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@, am 30.8. 2010 um 07:41:27 Uhr
Kleinbürger



Der elitäre Kleinbürger
Zu Thilo Sarrazins Thesen
von Axel Weipert am 26. August 2010 Nicht zum ers­ten Mal mel­det er sich zu Wort, der ehe­ma­li­ge Ber­li­ner Fi­nanz­se­na­tor und jet­zi­ge Bun­des­bank­vor­stand Thilo Sar­ra­zin. Und eines muss man ihm las­sen: er hat ein Ge­spür für pro­vo­kan­te The­sen, die ihm immer wie­der große Auf­merk­sam­keit in den Me­di­en ver­schaf­fen. Aber was will die­ser Mann ei­gent­lich, und wor­auf grün­det sich sein Welt­bild?

In sei­nem neuen BuchDeutsch­land schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel set­zenver­kün­det er er­neut seine Stand­punk­te. Bis­her ist le­dig­lich die Ein­lei­tungkos­ten­losver­füg­bar, aber das große me­dia­le und po­li­ti­sche Echo lässt es ge­bo­ten er­schei­nen, al­lein dar­auf ge­grün­det eine Re­zen­si­on zu ver­fas­sen. Es han­delt sich dabei um ein bun­tes Pot­pour­ri aus wirt­schaft­li­chen, po­li­ti­schen, bio­lo­gis­ti­schen und na­tio­na­lis­ti­schen Ver­satz­stü­cken, gar­niert mit di­ver­sen Aus­flü­gen in die Ge­schich­te - üb­ri­gens durch­aus les­bar ge­schrie­ben.

Gleich zu Be­ginn stol­pert der Leser über sol­che Sätze wie: „Die­ser Grun­d­op­ti­mis­mus und die Jahr­zehn­te des fast un­ge­trüb­ten Er­folgs haben aber die Seh­schär­fe der Deut­schen ge­trübt für die Ge­fähr­dun­gen und Fäul­nis­pro­zes­se im In­nern der Ge­sell­schaft“ (Seite 7). Da mag sich man­cher an Ju­li­us Strei­chers Sprach­stil im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kampf­blatt Stür­mer er­in­nert füh­len. Aber damit nicht genug der Bio­lo­gis­men. Denn wir er­fah­ren auch, dasswir als Volk an durch­schnitt­li­cher In­tel­li­genz ver­lie­ren, wenn die in­tel­li­gen­te­ren Frau­en we­ni­ger oder gar keine Kin­der zur Welt brin­gen“ (9). So ist das also. Und damit ist auch ge­klärt, wo unser Haupt­pro­blem liegt: Esge­fähr­det vor allem die kon­ti­nu­ier­li­che Zu­nah­me der we­ni­ger Sta­bi­len, we­ni­ger In­tel­li­gen­ten und we­ni­ger Tüch­ti­gen die Zu­kunft Deutsch­lands“.

Die Zweck­mä­ßig­keit sol­cher bio­lo­gis­ti­scher Denk­mus­ter rich­tet sich na­tür­lich da­nach, wohin die Reise gehen soll. Pro­ble­ma­tisch ist das je­den­falls schon des­halb, weil damit schein­ba­re Ge­setz­mä­ßig­kei­ten kon­stru­iert wer­den, die so gar nicht be­ste­hen. Oder woran liegt es, dass Kin­der vonwe­ni­ger In­tel­li­gen­ten“ (will ver­mut­lich hei­ßen: bil­dungs­fer­nen Schich­ten) eben­falls ten­den­zi­ell ge­rin­ger qua­li­fi­ziert sind? Ist das mit dem Ver­weis auf ge­ne­ti­sche Merk­ma­le schon er­klärt? Wohl kaum, viel eher fehlt es in sol­chen El­tern­häu­sern an in­tel­lek­tu­el­ler An­re­gung. Und dem wäre ja zu­min­dest an­satz­wei­se mit bes­se­ren und leich­ter zu­gäng­li­chen Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen ab­zu­hel­fen. Davon will Herr Sar­ra­zin aber nichts wis­sen. Viel­mehr sieht er ge­ra­de in der Suche nach ge­sell­schaft­li­chen Ur­sa­chen der so­zia­len Miss­stän­de ein we­sent­li­ches Übel un­se­rer Zeit, denn da­durch wäre der Ein­zel­ne sys­te­ma­tisch von sei­ner Ei­gen­ver­ant­wor­tung ent­bun­den wor­den: „Aus der so­zio­lo­gisch rich­ti­gen aber ba­na­len Er­kennt­nis, dass in der Ge­sell­schaft alles mit allem zu­sam­men­hängt, hat sich eine Ten­denz ent­wi­ckelt, alles auf die ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se zu schie­ben und so den Ein­zel­nen mo­ra­lisch und weit­ge­hend tat­säch­lich von der Ver­ant­wor­tung für sich und sein Leben zu ent­las­ten.“(10)

