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D. A. Gray schrieb am 18.1. 2008 um 02:19:10 Uhr über

Enttäuschung

»Fasten your seatbelts! Fasten your seatbelts!«

Die Ansage aus den Bordlautsprechern weckt mich aus meinen Träumen... dreieinhalb Stunden Zeitverschiebung, eigentlich brauche ich keinen Jetlag zu fürchten, da es um diese Jahreszeit ohnehin noch stockdunkle Nacht ist.

Da setzt die Maschine auch schon auf, eine Bilderbuchlandung, aber dies ist nicht die Sorte Flug, bei der applaudiert wird - zumal ich auch der einzige Passagier in der Touristenklasse bin.

Draußen auf dem Flugfeld empfängt mich dichter kalter Nebel, so dicht, dass nur wenige Meter weit sehen kann, meine Mitreisenden aus der Business Class erkenne ich nur schemenhaft, sie haben es offensichtlich eilig, um nicht den Anschluss zu verlieren strebe ich ihnen nach...

...aber ich kann nicht mit ihnen Schritt halten, falle zusehends zurück... und stehe plötzlich alleine im Nebel! Weit und breit kein Orientierungspunkt, nicht einmal die Boeing 727, die mich hierher gebracht hat, ist noch zu sehen!

Ratlos laufe ich in irgendeine Richtung, bis es vor mir heller wird, anscheinend der neonbeleuchtete Eingangsbereich eines der Abfertigungsgebäude... ich trete ein, zeige dem Zollbeamten meine Dokumente, ganz wider Erwarten dauert die ganze Prozedur kaum zwei Minuten, aber dann höre ich einen seltsamen Satz:

»You know, the next plane is only at 8.15 pm

Wieso »next plane«? Ich habe ein gültiges Einreisevisum! Habe ich mich im Gebäude geirrt? Nein, das hat alles seine Richtigkeit, ich möge doch bitte im Wartesaal Platz nehmen, »I can't let you go anywhere!«.

Ich bin perplex. Nicht nur, dass man mich gleich wieder nach Hause schickt, das Gebäude scheint auch nur aus dem Zollschalter und eben jenem Wartesaal zu bestehen - keine Chance, hier wegzukommen, es sei denn mit dem Flugzeug heute Abend!

Ich trete in den Wartesaal, eine große kahle Halle mit langen Reihen von orangen Plastikstühlen und einer durchgehenden Glasfront zum Flugfeld hin... und, fast habe ich es erwartet, bleibe ich auch hier alleine. Eine große Uhr über der Fensterfront zeigt die lokale Zeit an, aus Lautsprechern dringt gedämpfte Musik - käsiger Mainstream-Pop der 70er Jahre, ich glaube 10CC und Fleetwood Mac herauszuhören, einmal auch »Eye in the Sky« von Alan Parsons Project.

Wo bin ich hier bloß gelandet? Ich bin wahrlich nicht auf gut Glück losgeflippt, habe mich lange und ausführlich über die praktischen Aspekte der Reise informiert, Einreisebestimmungen, Impfungen, Wechselkurse, gar nicht zu reden von all den Jahren, in denen ich jede erreichbare Literatur über das Land meiner Sehnsucht verschlang... und jetzt sieht es ganz so aus, als bekäme ich von ihm nichts zu sehen außer ein paar hundert Quadratmetern verwittertem Beton.

Es wird zusehends hell, aber der Nebel lichtet sich nicht, da draußen ist einfach nur ein konturloses weißes Nichts. Die Stunden verstreichen, 10CC, Fleetwood Mac und Alan Parsons Project nudeln stoisch vom Endlosband, was ein Glück, dass ich auf dem hinter mir liegenden Nachtflug zu müde war, meine Müsliriegel gleich aufzufuttern...

Ich bin nicht naiv, ich hatte durchaus mit einem Frontalangriff auf die Restbestände meiner romantischen Vorurteile gerechnet, mit mörderischem Verkehr, atemraubendem Smog und dem ganzen Chaos, das mir aus den einschlägigen Reportagen vertraut war. Stattdessen erlebe ich buchstäblich nichts, rein gar nichts!

Ich beginne zu zweifeln, ob ich überhaupt dort bin, wohin zu reisen ich vernünftigerweise von ausging... der Zollbeamte, in seiner ganzen freundlichen Korrektheit, könnte ohne weiteres auch Inder, Nordafrikaner oder Brasilianer sein... aber für Bombay, Tunis oder Rio de Janeiro passt das Wetter hier definitiv nicht!

Die Januarnacht senkt sich allmählich über den Flughafen von... tja, wenn ich es nur wüsste! Doch da höre ich auch schon die näher kommenden Triebwerke der 20:15 Uhr-Maschine im Landeanflug, nun denn, das war es dann wohl, auf Wiedersehen, unbekanntes Land? Der Nebel hat sich zwischenzeitlich ein wenig gelichtet, ich finde jetzt problemlos den Weg zum Flugzeug, kann sogar die dunklen Umrisse von Hügeln jenseits der Landebahn erahnen, aber jetzt ist es zu spät, jetzt muss ich die Rückreise antreten... wieder bin ich der einzige Passagier in meiner Klasse, aber darüber wundere ich mich mittlerweile nicht mehr, ich bin heilfroh, diesem absurden Nicht-Abenteuer entronnen zu sein und will nur noch schlafen und vergessen...

Die Boeing rollt auf ihre Startbahn, nimmt Fahrt auf und hebt ab... aber ich bekomme schon nichts mehr mit, irgendwann später muss ich kurz aufgewacht sein und staune über den fantastischen Sternenhimmel im Fenster, aber da ich keine Ahnung habe, wieviel Zeit seit dem Start vergangen ist, messe ich dem keine Bedeutung zu und schlafe gleich wieder ein.



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