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Die Kanzlei in der Stauferzeit  
 
 Über welche Herrschaftsinstrumente verfügten die staufischen Könige (Kaiser)
 und das Reich wenn sie die Organisation staatlichen Lebens lebendig fortführen
 und ausgestalten wollten? Hierbei stoßen wir sofort auf eine Einrichtung, nämlich
 auf die Kanzlei als Organ der Regierung und Verwaltung des Imperiums.
 Die hochmittelalterliche Kanzlei des Herrschers ist jedoch keine festgefügte
 Institution und nicht mit heutigen Behörden zu vergleichen. Die Quellen nennen
 bis ins 12. Jahrhundert vielfältig das Wort cancellarius. Die große Zahl derartiger
 Begriffe zeigt die Bedeutung für die Würde des Amtes an.
 Schon weil das Königtum keine ständige Residenz besaß, konnte die Kanzlei
 keinen festen Sitz und keine Amtsräume haben. Sie war genötigt, mit einem
 Mindestmaß an Unterlagen ihr Auskommen zu finden, die die Begleitung des
 Herrschers auf den Umritt durch das ausgedehnte Reichsgebiet mit sich führte.
 Archive und Register standen nicht zur Verfügung. Die Beurkundung stand in einer
 ehrwürdigen Tradition und beachtete gewisse feststehende , mehr oder minder
 erstarrte Gewohnheiten. Es bestand keine Kanzleiordnung und kaum eine
 geregelte Geschäftsführung.
 Der Kanzleibegriff ist mit einem ganz konkreten historischen Sachgehalt
 verbunden denn er dient der Beschreibung bestimmter Tatbestände, deren
 Aufhellung zu den wesentlichen Aufgaben der Urkundenforschung gehört.
 Alle Personen die ständig mit der Herstellung von Urkunden beschäftigt sind
 werden als Kanzleiangehörige bezeichnet. Als kanzleigemäß werden die
 charakteristischen äußeren und inneren Merkmale eines Ausstellers bezeichnet.
 Die Unterscheidung zwischen Kanzlerwürde und Kanzlei als Institution
 verdeutlicht sich dadurch, dass es Herrscher gab die zwar einen Kanzler, aber
 deshalb noch keine Kanzlei besaßen. In diesen Fällen bestand das Hofamt,
 dessen Träger eine einflussreiche politische Rolle spielte, aber es existierten
 keine Kanzleischreiber, die die Aufgaben hatten, nach bestimmten Regeln
 Urkunden auszufertigen.
 Da bis ins Hochmittelalter hinein nur die Kleriker die Kunst des Schreibens
 beherrschten, lag die Ausfertigung der Urkunden und die Arbeit in der Kanzlei in
 der Hand der Hofgeistlichen, die man als Kapellane bezeichnete. Kanzleidienst
 war geistliche Hofdienst im Gefolge des Monarchen, durch dessen Gunst man
 hoffen durfte, Karriere in der kirchlichen Hierarchie des Reiches zu machen. Diese
 Kräfte, die vielfach den vornehmsten Familien entstammten, arbeiteten unter der
 Leitung eines ebenfalls geistlichen Kanzleivorstandes, für den sich der Titel
 cancellarius eingebürgert hatte. Die feudal-aristokratische Denkungsart, die seit
 dem Zeitalter der Ottonen den Aufbau der Reichskirchenverfassung vollends
 bestimmte und unter Barbarossa eine besonders reine Ausprägung fand,
 entsprach es, dass das Ehrenamt des Erzkanzlers in der Hand eines der
 vornehmsten geistlichen Fürsten lag. Nun galten Deutschland, Italien und
 Burgund an und für sich als gesonderte Königreiche. Es gab deshalb eigene
 Erzkanzler für jedes dieser drei regna, obwohl im 12. Jahrhundert für das ganze
 Imperium nur mehr ein Kanzler und eine einzige Kanzlei tätig waren. Die Würde
 des Erzkanzlers lag seit der Zeit Ottos des Großen (965) ständig in der Hand des
 Erzbischofs von Mainz, jene für Italien seit 1031 mit geringfügigen
 Unterbrechungen beim Erzbischof von Köln.
 Auch die eigentlichen Leiter der Kanzlei, die Kanzler, wurden zur Zeit Barbarossas
 in den Formen lehensrechtlicher Symbolik in ihr Amt investiert, das mit dem Rang
