns aber sel­ber weis, dass die­ser Ab­stieg ein Fort­schritt sei; wir sind zu einer un­po­li­ti­schen Ge­sell­schaft mu­tiert, die die po­li­ti­sche Denk­ar­beit einer ge­sell­schaft­li­chen Haute­vo­lee über­ge­ben hat, damit man sich selbst um die un­mit­tel­ba­ren Dinge des Le­bens küm­mern kann. Po­li­tisch zu den­ken, für ei­ge­ne Idea­le zu strei­ten, Farbe zu be­ken­nen ist aus der Mode ge­ra­ten - »die da oben« wer­den es schon in unser aller Namen rich­ten!

Eher paßt sich die Men­ta­li­tät un­se­res Zeit­al­ters an die Ge­ge­ben­hei­ten des Vor­märz an. Po­li­tisch zu den­ken galt im Bie­der­mei­er als un­sitt­lich - das Heim wurde zum Rück­zugs­ort, weil die Öf­fent­lich­keit zum Fla­nie­ren und Plau­schen um­funk­tio­niert wurde. Das ei­ge­ne Do­mi­zil galt als Boll­werk gegen die Wid­rig­kei­ten des öf­fent­li­chen Le­bens. Nie mehr Re­vo­lu­ti­on woll­te man er­le­ben, nie mehr die Fol­gen am ei­ge­nen Leib spü­ren. Wenn der Preis das po­li­ti­sche Schwei­gen war, so zahl­te man ihn gerne, zog man sich be­reit­wil­lig ins hei­mi­sche Wohn­zim­mer zu­rück. My home is my cast­le!, wurde zum Schlacht­ruf des Bie­der­mei­er. Zwi­schen ­kel­deck­chen und Zie­rat, die den häus­li­chen Muff etwas auf­lo­ckern soll­ten, die die ab­ge­gra­be­nen En­er­gi­en, die der Po­li­tik nicht mehr zu­ge­führt wur­den, son­dern nun in auf­wän­di­ge Schnör­kel und Schleif­chen, Ac­ces­soires und Zier­kis­sen­pa­ra­den ge­steckt wur­den, däm­mer­te der zoon po­li­ti­kon, das po­li­ti­sche Le­be­we­sen, in Be­täu­bung hin­über. Die we­ni­gen po­li­ti­schen Köpfe, die Texte schrie­ben, sich stur an ihre po­li­ti­sche Ge­sin­nung klam­mer­ten, gal­ten als halb­sei­den, als nicht ganz ge­sund - der po­li­ti­sche Kopf war ein kran­ker Kopf; Po­li­tik war dem­nach ein krank­haf­ter Aus­wuchs, wenn sie aus dem Wohn­zim­mer her­aus be­trie­ben wurde. Die hohen Herrn, dar­über war man sich einig, könn­ten das alles viel bes­ser, viel ge­rech­ter.

Wei­mar ist nicht mit uns ver­gleich­bar - der Vor­märz hin­ge­gen mit Ab­stri­chen schon. Letz­te­rer hielt sich hart­nä­ckig, über­dau­er­te ei­ni­ge De­ka­den, wäh­rend die Re­pu­blik von Wei­mar de facto schon nach einer De­ka­de am Ende war. Zu Wei­mar war es Men­schen­wür­de, den Men­schen Lohn und Brot zu geben oder je nach Geis­tes­kraft, schäd­li­che Sub­jek­te aus dem Volks­kör­per aus­zu­le­sen. Selbst die wi­der­li­chen Les­ar­ten von Men­schen­wür­de waren dem­nach po­li­tisch kon­zep­tio­niert - nach den Be­frei­ungs­krie­gen war Men­schen­wür­de, zwi­schen sei­nen ge­stick­ten Kis­sen auf dem Ka­na­pee zu ho­cken; kein po­li­ti­scher, ein un­po­li­ti­scher Rück­zug in die Würde, in das, was man für Würde hielt. Auch wir spre­chen heute viel von Men­schen­wür­de, man­che mei­nen es si­cher­lich sogar ernst, nur scheint die ent­po­li­ti­sier­te Mehr­heit über­haupt kein Be­dürf­nis mehr da­nach zu haben, für mehr Würde zu strei­ten - schnell heim auf das Sofa, sich in De­cken ein­mum­meln, Ge­müt­lich­keit spü­ren, Be­hag­lich­keit ge­nie­ßen: dort ist die große Po­li­tik nicht zu Gast, dort kann der Quark um die Men­schen­wür­de drau­ßen blei­ben.

Der Vor­märz war eine lang­fris­ti­ge Ära - und es deu­tet vie­les dar­auf hin, dass auch wir vor einer lan­gen Zeit­span­ne ent­po­li­ti­sier­ten Han­delns ste­hen. Wei­mar war schnell Ge­schich­te, als Folge einer durch­po­li­ti­sier­ten Ge­sell­schaft - heute riecht es nicht nach schnel­len Enden. Es steht auch gar nicht zur De­bat­te dar­über zu grü­beln, was uns lie­ber sein könn­te: Wei­mar oder Vor­märz. Alles hatte seine Zeit und wir wie­der­ho­len nichts. Auch nicht den Vor­märz, der uns ein wenig äh­nelt! Der als Be­griff oh­ne­hin fa­den­schei­nig ist, weil er von einer Re­vo­lu­ti­on kün­det, von einem Vor­sta­di­um, das es ver­mut­lich aber gar nicht gibt - fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren, An­äs­the­sie der Mas­sen, tit­ty­tain­ment und al­ler­lei Ein­lul­lungs­me­cha­ni­ken ver­un­mög­li­chen die Re­po­li­ti­sie­rung merk­lich. Aber von einem bie­der­mei­er­schen Ko­lo­rit, den diese ak­tu­el­le Ge­sell­schaft auf­weist, kann man durch­aus reden. Und noch etwas gilt es zu be­den­ken: wir glei­chen Wei­mar we­ni­ger als denen, die nach Wei­mar kamen. Denn auch jene sahen eine un­po­li­ti­sche Ge­sell­schaft mit Freu­den, auch jene er­kann­ten den Vor­teil un­po­li­ti­scher Men­schen­mas­sen.

Die­ser Text er­schien ur­sprüng­lich auf ad si­nis­tram.



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