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Die McKinsey-Gesellschaft
Krystian Woznicki 20.04.2003
Das ökonomische Programm der Effizienzsteigerung hat bereits alle Bereiche
der Gesellschaft erfasst
Accenture, Roland Berger, Bain, Booz Allen Hamilton, Price Waterhouse, Oliver
Wyman & Company, The Boston Consulting Group, A.T. Kearney - der Markt ist
voll mit Consulting Unternehmen, die bald nicht mehr weg zu denken sein werden aus
unserem Alltag. Bereits jetzt prägen sie ihn durch ihre Informationsüberlegenheit
und durch ihre Definitionsmacht über Lifestyle-Modelle. Allen voran
McKinsey & Company, die 1926 gegründet wurde.
Los Angeles im Jahre 2019. Von der himmelhoch aufragenden, an die Bauten der Mayas
erinnernden Pyramide der Tyrell Corporation tropft saurer Regen auf amorphe
Menschenmassen hinab. Ein Anblick, das als Sinnbild herhalten kann für die dritte Phase
des Kapitalismus: Der allumfassende Eroberungsfeldzug scheint abgeschlossen. Fraglich
scheint nur noch, wie die Diktatur der Ökonomie die Welt neu programmiert.
Jedenfalls hat korporatives Kapital längst die Eingeweide der Gesellschaft vollständig
durchdrungen, es dominiert sogar den Kern der menschlichen Fantasie: Nichts mehr gehört
dem Menschen allein, sogar seine Erinnerungen sind von der Tyrell Corporation künstlich
in das Bewusstsein implantiert worden. Was von Philip K. Dick als Science
Fiction-Dystopie entworfen wurde, hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschreckend
konkrete Konturen angenommen. Wenn man Dirk Kurbjuweits gerade erschienenes Buch
»Unser effizientes Leben« liest, erhält man den Eindruck, dass das Blade Runner-Dasein
bereits Realität geworden ist. Allerdings ist Kurbjuweits Leitmetapher nicht der
Androide, sondern der McKinsey-Mensch. Ein Prototyp, der in Anlehnung an die weltweit
führende Consulting Agentur benannt ist.
Das Unternehmen, das Effizienz zum obersten Prinzip erhoben hat und mit dieser Losung
praktisch der halben Weltwirtschaft beratend zur Seite steht, begreift, so Kurbjuweits
alarmierende Ausgangsbeobachtung, nicht mehr nur den ökonomischen Sektor als seine
primäre Kampfzone. Längst hat es sich daran gemacht alle anderen gesellschaftlichen
Gebiete zu erschließen: die Kultur, die Kirche, die Stadt, die Politik, die Bildung und
nicht zuletzt die Forschung.
Das will der Autor jedenfalls als die wesentliche Entwicklung der letzten 10 Jahre
ausgemacht haben. Denn solange verfolgt er die im Volksmund auch als »Sekte« titulierte
Unternehmensgruppe. Bereits in den 1990er Jahren war er auf McKinsey aufmerksam
geworden, traf den damaligen Chef, interviewte zahlreiche Mitarbeiter und gewann somit
Einblick in die Arbeitsweise und Ideologie der Firma. Er lernte aber auch die Wirkung
von McKinsey kennen. Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung einer viel sagenden
Verwechselung: Eine Verlagsangestellte, die vielleicht wegen der schwarzen, eleganten
Kleidung des Autors plötzlich unaufgefordert anfängt, ihren Arbeitsplatz zu verteidigen
und nervös Argumente gegen ihre Entlassung aufbietet, bis ihr Chef das Zwiegespräch mit
den Worten unterbricht: Der Mann ist doch gar kein Mitarbeiter von McKinsey.
McKinseys Optimierungsprogramm der Straffungen, Rationalisierungen und der
Gewinnmaximierung, kurz: Das Programm der Effizienzsteigerung hat psycho-soziale
Folgen. Unter der impliziten Forderung, die Masse solle die Elite als Leistungsmaßstab
verwenden, entsteht nicht nur eine vermeintlich »athletische Gesellschaft«, sondern auch
ein Konkurrenzdruck, der viele Menschen deutlich überfordert. Sie werden von McKinsey
programmatisch »gebrochen«, um flexibel zu werden. Hier deutet sich ein Paradoxon an:
"In fast jedem Einzelfall lassen sich gute Gründe für Effizienz und ökonomisches
Verhalten finden, in der Summe kommt eine Gesellschaft dabei heraus, die nicht
lebenswert ist."
Das Produkt nennt Kurbjuweit die »McKinsey-Gesellschaft«. Ein Begriff, mit dem er eine
Topografie skizziert, in der nicht mehr allein zählt, wo die Consulting Firma waltet und
schaltet. Nein, es geht um die Früchte der Eigendynamik, die die McKinsey-Denkschule
entfaltet hat. Kurbjuweit begreift McKinsey in diesem Sinne als eine Metapher für einen
allumfassenden Wandel in der Gesellschaft, den der Philosoph Joachim Koch mal wie
folgt auf den Punkt brachte:
"Im Mittelalter prägte die Kirche Denken und Verhalten, seit der Aufklärung galt die
Vernunft als Maßstab allen Handelns. Heute spielt diese Rolle die Ökonomie: Sie
prägt unsere Vorstellungen von Glück, Liebe und Lebenssinn."
Bleiben da noch Auswege und Alternativen? Diesbezüglich ist Kurbjuweit eher Skeptiker.
Er beschreibt umfassend, wie die letzten, vom Effizienz-Denken unerfasst gebliebenen
Bereiche von McKinsey annektiert werden. Besonders spannend nimmt sich sein Blick auf
die Kirchen aus. Spätestens seit dem 2. Weltkrieg haben sie an gesellschaftlicher
Relevanz eingebüßt. Seit geraumer Zeit bröckelt ihre Existenzgrundlage. Erst neulich
berichtete die Süddeutsche Zeitung einmal mehr über die lähmende Finanzkrise des
Erzbistums und McKinseys Rat, einen härtest möglichen Stellenabbau durchzuführen und
zu verkaufen, was sich verkaufen lässt. Mit der administrativen Transformation dieses
Sektors geht allerdings auch die Transformation der spirituellen Domäne in einen
Dienstleistungssektor einher - vielleicht Kurbjuweits denkwürdigstes Beispiel für die
»McKinsey-Gesellschaft«.
Dirk Kurbjuweit: Unser effizientes Leben. Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen.
Rowohlt. 192 S., € 17,90.
Kommentare:
Welche Effizienz? Lasst uns doch Effizienz fuer uns selbst definieren (fushbuck, 22.4.2003 17:52)
Kann auch sinnvoll sein (olliplex, 22.4.2003 16:40)
Nur ein Teil... (olliplex, 22.4.2003 16:26)
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last modified: 18.04.2003
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