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kontextslow schrieb am 28.6. 2003 um 01:33:08 Uhr über

Berichterstattung



Herstellung von Konsens

Oliver Frommel 28.06.2003

Noam Chomskys Theorie der kapitalistisch gleichgeschalteten Massenmedien

Die zunehmende Medienkonzentration bietet immer wieder Anlass zu
Grundsatzdiskussionen, so aktuell zu der Lockerung der Medienkartellgesetze in den
USA. Die von den Gegnern dieser Liberalisierung befürchtete einseitige Manipulation
der öffentlichen Meinung ist freilich für andere längst Realität. So beschreibt Noam
Chomsky seit vielen Jahren die Herstellung von Konsens durch gleichgeschaltete
Massenmedien. Eine Zusammenstellung ins Deutsche übersetzter Texte ist jetzt unter
dem Titel »Media Control« erschienen.




Genau genommen betreibt Chomsky nichts anderes als kommunikations- und
politikwissenschaftliche Studien. Er macht dabei zwar keinen Hehl aus seinem politischen
Anspruch, unterwirft sich aber trotzdem den üblichen »objektiven, wissenschaftlichen«
Standards. Dazu bedient er sich sowohl qualitativer, als auch quantitativer Methoden, die er
in seinem Buch detailliert darlegt.




So versucht er zunächst ähnlich beschaffene Fälle zu finden, beispielsweise
Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern, und vergleicht dann Umfang und Inhalt der
Berichte in amerikanischen Medien. Dabei stellt er jeweils einen Fall, in den ein - vereinfacht
ausgedrückt - amerikakompatibles Land verwickelt ist, und den eines Landes mit einem
inkompatiblen System, gegenüber. Das wären beispielsweise ein Land, das eine tendenziell
kapitalismusfreundliche »Demokratisierung« anstrebt, gegenüber einem, in dem es Ansätze
sozial(istisch)er Politik gibt; oder es geht um rivalisierende Gruppen innerhalb eines Landes,
die sich aber entsprechend den Interessen der US-Regierung zuordnen lassen (z.B. El
Salvador gegenüber Nicaragua oder Kambodscha gegenüber Osttimor).

In allen betrachteten Fällen stellt Chomsky fest, dass die Berichterstattung unter dem Strich
ungünstiger für das zweite Land ausfällt: über die Gräueltaten der »Feinde« wird immer
ausführlicher und negativer berichtet als über die der befreundeten Staaten oder Gruppen.
Umgekehrt verhält es sich natürlich bei den Berichten über »verdienstvolle Handlungen«
(Chomsky). In dieser Weise wird dann auch in der Öffentlichkeit gegebenenfalls der Boden
für eine Intervention der USA bereitet, sei es über mehr oder weniger verdeckte oder offen
militärische Aktionen. Ähnlichkeiten zum Irak-Krieg dürften nicht zufällig sein.

Subtile Form der Gleichschaltung

Die reine Faktenlage wird von Chomskys Gegnern nicht bestritten, sehr wohl jedoch deren
Interpretation. Mit einigen Einwänden beschäftigt sich Chomsky in »Media Control«. Die
Kritiker verweisen auf den Zufall, die Überfülle an täglichen Informationen und die generelle
Überlastung im Nachrichtengeschäft, die Ursache solcher Verzerrungen seien. Chomsky
dagegen glaubt an eine, wenn auch nicht unbedingt bewusste, Strategie der Medienmacher. So
sei eine tendenziell regierungsfreundliche Berichterstattung längerfristig besser für die
Wirtschaft und damit auch für die Medienkonzerne selbst.

Es drängt sich bei der Lektüre die Frage auf, ob nun hinter der ganzen Sache tatsächlich
konkrete Akteure stecken sollen. Denn so wie Chomsky es skizziert, scheint sich hinter der
verzerrten Berichterstattung eine Absicht oder ein Plan zu verbergen. Denkt man hier an eine
konkrete Gruppe von Menschen, findet man sich schnell im Reich der Verschwörungstheorien
wieder, wohin Chomsky von seinen Kritikern gerne verbannt wird - aber ist das nicht
wiederum nur eine Strategie zur Ausschaltung kritischer Stimmen?