 eines Reichsfürsten verbunden war. Sie zählten zu den hervorragendsten
 staatsmännischen Mitarbeitern des Kaisers. Ihre Dienste wurden in der Regel
 dadurch belohnt, das sie zu Erzbischöfen, bzw. zu Bischöfen ernannt wurden. Eine
 Ernennungsurkunde enthält gewisse Aussagen darüber, welche Vorstellung man
 am Kaiserhofe von den Aufgaben des Erzkanzlers hatte. Es handelt sich um eine
 Würde bei Hofe, der Reichserzkanzler oder auch Hoferzkanzler genannt, ist ferner
 oberster der Notare. Der Hof galt als Mittelpunkt des Reiches.
 Eine Neuerung zur Zeit Barbarossa ist die Einführung der Würde des
 protonotarius. Die Herkunft des Titels, den damals nur eine einzige Person bei
 Hofe trug, ist nicht geklärt.
 Während die Kanzler und Erzkanzler sich über vielfältige Quellen nachweisen
 lassen bleiben die eigentlichen Träger der Kanzleiarbeit anonym. Weder durch die
 Nennung ihres Namens, noch durch die Eigenhändigkeit ihrer Schriftzüge bürgen
 diese untergeordneten Kräfte in irgendeiner Weise für die Glaubwürdigkeit der
 von ihnen verfassten und geschriebenen Urkunden; letztere beruht zur Zeit
 Barbarossas ausschließlich auf dem Siegel des Herrschers. Seitdem es nicht mehr
 üblich war, dass dieser einen Strich in das aus Buchstaben seines und Titels
 zusammengesetzte Monogramm eigenhändig einsetzte, um das Diplom zu
 vollziehen, war die Kaiserurkunde eine reine Siegelurkunde geworden. Von ganz
 vereinzelten Ausnahmefällen abgesehen, erscheinen die Schreiber der Diplome
 auch nicht in den Zeugenlisten, in denen in erster Linie die geistlichen und
 weltlichen Fürsten und Großen des Reiches, dann auch Personen geringeres
 Standes genannt werden. Das Kanzleipersonal kam seiner rechtlichen und
 ständisch-sozialen Stellung nach dafür normalerweise nicht in Betracht.
 Die Tätigkeit dieser Kräfte lässt sich nur über den Schrift- und Diktatvergleich
 rekonstruieren. Dem Schriftvergleich gebührt dabei unbedingt der Vorrang, wie er
 fast stets zu ganz eindeutigen Ergebnissen führt. Außerdem ist im Normalfalle die
 Annahme naheliegend oder doch sorgfältig in Betracht zu ziehen, dass Schreiber
 und Verfasser ein und die selbe Person sind. Der Schriftvergleich dient zunächst
 der Echtheitskritik. Sind mehrere Urkunden eines Herrschers für verschiedene,
 untereinander nicht im Zusammenhang stehende Empfänger von derselben Hand
 geschrieben, dann können sie nur von einem Angehörigen der Kanzlei des
 Ausstellers stammen. Damit besteht auch die Möglichkeit, festzustellen, wie viele
 Kräfte damals in der Kanzlei tätig gewesen sind. Da wir zwar ihre graphische
 Individualität, aber nicht ihre Namen kennen, bezeichnen wir sie mit einer Sigle,
 die sich aus dem Namen des Kanzlers, unter dem sie dienen, und einem weiteren
 Buchstaben zusammensetzt. So ist zum Beispiel RC nach diesem System der
 dritte unter der Kanzlerschaft Rainalds von Dassel tätige Schreiber mit den Mitteln
 des Schriftvergleichs zu erfassen.
 Der Diktatvergleich ist mit größerer Behutsamkeit zu handhaben. Im
 mittelalterlichen Latein bedeutet das Wort dictare, ein Schriftstück in einer
 gehobenen Redeweise abzufassen. Der Diktator dieser Urkunde ist also der
 Verfasser. Erst die Feststellung aller individuellen Stilelemente und Gewohnheiten
 erlaubt die Zuweisung des Diktats an eine bestimmte Persönlichkeit.
 Es besteht kein Zweifel, dass der Zusammenhang zwischen Kanzlei und
 Hofkapelle unter Friedrich I. weiterhin in der gleichen Weise fortbestand wie unter
 seinen Vorgängern.
 Das System der kurialen Amtstätigkeit in der Kanzlei des Hofes verfeinerte sich
 im 13. Jahrhundert und war bedeutend besser organisiert.
 
 
 
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