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Hohelied auf den ganz und gar freien Bildungsmarkt
Die Regeln der Welthandelsorganisation WTO werden Schulen und Hochschulen in Deutschland durcheinander wirbeln
Von Karl-Heinz Heinemann
Nicht die Werbetafeln von Coca Cola und Mac Donalds auf Schulhöfen oder der Sponsorenhinweis auf den Lebensmittelhändler am Anfang der Chemiestunde werden die Bildungseinrichtungen weltweit dramatisch verändern, sondern die Regeln der Welthandelsorganisation WTO.
«Die Qualität der deutschen Bildung steht auf dem Spiel», fürchten DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer und die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange. Die Gewerkschafter malen aus, dass unter der weltweiten Öffnung des Bildungsmarktes die Güte deutscher Bildung noch mehr leiden könnte.
1994 wurde das GATS-Abkommen geschlossen, das «General Agreement on Trade in Services». Die mittlerweile 142 Mitgliedsstaaten der WTO verpflichten sich darin, beim Handel mit Dienstleistungen ausländische Anbieter Inländern gleichzustellen und keine Handelsbeschränkungen bestehen zu lassen. Zu den frei zu handelnden Dienstleistungen gehören auch Gesundheitsdienste und Bildung, sofern sie nicht ausschließlich hoheitlich, also vom Staat, geleistet werden.
Nach den Protesten der Globalisierungskritiker in Seattle wollte die GEW-Chefin Stange vom Bundesbildungsministerium wissen, wie die Bundesregierung zu der mit GATS eingeleiteten Liberalisierung des Bildungshandels stehe. Die lapidare Antwort: Öffnung des Bildungsmarktes sei unausweichlich, das Wirtschaftsministerium befasse sich mit dem Problem.
Die Bundesregierung und erst recht die Kultusministerkonferenz hätten dieses Thema verschlafen, kritisierte Gerd Köhler, das für Hochschulen und Forschung zuständige GEW- Vorstandsmitglied, schon vor einem Jahr. Die Gewerkschaft hatte ein Gutachten bei dem Kasseler Politologen Christoph Scherrer in Auftrag gegeben, das die Auswirkungen der GATS- Verhandlungen auf die Bildung analysieren sollte. Ein Fazit: In einem «gemischten System» wie in Deutschland, wo es kein Staatsmonopol für Bildungsdienstleistungen gibt und Kindergärten, Hochschulen und vor allem die Erwachsenenbildung immer stärker auch von Privaten betrieben werden, gelten die Freihandelsregeln.
Jeder Regierung stand es beim Abschluss des Abkommens frei zu definieren, welche Handelsbereiche sie den GATS-Regeln unterwerfen will. Die EU-Kommission hat für ihre Mitgliedsländer dem Freihandel mit Bildung viel großzügiger zugestimmt als andere Staaten. Vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung - alles steht Anbietern aus dem Ausland offen. Mit GATS wird die Regel, Ausländer wie Inländer zu behandeln, völkerrechtlich verbindlich. Sieht beispielsweise die US-Regierung ihre Universitäten auf dem deutschen Markt benachteiligt, kann sie Kompensation verlangen.
GATS unterscheidet vier Arten des Handels. Die heute wichtigste: der Handel über das Internet. Virtuelle Hochschulen bieten ihre Kurse weltweit im Netz an. Im Unterschied zu mittlerweile schon klassischen Fernuniversitäten wie der in Hagen gibt es nicht einmal mehr eine Anwesenheitsphase; auch die Abschlussarbeiten werden übers Netz abgenommen. Die Bundesrepublik hat keine Möglichkeit, Zusatzregeln aufzuerlegen, eigene Qualitätsstandards vorzuschreiben. Das wären nichttarifäre Handelshindernisse, die nach GATS überprüft und abgebaut werden müssen.
Aber GATS lässt auch zu, dass ausländische Bildungsfirmen auf dem einheimischen Markt tätig werden - zum Beispiel die International University Bremen als Franchise-Betrieb der Rice- University in Texas. Die Eröffnung der Bremer Universität war eine freie Entscheidung des Bremer Senats. Mehr Internationalität ist politisch erwünscht, und auch die kräftige Subventionierung ist nicht erzwungen worden. Doch GATS bindet die Regierungen an ihre einmal unterschriebenen «Commitments» - sie lassen sich nicht aus politischen Erwägungen einschränken oder zurücknehmen.
Die volle Gleichstellung ausländischer Anbieter würde bedeuten, dass sie auch auf Gleichbehandlung bei Subventionen klagen könnten wie einheimische Anbieter. Also: Ausländische Hochschulfilialen hätten Anspruch auf Mittel nach dem Hochschulbauförderungsgesetz, ja, sie könnten überprüfen lassen, ob das kostenlose Studium in Deutschland nicht ein durch Subventionierung herbeigeführtes Dumping-Angebot ist, das den Freihandelsregeln widerspricht. Auch private Schulfirmen, die es in den USA seit langem gibt, könnten die Finanzierungsregeln für Kindergärten und Schulen überprüfen lassen. Dass dies alles noch nicht geschehen ist, liegt an einer Ausnahmeklausel, die die Europäische Union in den Vertrag aufnehmen ließ: Ihre Staaten behalten sich vor, Schulen und Hochschulen nach eigenem Gutdünken zu subventionieren. Doch diese Klausel hat ein klares Verfallsdatum, zumal staatliche Finanzierung von Bildung nur noch eine Ausnahme, nicht die Regel ist. Diese Ausnahmen sind laut GATS-Vertrag nur für zehn Jahre gültig. Derzeit beginnen Verhandlungen darüber, wie die Verträge ab 2005 gestaltet sein sollen. Die EU wird ihren Vorbehalt zumindest einschränken müssen.
Bisher haben nur die drei großen Bil-dungsexportländer, die USA, Australien und Neuseeland, Vorstellungen entwickelt, wie der Bildungsmarkt weiter liberali-siert werden soll. Sie wollen den Markt für Bildungs- und Testagenturen öffnen, also für Firmen, die nicht nur Beratung und Tests für einzelne Kinder anbieten, sondern auch Evaluationen für die Schulen ganzer Regionen. Hier entsteht gerade ein neuer Markt. Die Prognose: Marktführer auf diesem Sektor, wie die Firma Testing Service in den USA, können ihre Standards weltweit durchsetzen. Nicht mehr Parlamente und Regierungen, Elternvertretungen oder Selbstverwaltungsorgane der Hochschulen werden kontrollieren und Standards definieren, sondern Markt- Monopolisten. Die GEW fordert nun, die Bundesregierung müsse bereits bindende Verpflichtungen und ihre künftige Verhandlungsstrategie offen legen. So begrüßenswert internationaler Austausch sei, ein lediglich auf Profit ausgerichteter globaler Bildungsmarkt unterlaufe diese positiven Seiten der Globalisierung, befürchtet Eva-Maria Stange.
Nicht überraschend übrigens, dass sich unter dem Dach formaler Gleichheit der Marktteilnehmer sehr wohl ungleiche Machtverhältnisse verbergen: Der größte Bildungsexporteur, die USA, die in den GATS-Verhandlungen vehement weitere Liberalisierung fordern, lassen weder in ihren Schulen noch im Hochschulsektor ausländische Konkurrenz zu.
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