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psychiater

FrancoBasaglia

Franco Basaglia (* 11. März 1924 in Venedig; † 29. August 1980 ebenda) war ein italienischer Psychiater. Basaglia machte die katastrophalen Zustände in den italienischen „Irrenanstalten“ bekannt und erreichte 1978 deren Schließung.

Inhaltsverzeichnis [Verbergen]
1 Leben
2 Geisteskrankheit ohne Geist
3 Literatur
4 Weblinks


Leben [Bearbeiten]Franco Basaglia studierte Medizin an der Universität Padua. Das Studium schloss er 1949 ab. Anschließend wirkte er als Lehrer an der dortigen Psychiatrieschule. Gleichzeitig beschäftigte er sich mit den philosophischen Ideen von Karl Jaspers, Ludwig Binswanger und Eugène Minkowski.

Als Basaglia 1961 die Leitung des Psychiatrischen Krankenhauses in Gorizia übernahm, war er über die dort herrschenden Zustände entsetzt. Die Anstalten wurden wie Hochsicherheitstrakte geführt. ÜblicheTherapienwaren das Anschnallen der Patienten in den Betten, Zwangsjacken, eiskalte Bäder, Elektroschocks und die Anwendung der Lobotomie.

Aus dieser Erfahrung heraus betrieb Basaglia später die Schließung der Anstalten. Gemeinsam mit Giovanni Jervis und Agostino Pirella führte er in Gorizia zunächst die Strukturen und Prinzipien der Therapeutischen Gemeinschaft ein. Doch diese Reformansätze erwiesen sich bald als nicht weitreichend genug. 1968 trennte sich das Team: Basaglia wurde Leiter der Psychiatrischen Klinik in Colorno (Parma), Pirella übernahm die Leitung in Gorizia und Jervis ging in die Provinz Reggio Emilia.

Ab 1972 arbeitete Basaglia in Triest. Hier kam er zu dem Schluss, dass nur eine Auflösung der Anstalten zu einer effizienten Behandlung der Krankheit führen könne. Ähnlich wie Erving Goffman vertrat er die Ansicht, dass die Anstalt, die Etikettierung und die Ausgrenzung aus der Gesellschaft zusätzlich krankhaftes Verhalten produziere. Ziel war daher die ambulante Behandlung psychisch kranker Menschen, d. h. ihre Rückführung in die Gesellschaft, um somit die wahre Krankheit erkennen und behandeln zu können.

Die therapeutischen Erfolge in Triest, Basaglias öffentlichkeitswirksames Auftreten und günstige politische Bedingungen führte schließlich dazu, dass sich der italienische Gesetzgeber von den Forderungen überzeugen ließ. Am 13. Mai 1978 wurde im italienischen Parlament das Gesetz 180 für die Reform der Psychiatrie verabschiedet, welche u. a. die Abschaffung der psychiatrischen Anstalten verfügte.

Im Frühling 1980 zeigten sich bei Basaglia die ersten Symptome eines tödlichen Hirntumors; am 29. August 1980 starb er in seinem Haus in Venedig.

