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Arbeiten in einer vernetzten Welt
Brigitte Zarzer 19.05.2003
Neue Technologien werden kaum zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen
genutzt
Eine im Rahmen der internationalen Konferenz über Aus- und Verlagerungen von Arbeit
in Wien präsentierte Studie, geht der Frage nach, wie viel Fort- und/oder Rückschritt die
informationstechnische Revolution der Arbeitswelt bislang brachte. Fazit: Meistens
orientiert sich die Techniknutzung primär an den Zielen der Rationalisierung und
Managementkontrolle. Dies führt nicht nur für viele Arbeitnehmer zu
Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen sondern kann sich für die Unternehmen
selbst als Bumerang erweisen.
Die von der Wiener Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt ( FORBA) präsentierte
Studie basiert auf zahlreichen, jüngeren empirischen Forschungen zum Einsatz von
Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Unternehmen. Die Forscher Manfred
Krenn, Jörg Flecker und Christian Stary konzentrierten sich bei der Analyse auf die Branchen
IT-Dienstleistungen, Finanzdienstleitungen und industrielle Produktion. Die sich in den letzten
Jahren abzeichnenden Trends in der Arbeitsorganisation bei zunehmender Durchdringung mit
IKT, wurden schließlich entlang der Themenfelder Arbeitsteilung, räumliche Aspekte,
Kooperation und Arbeitszeit behandelt.
Während in den meisten klassischen Branchen noch immer »Normal«-Arbeitsverhältnisse
dominieren, haben in dem stark wachsenden Bereich der IT-Diensleistungen neue Arbeits-
und Beschäftigungsformen inzwischen eine relevante Höhe erreicht.
"Die Auslagerung von IT-Funktionen aus Unternehmen verschiedenster Branchen aber auch
im IT-Sektor hat zu einer Zunahme davon Selbständigen und SOHO's geführt. (...) Die
Medien- und IT-Branche spielt in dieser Hinsicht gewissermaßen eine Vorreiterrolle. Für
Deutschland gehen die Schätzungen des IAB von einem Anteil von 20% an Selbständigen
bzw. Einpersonen-Unternehmen an den Beschäftigten aus. Diese Zerfaserung der
Beschäftigung hat zur Folge, dass viele Funktionen die früher von Unternehmen
wahrgenommen wurden, jetzt in die individuelle Verantwortung der Freelancer und zwar in
inhaltlicher, zeitlicher und materieller Hinsicht , übertragen werden."
Wer sich jemals in diesen Bereichen als Freiberufler bewegt hat, weiß, dass sich die durch
die Selbstständigkeit gewonnene Freiheit rasch in das ungesicherte Los der Vogelfreiheit
verkehren kann. Sicherlich gibt es einige Spezialisten, die auch in konjunkturschwachen
Zeiten ganz gut über die Runden kommen. Die Mehrheit der Freelancer (Stichwort:
Webdesigner, freie Journalisten, Grafiker etc...) kämpft aber mit der sozial unsicheren Lage,
auf welche die sozialen Sicherungssysteme (zumindest in Österreich und Deutschland) bis
dato nicht oder unzureichend reagiert haben. Nicht von ungefähr wurde schließlich die
Ich-AG aus dem Hartz-Papier zum Unwort des Jahres 2002 gekürt.
Der Einsatz von neuen Technologien führte natürlich auch in klassischen Branchen zu
tiefgreifenden Umwälzungen. Eine der interessantesten Studien im Hinblick auf die
Arbeitsorganisation publizierten Peter Brödner und Erich Latniak vom Institut Arbeit und
Technik, Gelsenkirchen, im Herbst 2002.
"Vereinfacht lassen sich zwei Strategietypen unterscheiden (...), mit denen die Unternehmen
versuchen, die Produktivität ihres wirtschaftlichen Handelns zu beeinflussen. Die
Unternehmen auf der »low road of innovation« nutzen zur Verbesserung ihrer
Wettbewerbsfähigkeit überwiegend Maßnahmen zur Aufwandsreduzierung wie
Personalausdünnung oder Auslagerung bzw. Restrukturierung von Prozessen. Dem
gegenüber steht eine Minderheit sehr erfolgreicher Unternehmen, die der Strategie der "high
road of innovation" folgen: Für sie steht die Aktivierung und Entfaltung ihrer Potenziale und
Kompetenzen im Vordergrund, die sie zur Erschließung neuer Geschäftsfelder, also zur
Ausdehnung des Ertrages nutzen, ohne auf erfolgskritische Prozessinnovationen zur
Aufwandssenkung zu verzichten", hieß es dazu in einer Aussendung.
Dieser Grundtendenz folgen auch die Wiener Forscher und kommen zu einem ähnlichen
Ergebnis hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arbeit selbst. So würde sich bei
Low-road-Strategien eine "Tendenz zur Spaltung der Beschäftigten in hochqualifizierte Kern-
und niedrig qualifiziere Randbelegschaft zum Ausgleich von Kapazitätsschwankungen
abzeichnen.
Der von den Autoren verwendete Begriff der »niedrig qualifizierten« Mitarbeiter wäre
allerdings dahingehend zu hinterfragen, ob sich nicht überhaupt in den letzten Jahren eine Art
Niedriglohnsektor qualifizierter Werktätiger gebildet hat (Stichwort: Freeelancer, etc..).
Zumindest was den Bildungsstatus anbelangt sitzen beispielsweise in Callcentern nicht
unbedingt die »Dümmsten« unserer Gesellschaft. Ursula Holtgrewe von der Universität
Duisburg/Essen etwa referierte auf der Konferenz in Wien über ihre Studien zu Callcentern.
