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ich muß los schrieb am 10.4. 2003 um 22:14:46 Uhr über

Groschenromane

als dorst sieben war, hungerte sich sein vater zu tode. er war lange im krankenhaus gewesen, kam endlich nach hause, sehr blaß und mit unbeweglichem gesicht, und ging am arm der mutter in sein arbeitszimmer, wo sie das gästebett für ihn gerichtet hatte. in diesem zimmer blieb er. aber wo soll dann der besuch schlafen, fragte dorst, als der vater sich auf dem bett ausgestreckt hatte. es kommt kein besuch, sagte die mutter. tante lollo soll kommen, sagte dorst. tante lollo kommt nicht, und omi kommt auch nicht. die soll auch nicht kommen, sagte dorst. wann kommt denn tante lollo wieder, fragte er. später, sagte die mutter, und jetzt ist schluß, hör auf. tante lollo brachte dorst lieder bei, die er in der tiefgarage singen konnte, und fragte nie, ob er sie lieb hatte.
die tür zum arbeitszimmer war immer geschlossen. in den ersten tagen durfte dorst manchmal hinein und stellte sich neben das gästebett, auf dem sein vater unbeweglich lag. die luft war stickig. der vater sprach nie als erster, er sah dorst nicht einmal richtig an. soll ich dir was vorsingen, fragte dorst. oder ich hole was zum spielen. der vater sagte, du mußt nicht hier herumstehen, geh ruhig zu deinen sachen. bist du bald wieder gesund, sagte dorst. nein, sagte der vater. er sagte jedesmal nein auf diese frage, und jedesmal fing dorst an zu weinen. ich sag dir nur die wahrheit, sagte der vater, das muß ein großer junge schon ertragen können. ich will aber, weinte dorst, daß du jetzt mit mir spielst. tante lollo soll kommen. du kannst nicht immer auf dem gästebett liegen. einmal rief er, du bist faul. jedesmal kam seine mutter dazu und schickte ihn aus dem zimmer. bald war die tür abgeschlossen. dorst hörte würgen, es ging durch die wände.er wollte es gar nicht hören, er preßte sich kissen gegen die ohren. nachts wachte er davon auf. wenn er aus der schule kam, war das mittagessen oft noch nicht fertig. ißt vati auf dem bett, fragte er. er ißt gar nicht, sagte die mutter, er ist zu krank. hat er nicht riesigen hunger, ich bringe ihm was. du bringst ihm nichts, sagte die mutter, komm mal her, und sie wollte ihn umarmen. er wich aus, ich geh zu gregor. sei bitte zum abendessen wieder da, sagte die mutter, bitte. wenn vati nichts ißt, will ich auch nichts, sagte dorst.
nach der schule ging er nun manchmal gleich zu gregor, oder er drehte seine runde. jeden morgen vor der schule brachte er für den vater ein opfergeschenk an den geheimplatz hinter der großen alutonne. manchmal saure stäbchen, ein wunderei, einmal sogar ein altes spielzeugauto und ein playmobilpferd ohne sattel. er legte das opfergeschenk zwischen den löwenzahn, faltete die hände und drückte die augen so fest zu, daß er orangene striche sehen konnte. das war ein zeichen, daß er gehört wurde und seine wünsche sagen durfte. einmal durchzog ein flugzeug, ganz hoch oben, langsam und lautlos den himmel und zeichnete einen weißen streifen. da sagte dorst deutlich, mach, daß vati weg ist. sofort erschrak er. ich meine, aus dem gästezimmer weg, sagte er schnell. er schaute sich um, wußte aber nicht, bei wem er sich entschuldigen sollte.
als er mittags nach hause kam, war alles wie immer. die wohnung roch säuerlich, er hörte würgendes husten. du fährst bald zur omi, sagte seine mutter beim mittagessen, das wässrig schmeckte, und ihr macht schöne sachen zusammen. zur omi, sagte dorst, nein, will ich nicht. ich hab doch schule. frau bries weiß bescheid, sagte die mutter. wieder versuchte sie ihren arm um ihn zu legen. über vatei, er ist so krank. du sollst lieber mit omi etwas schönes erleben. ich will nicht zu omi, sagte dorst, ich will hierbleiben und vati gesund machen. die mutter bekam zittrige lippen. dorst wollte auf ihrem schoß sitzen, aber er lief in sein zimmer und kippte alle playmobilkisten auf dem boden aus. als das würgen wieder anfing, haute er mit beiden händen auf sein bett und schrie, so laut er konnte.
am nächsten tag hatte die mutter seinen koffer und den kleinen rucksack mit dem bären gepackt, den er nicht mehr mochte. ihre lippen zitterten, und das weiße in ihren augen war rötlich. ich fahr dich zur omi, sagte sie. mein playmobil, sagte dorst. die mutter bückte sich, raffte einen ganzen armvoll playmobil zusammen und stopfte alles in den kleinen rucksack. dann nahm sie dorsts kopfkissen, riß den kissenbezug herunter und schaufelte noch mehr playmobil hinein. dorst stand an der heizung und wartete. ich sage vati tschüß von dir, sagte die mutter mit einer fremden, gepreßten stimme, klemmte sich koffer, rucksack und kissenbezug unter den arm und nahm dorst am handgelenk.





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