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Unterwegs im Klang
Zur Physiognomie der Musik von Volker Staub
Von Ernstalbrecht Stiebler
Die Werkstatt seines Großvaters, eines Architekten, war der Ort, an dem Volker Staub der Welt seiner Klänge begegnete. Verschiedenste Materialien, vor allem Holz und Metall, lagerten dort in ganz unterschiedlichen Abmessungen, gleichsam ein riesiger Klangspeicher, der nur geöffnet werden musste, indem man ihn berührte, anstieß, zum Klingen brachte. Dieses Berühren, dieses Anstoßen der Materie wurde zum Impuls von Volker Staubs Musik, seiner Arbeit mit dem Klang. Ob Gegenstände der Natur oder der Zivilisation, Baumstämme oder Metallfässer, sie werden zum Klangmaterial im ursprünglichen Sinn des Wortes – und nicht die traditionellen von Musikgeschichte beladenen Klänge der klassischen Instrumente, deren sogenanntes Material längst zu einem teilweise über Jahrhunderte entwickelten Kunstprodukt geworden ist.
Volker Staub nahm sein Klavier auseinander, ging zurück an den Ursprung, an die materielle Basis dieses technisch so entwickelten Instruments. So war er gleichsam immer auf Entdeckungsreise in einem Land der Klangmaterialien, die noch kein System bildeten, außer den Verwandtschaften des Materials wie Holz, Metall, Glas, also eigentlich in einem Urwald, der, alles andere als chaotisch, aus gewachsenen, vielfältigen, sich überlagernden Ordnungen besteht, nur nicht aus menschlich-artifiziellen Strukturen.
Der Klang an sich aber ist von Natur aus grenzenlos, breitet sich nach allen Seiten aus und umschlingt alles, was ihm begegnet. Dieses Prinzip verkörpern schon in der klassischen Welt die Sirenen, die in ihrem verführerischen Klang-Gleiten jede strukturelle, intervallische Begrenzung auflösen in ein Klangtotal, ein Kontinuum, das gleichsam noch den Unterschied zwischen Äther und Orkus aufhebt. So werden sie zu einer magischen Figur der Bedrohung, der Gefahr. Vor der destruktiven, zerstörerischen Verführung der homerischen Sirenen half nur die Flucht. Volker Staub begegnete auf seiner Odyssee durchs Reich der Klänge den modernen, schwächeren Abkömmlingen der alten »Verführerinnen«, den Motor-Sirenen. Er hat sie gezähmt, ihre Motoren kontrolliert, ihre Klänge Zeit- und Tonhöhenverläufen unterworfen, zum Beispiel in seiner ersten großen Installation 1990 zusammen mit der Kölner Performance-Künstlerin Angie Hiesl, als er mit sieben Motorsirenen die gewaltige Brückenkonstruktion der Kölner Südbrücke zum Erklingen brachte.
Schritt für Schritt, kontinuierlich, erweiterte Volker Staub diesen Ausgangspunkt des Materialklangs. Da gab es keine Formideen strukturell-abstrakter Art oder gar Elemente traditioneller Formen im Sinne der Postmoderne oder des Klassizismus, vielmehr forderte die Widerständigkeit des Materials Techniken zu deren Überwindung heraus. Diese Techniken waren zunächst darauf gerichtet, den Klang eines Materials zu präsentieren, geradezu im Sinne einer Versuchsanordnung. Daher sind die ersten Stücke (z. B. Nr. 1 – Nr. 5) noch relativ kurz, sie haben einen experimentellen Charakter.
Notenbeispiel 1: Nr. 1 (1984)
Volker Staub entwickelte seine Arbeit in zwei Stufen. Die erste war die des Instrumentenbaus: Hier ging es nicht darum, den Klang nach einer bestimmten Ästhetik zu verbessern, sondern im Gegenteil, die Charakteristik des vorgefundenen Materials zum Beispiel mithilfe von Resonanzkörpern hörbar zu machen. Diese handwerkliche Basisarbeit ist bereits der Beginn seines Komponierens, darin der elementaren Materialbearbeitung der bildenden Künstler nahe.
Die Körperlichkeit des Klangs ist die Grundlage seiner Arbeit: die Textur der Klang-Gemische, ihre »Rauhigkeit«, die Partialtonverhältnisse, aber auch der »natürliche« Glanz der Obertonspektren.