Durch­gän­gig ver­weist der Autor auf das po­si­ti­ve Ge­gen­bild der „tri­um­pha­len spä­ten fünf­zi­ger Jahre“ (16), in denen dank deut­schem Fleiß eine Oase des Wohl­stands und Wachs­tums ent­stand. Kein Wort frei­lich über den ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Muff die­ser Epo­che. Of­fen­bar lässt sich der Er­folg oder Miss­er­folg einer so­zia­len Ord­nung vor allem an zwei sta­tis­ti­schen Grö­ßen ab­le­sen: der Ge­bur­ten­ra­te und dem Wachs­tum des Brut­to­so­zi­al­pro­dukts.

Ge­ra­de an­ge­sichts der stark wirt­schaft­li­chen Ar­gu­men­ta­ti­on und dem be­ruf­li­chen Wer­de­gang Sar­ra­zins ver­wun­dert es doch ein wenig, wie fahr­läs­sig, ja grob ver­fäl­schend er mit öko­no­mi­schen Grund­be­grif­fen um­geht. So kon­sta­tiert er, die Glo­ba­li­sie­rung habe „fol­ge­rich­tig“ zu einer Sta­gna­ti­on der rea­len Stun­den­löh­ne seit 1990 ge­führt. Tat­säch­lich ist für die Wett­be­werbs­fä­hig­keit einer Volks­wirt­schaft aber nicht die Höhe der Stun­den­löh­ne ent­schei­dend, son­dern die der Lohn­stück­kos­ten. Das be­deu­tet nichts an­de­res, als dass eine hohe Pro­duk­ti­vi­tät ent­spre­chen­de Löhne aus­glei­chen kann. Wenn also bei­spiels­wei­se in Deutsch­land ein Auto mit 20 Ar­beits­stun­den à 20 Euro mon­tiert wer­den kann, ist das End­pro­dukt immer noch bil­li­ger als ein ver­gleich­ba­res aus, sagen wir, Ru­mä­ni­en mit 100 Stun­den à 5 Euro. Es ist ja auch kei­nes­wegs so, dass die ge­sam­te Wirt­schafts­leis­tung im ge­nann­ten Zeit­raum nicht ge­stie­gen wäre. Aber die­ser Zu­wachs an Reich­tum kommt eben nicht mehr bei der brei­ten Masse der Be­völ­ke­rung an. Das zei­gen zahl­rei­che Stu­di­en zum Thema ganz ein­deu­tig. Wir haben es hier also mit einer der üb­li­chen Milch­mäd­chen­rech­nun­gen der Neo­li­be­ra­len zu tun, die mit Hilfe von un­zu­tref­fen­den Ver­glei­chen die Not­wen­dig­keit vonLohn­zu­rück­hal­tungund Be­schei­den­heit sug­ge­rie­ren wol­len.

Aber neben der ver­schärf­ten in­ter­na­tio­na­len Kon­kur­renz be­müht Sar­ra­zin zur Be­grün­dung die­ses Trends auch hier wie­der seine ar­gu­men­ta­ti­ve All­zweck­waf­fede­mo­gra­fi­scher Wan­del“ (11). Die üb­ri­gens eben­falls aus dem Ar­se­nal des Neo­li­be­ra­lis­mus stammt. Doch auch das kann nicht wirk­lich über­zeu­gen. Schlie­ß­lich nimmt der An­teil der Rent­ner an der Ge­samt­be­völ­ke­rung dank me­di­zi­ni­schem Fort­schritt, bes­se­rer Hy­gie­ne und Er­näh­rung zu, seit es die Ren­ten­ver­si­che­rung gibt: näm­lich seit dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert. Aber nie­mand käme des­we­gen auf die Idee, in die­ser gan­zen Phase eine ste­ti­ge Wohl­stands­ab­nah­me er­ken­nen zu wol­len - auch nicht der Autor. Das liegt eben­falls an der ste­tig wach­sen­den Pro­duk­ti­vi­tät, die so­wohl die re­la­ti­ve Ab­nah­me der Be­rufs­tä­ti­gen als auch die Ver­rin­ge­rung der wö­chent­li­chen Ar­beits­zeit mehr als kom­pen­siert hat.