Chomsky sieht eher eine subtilere Form der Gleichschaltung am Werk, die sich über die
Etablierung bestimmter Ideen im kollektiven Bewusstsein vollzieht. Das geht zurück auf die
Anfänge moderner Demokratien, speziell in den USA, als innerhalb der herrschenden Elite
beinahe ein Konsens bestanden habe, dass die Volksherrschaft weder möglich noch
wünschenswert sei. Vielmehr müssten die Herrschenden dafür sorgen, dass das Volk allein
im Glauben bleibe, mit an der Macht zu sein, ansonsten aber die Trennung zwischen
Herrschenden und Beherrschten aufrecht erhalten bleibe.

Chomsky beschreibt den Einfluss, den der Theologe Reinhold Niebuhr auf die politische Elite
der USA hatte, und der seiner Meinung nach bis heute weiterwirkt. Niebuhr hatte eine
eigentümliche Mischung von Christentum und Realpolitik (christian realism) gelehrt, in der
Herrschende mit objektivem Blick (cool observers) das gemeine Volk mit emotional
wirkungsmächtigen Vereinfachungen (emotionally potent oversimplifications) in die richtige
Richtung lenken sollten.

Scheindemokratische Verhältnisse

Dafür entdeckten progressive Politik- und Kommunikationswissenschaftler wie Walter
Lippmann die Massenmedien. Mit ihrer Hilfe sei es möglich, in der erforderlichen Weise den
Konsens herzustellen (manufacturing consent), der für das reibungslose Funktionieren der
beschriebenen Scheindemokratie nötig ist. Chomsky meint, dass es diese Ideologie ist, die
quasi als Selbstläufer nun erheblichen und schädlichen Einfluss auf das angeblich
demokratisches System der USA (und natürlich auch anderer Länder) besitzt.

Chomskys Theorie bewegt sich auf zwei Ebenen. Einmal macht er eine Aussage über den
empirischen Bereich seiner Untersuchung, also die Berichterstattung über mehr oder weniger
abgrenzbare Ereignisse. Zum anderen enthält seine Theorie eine Vorhersage über den Umgang
mit ihr selbst. Beide Grundthesen werden von Chomsky auf ein einziges gemeinsames Motiv
zurückgeführt, nämlich die Aufrechterhaltung einer Art Pseudo-Demokratie. So sind seine
Gegner gezwungen, auch auf der zweiten Ebene dieselben Strategien der
Wirklichkeitsverzerrung anzuwenden. Dass nun seine Theorie tatsächlich oft in der von ihm
vorhergesehenen Weise diskreditiert oder ignoriert wird, ist für Chomsky also nur ein
weiteres Indiz für ihre Richtigkeit.

Das Buch besteht aus einigen Kapiteln des schon etwas älteren Necessary Illusions, das auf
eine Vorlesungsreihe Chomskys aus dem Jahr 1988 zurückgeht. Diesen ist eine Übersetzung
des 2002 auf englisch erschienenen Bandes Media Control vorangestellt, die sich mit
jüngeren Entwicklungen beschäftigt.

Dabei geht Chomsky auch auf die Medienberichterstattung in der Folge des 11. September ein.
Damit gewinnt das Buch eine gewisse Aktualität, stellt aber Chomskys Thesen in den Kontext
seiner schon ausgearbeiteten Theorie über die Manipulation der öffentlichen Meinung in einer
»kapitalistischen Demokratie«. Die Übertragbarkeit auf europäische Verhältnisse ist wohl
tendenziell gegeben, auch wenn Chomsky sich im wesentlichen auf die USA beschränkt. Wenn
auch die schier endlose Menge an Daten, die Chomsky zum Beleg seiner Thesen heranzieht,
auf Dauer etwas ermüdet, bietet das Buch doch einen guten Überblick über die Grundlagen
seiner kritischen Theorien.

Noam Chomsky: Media Control. Europa Verlag. 320 Seiten. Preis: EUR 17.90
















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