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Craig McDermott schrieb am 2.11. 2008 um 23:55:47 Uhr über

leugnen

war eine einmalige historische Konstellation, die sich bei meiner Begegnung mit Adolf Hitler an diesem 3. Oktober 1938 an einer bis dahin geschichtlich völlig unbedeutenden Stelle schicksalhaft ergab: Hitler, der »Führer und Reichskanzler des Großdeutschen Reiches«, hatte keinen verständlicheren Wunsch, als ausgerechnet über den Grenzübergang des kleinen Luftkurorts Wernitzgrün im »Musikwinkel« des oberen Vogtlands von seinem Beutezug ins Sudetenland heim ins Reich zu kehren. Und ich, der zehnjährige Pennäler, war der einzige Junge im Dorf, der für den NSDAP-Ortsgruppenleiter Walter Penzel auf der Stelle als »Begrüßungs-Pimpf« greifbar war, weil ich wegens der gerade überstandenen Kinderkrankheit Mumps, genannt »Zigenpeter«, noch schulfrei hatte.

Der kleinmütige Versuch meiner besorgten Mutter, für die der Diktator ironisch nur der »lieeebe Adolf« war, die einmalige Chance meines Auftritts als Statist im Welttheater durch die gezielte Verschandelung meiner Jungvolk-Uniform mit einem unmöglichen graumelierten Wollschal zu sabotieren, schlug natürlich fehl. Der Ortsgruppenleiter, von meiner Mutter gern »Partei-Wau-Wau« genannt, weil er immer so bellende Reden hielt, drückte mir am Gasthof »Zur Linde« einen Strauß Herbstastern in die Hand und gab mir die klare Regieanweisung: »Also: erst Grundstellung, dann Ehrenbezeigung, Grünzeug hoch zum Führer, noch mal grüßen, zackAlles klar, wenn mich auch die Angst befiel, daß mir vor Aufregung die Grußformel rausrutschen könnte, die meine Tante Elfriede immer mit demonstrativ hochgerecktem rechten Arm dem Milchmann Weller aus Erlbach an der Haustür entbot: »Drei Literstatt »Heil Hitler!« (Natürlich nicht, ohne sich vorher genau umgesehen zu haben).

Saure Gurken beim Warten auf den »Führer«

Der »Gröfaz«, der größte Führer aller Zeiten, ließ aber dann erst einmal die Mindestanforderung an die Pünktlichkeit als Höflichkeit der Herrschenden gegenüber dem gemeinen Volk gründlich vermissen. Ab und zu kam knatternd ein Motorradmelder vorbei und zeigte mit gespreiztem Fingern an, wie viele Kilometer der aus dem nahen Eger kommnde Konvoi noch entfernt war. Aus dem Kolonialwarengeschäft vom Höllinger Max wurden zur Stärkung unseres vaterländischen Stehvermögens in braunes Packpapier eingeschlagene saure Gurken, das Stück zu fünf Pfennigen, geholt. Geschlagene vier Stunden verharrten wir auf der Stelle, während der Musikzug der SA bis zum Erbarmen den »Egerländer Marsch« verblies, auf den die Wartenden den populären Spott-Text sangen: »Egerländer halt´s Eich zamm, weil mer nix zu fressen hamm. Bald kimmt der Hitler rei, schlägt die Tschechen ganz zu Brei...« - und das war weiß Gott keine leere Versprechung.

Im frenetischen Jubel, der dann zu beiden Seiten der Dorfstraße aufbrandete, erblickte ich den Vollstrecker in seinem offenen Wagen erst auf den letzten Metern, so dicht an dicht standen die Menschen. Hitler hatte sich wie eine Statue im langen Ledermantel mit leicht angewinkeltem rechten Arm grüßend vor dem Beifahrersitz postiert und hielt sich sichtlich verkrampft an der Einfassung der Windschutzscheibe fest. Sein starrer Blick ging erschreckend kalt ins Leere, und wie von Ferne hörte ich den Ortsgruppenleiter mit sich überschlagender, höchst erregter Stimme: »Mein Führer, ich melde Ihnen...!«

Ein Laschmann als Reichskanzler

Ein SS-Adjutant in schwarzer Totenkopf-Uniform sprang vom Trittbrett der Limousine auf mich zu und zog den nun schon leicht angewelkten Blumenstrauß blitzschnell nach oben weg, ehe ich auch nur die Andeutung eines »Männchens« für den Führer machen konnte. Meine Augen - ein Foto dokumentierte es später - starrten weit aufgerissen auf Hitler, mein Mund stand sperrig weit offen - es war die Stunde der Debilen. Für Sekunden nur bekam ich die nun gesenkte rechte Hand Hitlers zu fassen. Besser: der Führer Großdeutschlands überließ seinen baumelnden Grußarm einem Jungen aus dem Volke. Denn mein Händedruck wurde nicht erwidert. (»Laschmänner« nannte meine Großmutter solche Leute, die einem nicht in die Augen sahen und eine schlaffe Hand boten).

Beim ruckartigen Anfahren des Wagens dann wurde die gesamte mittlere Führungsebene der Partei in Mitleidenschaft gezogen, und ich kassierte nach einem kraftvollen Ausweichsprung rückwärts direkt auf die blankgeputzten Stiefel des Ortsgruppenleiters den meinen Sondereinsatz für den Führer in keiner Weise würdigenden Ordnungsruf: »Rindvieh, pass´ gefälligst auf

Das verschwundene Transparent

»Was hat der Adolf zu Dir gesagt?« bedrängten mich meine Schulkameraden hinterher. Nichts hatte Hitler gesagt, rein gar nichts. Nicht länger als eine Minute hatte der ganze Spuk gedauert. Und so prahlte ich: »Heil hat der Führer zu mir gesagt, zweimal Heil und mir die Hand gegebenFür den festen Zusammenhalt in der deutschen Volksgemeinschaft war eine kleine Übertreibung doch wohl erlaubt...

Die notwendige Nachbetrachtung zu diesem einschneidenden Erlebnis eines deutschen Jungen, dem der »Führer« von diesem Tag an nicht mehr ganz geheuer war, sieht so aus: der Ortsgruppenleiter Penzel wurde beim Einmarsch der Amerikaner am 8. Mai 1945 auf dem Kühler eines Jeeps durchs Dorf gefahren und in ein Internierungslager nach Bayern transportiert, wo er mehrere Jahre sitzen mußte. Der Milchmann Weller aus Erlbach fiel wenige Tage nach der Invasion in der Normandie. Er hinterließ Frau und zwei Kinder. Tante Elfriede stieg in der Sowjetzone zur Kreisrätin für das Gesundheitswesen auf und landete 1948 nach einer Denunziation im berüchtigten Zuchthaus Bautzen. Einer der Mitschüler, Karlheinz Dölling aus der Dorfbäckerei, wurde in den letzten Kriegstagen 1945 nur wenige Kilometer von seinem Elternhaus entfernt versehentlich von eigenen Kameraden seiner Wehrmachtseinheit auf einem nächtlichen Patrouillengang erschossen, weil er die Parole nicht wußte oder sie nicht schnell genug herausbekam.

Wo das 1938 aus einem Bettlaken gefertigte Transparent mit der Aufschrift »Wir danken unserem Führer!« abgeblieben ist, weiß niemand in der Familie. Ehrenwort.




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