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Yadgar schrieb am 20.7. 2006 um 11:40:23 Uhr über

Proll

Die Grundlage für die heutige Verprollung und Verblödung der deutschen
Gesellschaft wurde in Westdeutschland im Wesentlichen durch Dr. Kohls
»geistig-moralische Wende« von 1982/83 gelegt - damals begann der
Elite-Diskurs, damals begann man mittels Bafög-Kürzungen,
Unterschichtkinder vom Studieren abzuhalten, damals (Anfang 1984) wurde,
ursprünglich zur Zurückdrängung des 68er-Einflusses in den Medien, das
Kommerzfernsehen eingeführt... Bildung sollte fortan wieder, wie im
bleiernen, schwarzbraunen Mief der Jahre vor 1968, ein Privileg für
Wenige sein, die Massen hingegen mit Amüsiermüll ruhiggestellt werden,
Restauration auf der ganzen Linie.

Um die längerfristigen Folgen machte man sich damals keinen Kopf... zwar
waren »Tutti Frutti« und »Power Rangers« nicht gerade Propaganda für das
Christliche Abendland (R), aber wenigstens war jetzt Schluß mit der
ewigen penetranten Hinterfragerei und Emanzipations-Agitprop bei den
Öffentlich-Rechtlichen, die Werbebranche florierte, die Normalos saßen
zufrieden vor der Glotze, und außer ein paar moralhysterischen Juristen
(Mutlangen 1986) und autonomen Wirrköpfen (Startbahn West, Wackersdorf)
wagte es auch niemand mehr, für oder gegen irgendetwas zu demonstrieren,
es herrschte Friede im Land!

Dass mit RTL-sedierten, dem in unzähligen Gameshows, krawalligen
Nachmittags-Talks und Seifenopern vorgelebten Proll-Hedonismus
huldigenden Konsumjunkies zwar keine antiautoritäre Revolution, aber
eben auch auf die Dauer kein Staat und vor allem keine moderne
Wirtschaft jenseits von korporatistischer
Wirtschaftswunder-Industrieromantik zu machen war, begriff man erst, als
so etwa um 1993 herum der Wiedervereinigungsrausch dem Rezessionskater
wich.

Und welche desintegrierende Wirkung diese massenmedial propagierte
Unterschichts-Popkultur auf die Migrantenmilieus haben könnte, dass
durfte 1983 bis 1998 überhaupt nie Thema sein, denn nach einem der
Grunddogmen des Kohlservatismus (und seiner Vorgänger) ist Deutschland
kein Einwanderungsland, ist Deutschland kein Einwanderungsland, ist
Deutschland kein Einwanderungsland! Folglich erübrigten sich auch alle
Diskussionen über nachhaltige Intergration insbesondere der türkischen
Minderheit, stattdessen wurden Mitte der 80er Rückkehrprämien für
Ausländer propagiert und wohl auch gezahlt.

In beiden deutschen Staaten hielt man sich in den Nachkriegsjahrzehnten
an die an NS-Vorgehensweise (Stichwort Fremdarbeiter) anknüpfende
Tradition der räumlichen Segregation von Minderheiten, hüben wie drüben
gab es Gastarbeiterwohnheime, später dann in Westdeutschland ethnisch
homogen geprägte Straßenzüge und ganze Stadtviertel. Seitens des
politischen Establishments in beiden deutschen Staaten (und das gilt im
Hinblick auf Westdeutschland für beide parteipolitischen Lager) glaubte
man damit zwei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen: zum einen wurde
den Einwanderern die Ankunft in Deutschland durch ein Leben unter
Gleichsprachigen leicht gemacht, zum anderen blieb der
Mehrheitsgesellschaft die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Kultur
der Fremden erspart.

Ich bin leider nicht im Bilde, wie seinerzeit (Anfang der70er?) die
Regelungen zum Familiennachzug von Nicht-EU-Ausländern (womit in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle Türken gemeint waren) zustande kam,
offensichtlich stellte man sich seitens der sozialliberalen Koalition
auch dabei nicht offensiv dem Thema »Einwanderungsland oder nicht?«,
sondern hielt die Sache halbherzig unter der Decke.

Und die Neue Linke? Nachdem dieser bis Mitte der 70er Jahre klar wurde,
dass nicht mal Ali am Ford-Fließband für die Revolution zu begeistern
war, von seinen deutschen Kollegen gar nicht zu reden, verlegte man sich
auf Ökologie, Pazifismus, Frauenrechte, in den 80ern dann zunehmend
auf postmodern-behagliche linksliberale Mittelstandskultur, ließ sich
weitgehend widerstandslos eingemeinden nach Peter Glotz'
Zwei-Kulturen-Modell, »uns die Macht, euch den Geist«, während in
Berlin-Kreuzberg, Köln-Kalk und anderswo durch eingeflogene
analphabetische Brautkusinen aus dem fernen Afyonkarahisar die
anatolische Dorfkultur mitten in Almanya perpetuierten.

Zwischen einem langhaarigen Ex-Hausbesetzer und Kickbox-Murat im
tiefergelegten 3er-BMW, oder auch zwischen der lila Latzhosen-Lesbe und
der im Neuköllner Sozialbau-Wohnklo in Purdah gehaltenen besagten
Kopftuch-Kusine aus Afyonkarahisar bestehen einfach zuwenig
Gemeinsamkeiten hinsichtlich gesellschaftlicher Position und Interessen,
als dass man sich überhaupt nur füreinander interessiert, geschweige
denn aneinander Anteil nimmt.

Multikulti als fröhliches, exotisch buntes Stadtteilfest, das gibt es
vielleicht im studentischen Milieu, aber nicht zwischen real
existierenden deutschen und eingewanderten Unterschichtlern, da fehlt es
einfach auf beiden Seiten an interkultureller Kompetenz.

Und jetzt stelle man sich in dieser Situation noch den Einfluss von
chronischer Frustration durch Jugendarbeitslosigkeit, in sozialer
Abschließung fortgeführter hermetischer Dorfkultur, aggressiver
Verherrlichung des kriminellen Milieus in Actionreißern und gewissen
Formen US-amerikanischer PopkulturGangsta-Rap«), schließlich der im
Laufe der 80er und 90er Jahre zunehmende aufgekommenen Verquickung von
türkischem Nationalismus und militantem Islam vor... da haben wir unser
spezifisch deutsches Migrationsproblem!


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