Ge­ra­de­zu bi­zarr wirkt die Ver­bin­dung von De­mo­gra­fie und Kli­ma­wan­del. Würde sich die Fort­pflan­zung der Deut­schen (nicht zu ver­wech­seln mit den deut­schen Staats­bür­gern tür­ki­scher Her­kunft) im sel­ben Maße wie heute noch 300 Jahre fort­set­zen, gäbe es dann nur noch 3 Mil­lio­nen davon. Das mag man nun be­dau­er­lich fin­den oder nicht. Frag­wür­dig ist es in jedem Fall, eine sta­tis­ti­sche Mo­ment­auf­nah­me über einen solch lan­gen Zeit­raum in die Zu­kunft fort­zu­schrei­ben. Aber das ei­gent­li­che Ku­rio­sum ist die Schluss­fol­ge­rung dar­aus: „Warum soll­te uns das Klima in 500 Jah­ren in­ter­es­sie­ren, wenn das deut­sche Ge­sell­schafts­pro­gramm auf die Ab­schaf­fung der Deut­schen hin­aus­läuft?“ (18) Na­tür­lich, wir ver­ste­hen: Für un­se­re Nach­kom­men in zehn oder fünf­zehn Ge­ne­ra­tio­nen lohnt es sich, das Klima zu scho­nenfür die aller an­de­ren Völ­ker aber nicht.

Der hier an­klin­gen­de Na­tio­na­lis­mus stei­gert sich frei­lich noch zu Aus­sa­gen wie die­ser: „Ich glau­be, dass wir ohne einen ge­sun­den Selbst­be­haup­tungs­wil­len als Na­ti­on un­se­re ge­sell­schaft­li­chen Pro­ble­me aber nicht lösen wer­den.“ (18) Man muss gar nicht 60 Jahre in der deut­schen Ge­schich­te zu­rück­ge­hen, um ähn­li­che The­sen zu fin­den. Ein Blick in das Par­tei­pro­gramm der NPD ge­nügt da völ­lig. Und so ist es auch kein Wun­der, dass eben­die­se brau­ne Trup­pe Sar­ra­zin herz­lich will­kom­men heißt, wie auf ta­ges­schau.​de nach­zu­le­sen ist: „Der hes­si­sche Lan­des­ver­band der NPD er­klär­te in einer Pres­se­mit­tei­lung, sie ver­tre­tegenau die Po­si­tio­nen, die Sar­ra­zin in sei­nem Buch nie­der­ge­schrie­ben hat’. Lan­des­vor­sit­zen­der Jörg Krebs for­der­te Sar­ra­zin auf: ‚Ar­bei­ten Sie […] bei den Na­tio­nal­de­mo­kra­ten mit.’ Der säch­si­sche NPD-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Jür­gen Gan­sel zeig­te sich er­freut über die Äu­ße­run­gen Sar­ra­zins: ‚Der Bun­des­ban­ker macht die Über­frem­dungs­kri­tik der NPD end­gül­tig sa­lon­fä­hig’, sagte er.“

Was soll nun das Ganze? Droht hier etwa tat­säch­lich die Sa­lon­fä­hig­keit von sol­chen wir­ren The­sen, gar die Neu­for­mie­rung einer star­ken Par­tei rechts der CDU? Man darf ge­spannt sein, wie es wei­ter­geht. Nur eines ist si­cher: Seit 90 Jah­ren hat die SPD wohl kei­nen der­ar­ti­gen Hau­de­gen mehr in ihren Rei­hen ge­habt. Wie schrieb doch der ob sei­ner skru­pel­lo­sen Vor­ge­hens­wei­se be­rüch­tig­te Reichs­wehr­mi­nis­ter Gus­tav Noske sei­ner­zeit zu den ihm über­tra­ge­nen Auf­ga­ben: „Mei­net­we­gen, einer muss der Blut­hund wer­den.“ Nun also Sie, Herr Sar­ra­zin?



Thilo Sar­ra­zin: Deutsch­land schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel set­zen. Er­scheint am 30. Au­gust 2010 bei DVA.



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