Geisteskrankheit ohne Geist [Bearbeiten]Die wissenschaftstheoretische Ausrichtung der Position, die Basaglia vertrat, kann als radikal anti-positivistisch beurteilt werden. Basaglia kritisierte an der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts, dass diese die Krankheiten des Geistes auf Krankheiten ohne Geist (Geist im Sinne der philosophischen Metaphysik und der ihr entsprechenden Formen der klassischen Geisteswissenschaften) reduziert hat. Der historisch älteste Zugang zum Phänomen der Geisteskrankheit war einer über das rationale Denken vermittelter. Auch der Wahn-Sinn wurde als Effekt einer besonderen Art des Denkens betrachtet, das nach unüblichen oder falschen Kriterien urteilt oder schließt und somit Symptome produziert. In rationalistischer Hinsicht muss somit auch der Wahn-Sinn als symptomatische Art von Logik und als ungewöhnlicher Teilbereich der menschlichen Vernunft anerkannt werden. Der aus dem Empirismus hervor gegangene Positivismus betrachtet im Gegensatz dazu das geistige Krank-Sein als rein hirn-organisch und neuro-biologisch bedingtes Phänomen. Durch den Siegeszug des positivistischen Paradigmas in der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts wurde auch jeder Sinn, der dem Wahn potentiell unterstellt werden kann, aus der Psychiatrie exiliert. Die positivistische Methode widerspricht sich dahingehend selbst, als sie dasjenige Phänomen als real voraussetzen muss, das sie aus dem Gebiet der von ihr anerkannten Logik ausschließt. Einerseits unterscheidet der szientifische Positivismus den Wahn-Sinn abstrakt von der wissenschaftliche anerkannten instrumentellen Vernunft, andererseits identifiziert er die nicht-instrumentelle oder dialektisch-spekulative Vernunft auch mit einer Art des Wahn-Sinns, nämlich mit den Ideen der älteren Metaphysik, denen keinerlei Bedeutung für die medizinische Psychiatrie mehr zukommen sollte. Es wird der Wahn-Sinn somit in doppelter Hinsicht ausgeschlossen: sowohl als Krankheit des Geistes als auch als vernünftiger Geist im Sinne der dialektischen Ideen-Leere. Die der Geists-Krankheit und dem Wahn-Sinn als Manifestationen von 'Sinn und Geist' im starken Sinn gemäßen Gestalten der logischen Artikulation werden einerseits verworfen andererseits in entstellter und verdinglichter Gestalt vorausgesetzt. Das durch dieses selbst-widersprüchliche Ausschlussverfahren vergegenständlichte Phänomen kann logischer Weise nicht mehr vernünftig aufgeschlossen und adäquat gedeutet werden. Auch Foucault hat in diesem Zusammenhang die positivistische Exilierung der dialektisch-spekulativen Vernunft aus dem Feld der modernen Wissenschaft entschieden kritisiert. Diese habe verkürzte Begriffe der Vernunft und des Wahns als unvermittelbare Gegensätze der menschlichen Erfahrung hypostasiert. Basaglias antipositivistische Haltung kommt in folgendem Zitat pointiert zum Ausdruck: »Derzeit beobachten wir, wie sich die Medizin die Psychiatrie langsam einverleibt. Wenn die Krankheit eine Sache von Organen ist, hat die Psychiatrie mit der Medizin nichts gemein. Die Psychiatrie war immer die Wissenschaft vom Wahnsinn. Man könnte vielleicht sagen, dass sie eine eher 'philosophische' Vision des Wahnsinns hatte, zumindest solange sie nicht das Spiel des Positivismus mitmachte, das heißt bis zu der Zeit, als Psychiater begannen, Modelle zu entwickeln, in denen der Geist nicht mehr vorkommt.« (Franco Basaglia, Die Entscheidung des Psychiaters, S. 83, Bilanz eines Lebenswerks, Bonn 2002) Basaglia hat offensichtlich die Geisteskrankheit als Phänomen begriffen, das nur im Rahmen einer philosophisch-metaphysischen Logik und Wissenschaft adäquat erschlossen werden kann. Das widerspricht dem positivistischen Ungeist, der auch in dieser postmodernen Epoche die Psychiatrie auf hegemoniale Weise beherrscht. Somit ist Basaglias Ansatz für eine sozial-psychiatrische Kritik der positivistischen Psychiatrie nach wie vor als aktuell zu beurteilen. Das Werk Basaglias sollte nicht bloß auf die Forderung verkürzt werden, dass die psychiatrischen Institutionen zu zerschlagen und die Anstalten zu schließen seien. Dieser empirisch erscheinenden Oberfläche bloß pragmatischer Forderungen liegt noch die hermeneutische Tiefenstruktur einer rationalen und dialektischen Anerkennung des Wahn-Sinns als irreduziblen Teilaspekt jeder möglichen Logik und der Vernunft überhaupt zu Grunde.

Franco Basaglia zählt neben Ronald D. Laing, Thomas Szasz, David Cooper, Jan Foudraine und Michel Foucault zu den wichtigsten Vertretern der Antipsychiatrie.

Literatur [Bearbeiten]Basaglia, Franco: Die negierte Institution oder die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen. Ein Experiment der psychiatrischen Klinik in Görz, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971
Basaglia, Franco (Hrsg.): Was ist Psychiatrie?, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974
Basaglia, Franco: Die Entscheidung des Psychiaters. Bilanz eines Lebenswerkes, Bonn: Psychiatrie-Verlag, 2002, ISBN 978-3-88414-259-2
Basaglia, Franco (Hrsg.): Befriedungsverbrechen: über die Dienstbarkeit der Intellektuellen, Frankfurt a. M.: Europ. Verl.-Anst., 1980, ISBN 3-434-00427-0
Bopp, Jörg: Antipsychiatrie. Theorien, Therapien, Politik, Frankfurt a.M. 1980.
Colucci, Mario/Di Vittorio, Pierangelo: Franco Basaglia, Mailand: Bruno Mondadori, 2001.
Härle, Jürgen, Die demokratische Psychiatrie in Italien. Modell oder Utopie, München 1988.
König, Malte: Franco Basaglia und das Gesetz 180. Die Auflösung der psychiatrischen Anstalten in Italien 1978, in: Petra Terhoeven (Hrsg.): Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2010, S. 209-233.
Riquelme, Horacio (Hrsg.): Die neue italienische Psychiatrie. Wandel in der klinischen Praxis und im psychosozialen Territorium, Frankfurt a.M. 1988.
Weblinks [Bearbeiten]


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