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Yadgar schrieb am 31.1. 2010 um 21:10:49 Uhr über

Blog

Ich frage mich schon seit längerem, was das eigentlich für Leute sind, die unermüdlich, sieben Tage die Woche, mitunter zu den bürgerlich umöglichsten Tages- oder besser Nachtzeiten ihre Meinung zu allem und jedem (insbesondere, wenn es im weitesten Sinne um Politik geht) im Internet kundtun...

Foren, Kommentarrubriken von Online-Zeitungsausgaben, Usenet-Newsgroups (für Traditionalisten, spielen heute keine wirklich große Rolle mehr) und wie gesagt vor allem Blogs (die sich wiederum unendlich kommentieren lassen...) - der tägliche Textausstoß allein im deutschsprachigen Raum, selbst wenn man nur die im engeren Sinne politischen Websites betrachtet, muss in die Terabytes gehen. Und die Mehrheit der Teilnehmer dürfte zu den Stammgästen gehören, die mindestens fünf Postings am Tag absetzen...

Und dann die ideologische Ausrichtung der Webportale - es gibt zwar einige dezidiert linksliberale, grüne, im engeren Sinne linke oder sogar linksradikale Blogs und Foren, die überwiegende Mehrheit scheint mir aber politisch ziemlich eindeutig nach rechts zu tendieren, und zwar nicht zum gemütlichen Feld-Wald-und-Wiesen-Konservatismus des CDU-Mainstreams, sondern zu teilweise ausgesprochen bizarren Ideologiegewächsen wie Anarchokapitalismus (»eigentümlich frei«), Sedisvakantismus (kreuz.net) oder Maskulismus, von denen ich mir nur sehr schwer vorstellen kann, dass sie in der realen Welt außerhalb des Internets überhaupt irgendeine Rolle spielen.

Motive, denen man auf Schritt und Tritt begegnet, sind von Polemik gegen das »Establishment« (von dumpfem Stammtischgenörgel bis zu akademischer Eloquenz) abgesehen vor allem Arbeitslosen-Bashing bis hin zur Forderung nach KZ-ähnlichen Lagern für ALG-II-Empfänger (sehr gerne auf politikforum.de, aber auch die elitäreren Blogs der Hayek- und Friedman-Jünger lassen sich da nicht lumpen!), Anti-Islam(ismus), der kleinste gemeinsame Nenner der Blogosphäre, da für »antideutsche« radikale Linke über generell religionskritische Liberale, verängstigte Kleinbürger mit kulturellem Minderwertigkeitskomplex, christliche Fundamentalisten bis hin zu Herrenreiter-Konservativen à la Ernst Jünger und Carl Schmitt konsensfähig (von den »Kshatriya«-Mystifaxen und Evola-Fans mal abgesehen, die durchaus Sympathien für gewisse Strömungen des Sufismus(!) haben), schließlich stereotype Hetze gegen 68er und sogenannte »Gutmenschen« - also alle, die sich nicht in ihren Ressentiments gegen alles irgendwie Fremde suhlen, sondern auch mal über ihren Tellerrand hinaus sehen...

Dass solche Zeitgenossen (ebenso wie die schrilleren Strömungen der Linken, auf deren Seiten man angesichts der dort versammelten Verschwörungstheorien regelmäßig den Verdacht bekommt, das politische Spektrum könnte in Wirklichkeit keine Linie, sondern ein Kreis sein, da sich die extremen Enden offensichtlich berühren... ) im Internet weit überrepräsentiert sind, wundert mich nicht wirklich - was nur eine winzige Minderheit überhaupt interessiert, lohnt schon ganz betriebswirtschaftlich betrachtet einfach nicht, auf Papier gedruckt und in Buchdeckel gebunden zu werden, und dann hat der durchschnittliche SPDGrüneFDPCDUCSU-Sympathisant (von den politisch Desinteressierten gar nicht zu reden) auch nicht das Sendungsbewusstsein, um einen Großteil seiner freien Zeit mit Werben für seine Weltanschauung zu verbringen, oder anders ausgedrückt: Menschen mit gemäßigten oder diffusen politischen Ansichten haben einfach Wichtigeres zu tun, als das Internet vollzutexten...

Was mögen das also für Leute sein? Sie müssten entweder deutlich mehr Zeit haben als normale Berufstätige - oder aber für ihre Online-Meinungswut bezahlt werden. Letzteres kann ich mir allerdings schwer vorstellen, da meine eigenen Erfahrungen mit bezahlter Bloggerei eher ernüchternd sind - davon leben kann man jedenfalls nicht; abgesehen davon ist das Niveau vieler Blogs (und erst recht der Pöbel-Postings in den Foren und Kommentarrubriken) nicht dazu angetan, das Prestige potenzieller Geldgeber zu steigern. Andererseits halte ich die (anonyme) Finanzierung dummdreister Hetze im Dienste populistischer politischer Agendas für nicht völlig abwegig - andernfalls dürfte es z. B. die Bild-Zeitung nicht geben...

Arbeitslose fallen jedenfalls schon einmal als »Tätergruppe« aus - eine derartig masochistisch gestörte Persönlichkeit, wie sie dazu erforderlich wäre, würde zu stark auf den Gesamttenor der Beiträge durchschlagen, am Ende empfindet das Publikum womöglich noch Mitleid mit dem Autor, das kann nicht gewollt sein.

Rentner dürften ebenfalls eher schwach vertreten sein - unter den »Silver Surfers« überwiegen die durch 1968ff Geprägten (und damit Linksliberalen), Konservative jener Altersgruppe stehen dem Internet eher fern.

Bleiben noch mäßig engagierte Studenten mit reichen Eltern (der typischen Blog-Ideologien nach wohl hauptsächlich in Wirtschaftsfächern und Jura), für die Jobben ebensowenig ein Thema ist wie Studiengebühren... und frustrierte Frührentner mit behandlungsbedürftigen psychischen Problemen, die für ihr verpfuschtes Leben die üblichen Sündenböcke verantwortlich machen, die Grenze zu jenen paranoiden Querulanten, die sich in endlosen Bleiwüstentexten über sexuelle Belästigung durch jüdische Gedankenkontrollstrahlen auslassen ist vermutlich fließend.


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