Dabei ist die bewusste Einfachheit dieser Instrumente nur ihre technische Außenseite. Sie erinnert ein wenig an das Verfahren von John Cage in seinen Variations VIII, die den Interpreten ausdrücklich auf das, was am Ort des Konzerts vorhanden ist, verweisen, auf ein elementares Instrumentarium im weitesten Sinne, wie zum Beispiel irgendwelche Maschinen oder Geräusche von außen. Diese Einfachheit steht aber geradezu in einem dialektischen Verhältnis zu der mehrdeutigen ästhetisch-artifiziellen Position mit ihrem durchaus komplexen Hintergrund: bestimmt durch eine Nähe zur arte povera, einer Abkehr von Megatechnik, einer fast ökologischen Beschränkung der Mittel, aber auch einer Pioniermentalität, die wiederum an Thoreau erinnern mag oder an Älteres, fast Vergessenes, Neolithisches.
Immer ist eine Annäherung an sogenannte »primitive«, alte Musikkulturen erkennbar. Aber die alten Instrumente und deren Musiker werden nicht einfach in einen neuen Zusammenhang »transponiert« im Sinne einer gängigen multikulturellen Praxis, sondern hier findet eine spezifische Annäherung statt. Die archaische Kraft der Musik, ihre Verbindung zu alten, vielfach schon ins Vorbewußte abgesunkenen Traditionen, wird durch die eigene »Klang-Arbeit« mit den alltäglichen Materialien erfahrbar; viel fragmentarischer zwar und vermittelter als durch den Import von »Original-Afrika«, dafür aber in einer heutigen und uns betreffenden artifiziellen Realität.
Die zweite Stufe nach dem Instrumentenbau ist dann die Komposition, die Technik, den Klang der Instrumente in die Zeit zu exponieren. Ein wesentlicher Schritt war auf diesem Wege, im Rahmen von Staubs Studiums bei Johannes Fritsch, die schrittweise Adaption von traditionellen Instrumenten in seine originellen Klang-»Konkretionen«. Damit wurden diese der Kunstmusik näher gerückt, zugleich aber die traditionellen Instrumente, wie zum Beispiel zuerst die Posaunen und dann nach und nach alle wichtigen Orchesterinstrumente, in einen anderen, umfassenderen historischen Kontext gestellt.
Notenbeispiel 2: Nr. 10 (1986), Seite 30
Sie sind nicht nur Träger musikalischer Ideen, sondern zugleich Träger von Tradition, einer Tradition der Instrumente und ihrer Musikgeschichte, in der Nachbarschaft von Volker Staubs eigenen Instrumenten, changierend zwischen Kontrast und Verwandtschaft.
Bis heute lebt seine Musik aus diesem Widerspiel, das dazu anregt, die Musik neu zu bestimmen, ihre Herkunft und gerade ihre Künstlichkeit als eine materialbezogene zu verstehen, nicht als Vergeistigung, eher als eine Materialisierung von Musik. Das Material dient nicht dem Geist, sondern dieser ist Teil desselben, im Material aufgehoben, in dessen Differenzierungsstufen und geschichtlichen Manifestationen.
Eine ganz wesentliche Eigenschaft des Klangs bestimmt zunehmend die Formenwelt seiner inzwischen zuweilen abendfüllenden Kompositionen: die Transparenz, die Durchlässigkeit des Klangmaterials, das seinerseits Materie durchdringt und zugleich selbst durchlässig ist. Diese Permeabilität überträgt Volker Staub auch auf seine Kompositionsaggregate; verschiedene Stücke können sich ganz oder teilweise durchdringen und formen so neue, höher organisierte Einheiten, wie zum Beispiel Suarogate, das in seiner komplexesten Version aus 37 Stücken besteht.
Der Klang selbst und insbesondere seine Eigenschaft der Permeabilität deuten, im Vergleich zu anderen Materialien wie Stein, Farbe oder sogar Sprache, auf Immaterielles, wenngleich es sich dabei nur um ein Symbol für das Immaterielle, Geistige handeln kann. In den alten Kulturen, auf die gerade Staubs Instrumente immer wieder verweisen, war es Beschwörung von Geistigem. So leistet auch Volker Staubs Musik bei all ihrer Bindung ans Material – und vielleicht deshalb um so wirksamer – zuletzt doch auch ihren Tribut an diese symbolische Kraft der Musik, die in ihrer Geschichte wurzelt, die zugleich auch die unsere ist.
(in: Booklet zur CD <Volker Staub, Suarogate>, WER 6545 2)
Copyright: Edition Zeitgenössische Musik, Ernstalbrecht Stiebler
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