„Berlin zieht sich aus – und es war nie schön“
Eine modische Abrechnung in 12 Bezirken.
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Prenzlauer Berg – Konzepteltern in Hanfschichten
Hier sehen Windeln und Wollpullover gleich aus.
Kinderwagen im Wert eines Gebrauchtwagens werden von Paaren geschoben,
die aussehen wie ein veganer Pinterest-Account.
Er trägt: Latzhose in Salbeigrün, Crocs mit Aufklebern, Bart mit Ideologie.
Sie trägt: Wickelkleid in “Hafermilchschaum”, Filzschuhe, und ein Blick wie „Ich hab die Welt verstanden, du nicht.“
Baby trägt Leinen.
Hund trägt Pullover.
Alle tragen Überzeugung.
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Friedrichshain – Techno in Turnbeuteln
Hier ist Schwarz nicht Farbe, sondern Religion.
Wer nicht mindestens zwei Tage durchgefeiert aussieht,
gilt als konservativ.
Man trägt: Netzstrümpfe unter Bauarbeiter-Shorts,
glitzernden Lidschatten um 11 Uhr morgens,
und ein bizarres Maß an Gürteltaschen – quer, längs, diagonal.
Man sieht aus wie ein DJ,
hat aber keinen Job.
Und man behauptet, Kleidung sei „künstlerisch gemeint“.
Sie ist nur: kaputt.
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Kreuzberg – Political Fashion Victims
In Kreuzberg trägt man Meinung.
Auf dem Shirt: “Antifaschistisch seit Geburt.”
Auf der Jacke: Buttons, Patches, Reste von Diskussionen.
Die Hosen sind weit, weil Grenzen eng sind.
Der Look ist bewusst ungepflegt –
weil Ästhetik schon fast rechts ist.
Turnschuhe: platt. Haare: absichtlich chaotisch.
Zähne: optional.
Und alles mit der Energie von:
„Wenn du mich nicht verstehst, bist du das Problem.“
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Neukölln – Glanz, Gosse, Genie in einer Jogginghose
Stil in Neukölln ist ein Pendel zwischen brutal hässlich und genial ironisch.
Er trägt: glänzende Adidas-Hose, Daunenjacke im Sommer,
Bauchtasche wie ein Waffenschein.
Sie trägt: Leo-Mantel, bauchfrei, Riesenohrringe, und Lippen wie Comicfilter.
Dazu ein Handy, das als Spiegel dient – permanent.
Hier wird alles gleichzeitig getragen: Marke, Mangel, Mut.
Es ist verstörend. Es ist ehrlich.
Es ist Berlin.
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Mitte – Möchtegern-Monochrom mit Laptop-Lächeln
Mitte trägt Schwarz – aber nur hochwertig.
Hier arbeiten Menschen, die nichts produzieren,
aber sehr viel „betreuen“.
Kreativdirektor:innen ohne Output.
Outfit: Designer-Hoodie in Anthrazit, teure Sneaker, AirPods als Statussymbol.
Brille: randlos, aber die Haltung nicht.
Man trägt Rollkragen, nennt’s „reduziert“, meint: „Ich bin relevant.“
Style-Motto: „Ich sehe teuer aus, aber denk trotzdem links.“
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Charlottenburg – Stil aus dem Jahrgang 1947
Hier wird nicht experimentiert.
Hier wird konserviert.
Er trägt: Steppjacke, Kaschmirschal, Derby-Schuhe.
Sie trägt: Farbtupfer-Blazer, Perlenkette, Frisur mit Haarspray aus der Ära Kohl.
Mode ist hier wie Porzellan – gepflegt, selten benutzt, und auf keinen Fall ironisch.
Man lebt wie früher –
und schaut mit Abscheu auf alles, was aussieht wie Jugend.
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Wedding – Wenn Funktion Form verdrängt
Der Stil ist: Zweck.
Jacke: wasserdicht.
Hose: bequem.
Schuh: „Geht auch beim Wandern.“
Accessoire: Hundetüte oder Eistee-Dose.
Statement? Nein danke.
Dafür ein Bauhelm in der Seele.
Kleidung wird hier nicht getragen –
sie wird ertragen.
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Lichtenberg – 90er, aber nicht retro
Hier lebt die Zeit stehen.
Buffalo-ähnliche Schuhe, Jeans mit Glitzerstickerei,
und Fransen-Tops, die sagen: „Ich geh heut Abend raus, Baby.“
Er trägt: Muskelshirt im Februar, Basecap mit Aufdruck,
eine Sonnenbrille, obwohl keine Sonne da ist.
Und das alles mit Stolz.
Denn Geschmack kommt später – oder nie.
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Marzahn – Trainingsanzug als Identität
Hier ist der Adidas-Overall kein Gag –
er ist Wappen, Uniform, Wohnzimmer.
Sie trägt: pinke Jacke, hohe Schuhe, und einen Blick,
der sagt: „Was willst du? Noch nie ne Göttin gesehen?“
Er trägt: Jogger, Zigarette, Bauchkinn.
Dazu eine Körperhaltung, die auf jede Frage mit „Na und?!“ antwortet.
Es ist hart. Es ist ehrlich.
Es ist: kompromisslos uncool.
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Tempelhof-Schöneberg – Stil in Schwebezustand
Zu cool für Charlottenburg, zu erwachsen für Kreuzberg.
Man trägt: Etwas von COS, etwas von Mutter.
Schuhwerk: sinnvoll.
Farben: unauffällig.
Outfit-Gesicht: „Ich bin da, aber frag nicht.“
Hier hat man einen Stil –
aber keiner merkt ihn.
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Treptow-Köpenick – Angeln, Auto, Allwetterjacke
Kleidung ist hier zum Draußensein da.
Man trägt: Zip-Off-Hosen, T-Shirts mit Bootsmotiven,
und Jacken mit so vielen Taschen, dass man sich selbst verliert.
Erkennungsmerkmal: man fragt sich, ob’s ein Förster ist oder einfach jemand,
der Wind und Wahrheit liebt.
Und der letzte Kauf war wahrscheinlich auf dem Parkplatz vom Baumarkt.
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Fazit: Berlin kleidet sich wie seine Verwaltung arbeitet:
Planlos, absurd, manchmal genial –
aber meistens einfach überfordert.
Hier trifft ästhetische Absichtslosigkeit auf ironische Selbstüberhöhung.
Hier wird Mode nicht getragen,
sondern durchlebt.
Wenn Stil eine Stadt wäre –
Berlin wäre der Proberaum, nicht die Bühne.
Aber mit einer Stimme, die trotzdem laut ruft:
„Ist doch Absicht, Alter.“
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