"Teilzeitbeschäftigung in Callcentern wird oft von Studierenden und Berufsrückkehrerinnen in
Anspruch genommen - beide Gruppen zeichnen sich durch hohe Qualifizierung (...) aus."
Selbst Akademiker sind nicht gar nicht mehr so selten unter den Callern und
Meinungsforschern anzutreffen. Auch die Anforderungen - gute Rhetorik, Serviceorientierung,
EDV-Kenntnisse, Stressresistenz - sind nicht eben mit dem Qualifikationsprofil eines
Hilfsarbeiters zu vergleichen. Nur die Bezahlung ist eben durchwegs schlecht.
Wirklich spannend sind an der Wiener Studie Fallbeispiele, die illustrieren, wie der Einsatz
von IKT unter dem Postulat von Rationalisierung und Managementkontrolle keineswegs die
befreiende Wirkung auf die Arbeitsqualität haben, wie es in den Hochphasen der New
Economy noch beschworen wurde:
"Seit die Computer mobil geworden sind, betrifft das nicht nur die Arbeiter am Fließband
(..) oder die Angestellten am Bankschalters, sondern auch die Fahrer von LKWs, die
Arbeitskräfte im Außendienst und die Montagetechniker."
Wir kennen Fälle von Montagetechnikern, die von ihrem tragbaren Minicomputer
erfahren, wo sie als nächstes beispielsweise einen Telefonanschluss installieren
sollen. Das kann auch bedeuten, dass der Monteur mehrmals am Tag in das gleiche
Gebäude gehen und den gleichen Schaltkasten öffnen muss, weil ihm die Kompetenz
zur Bündelung der Arbeitsaufträge genommen wurde. Für die Beschäftigen am
unteren Ende der Hierarchie kann das zur Abwertung, zur Missachtung ihrer
Qualifikation und in der Folge zu nicht unbeträchtlichen psychischen Belastungen
führen.
Der Soziologe Manfred Krenn bei der Wiener Tagung
Das intensive Bemühungen vieler Unternehmen um computergestütztes Wissensmanagement,
könnte wiederum bei höher qualifizierten Mitarbeitern unangenehme Gefühle auslösen. "So
sind viele Einsatzformen von IKT eng mit dem Ziel er Unternehmen verknüpft, die Kenntnisse
und das Erfahrungswissen einzelner Beschäftigter auch anderen zugänglich zu machen und so
von den Arbeitskräften unabhängiger zu werden", so das Wiener Soziologenteam. Die Zeiten
als "qualifizierte Arbeiter in der Zuckerindustrie, wo die Zuckerkocher ihr Erfahrungswissen
lange als Geheimnis hüteten und nur an ihre Söhne weiter gaben", sind wohl vorbei.
Übermäßige Kontrolle durch IKT von oben nach unten kann sich aber auch als Bumerang für
die Unternehmen selbst erweisen.
Das überzogene Vertrauen in die Computertechnologie, ein hoher Grad an
Automatisierung und damit verbunden das Misstrauen in die Potentiale der
menschlichen Arbeitskraft führen in Verbindung mit der extensiven Nutzung der in
en IKT liegenden Kontrollmöglichkeiten durch das Management oft zu Ineffizienz.
FORBA
Ein Fallbeispiel: "In einem Papierunternehmen sorgte die penible nachträgliche Kontrolle
jedes von den Arbeitern getätigten und im IT-System dokumentieren Eingriffs dafür, dass
viele Arbeiter in unsicheren, kritischen Situationen Nicht-Handlen den Vorzug vor
risikobehafteter Problemlösung gaben. Insofern kann sich IKT als extensiv genutzte
Kontrolltechnologie als Falle erweisen, da notwendige Korrekturen und Eingriffe durch die
Arbeiter eher vermieden werden und dadurch weitreichende Störungen und Ausfälle zur Folge
haben."
Auch wenn in diesem Artikel eher negative Tendenzen des Technik-Einsatzes herausgegriffen
wurden, sollen keineswegs die neuen Möglichkeiten für verbesserte Arbeitsbedingungen, die
durch die Informationstechnologien erst geschaffen wurden, verkannt werden. Die Frage ist
eben immer, wie sie eingesetzt werden. Das liegt einerseits in der Verantwortung des
Managements (siehe High-Road-Strategien). Zu einem Gutteil müsste meiner Meinung nach
hier aber auch die Politik steuern und entsprechende Rahmenbedingungen herstellen.
Letztendlich obliegt es schließlich dem Gesetzgeber, neue Trends in der Arbeitswelt auch auf
ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen hin zu prüfen.
Wer hat nämlich etwas von hochqualifizierten aber schlecht bezahlten Freelancern,
Callcenter-Agents o.ä., die kaum mehr in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen müssen
bzw. können, von der Kaufkraft erst ganz zu schweigen oder von »technik-ferngesteuerten«
Arbeitnehmern, die irgendwann mit psychosomatischen Störungen auf die neuen
Arbeitsbedingungen reagieren werden? Die Heilungskosten (im erweiterten Wortsinn) zahlt
letztlich der Staat oder einfach die Gesamtgesellschaft.
Kommentare:
Ich glaub' es nicht ... (sigih, 20.5.2003 1:03)
Warum sollte es in der vernetzten Welt anders laufen als überall??? (manten, 20.5.2003 0:32)
Ich schliesse mich den Worten meines Vorredners kommentarlos an. (oT) (Alteisen, 20.5.2003 0:18)
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last modified: 19.05.2003
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