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Stern schrieb am 13.3. 2001 um 14:28:57 Uhr über

Japan

Ein fataler Irrtum. Der 63-Jährige ist knapp ein Jahr im Amt. Zwar hat er
sich eine beispiellose Kette an verbalen Entgleisungen, peinlichen
Auftritten und Fehlentscheidungen geleistet. Zwar ist seine Regierung
in zwei Schmiergeld-Skandale verwickelt. Sie konnte weder den
Staatshaushalt sanieren, noch mit milliardenschweren Notprogrammen
die Konjunktur ankurbeln. Und doch ist Mori nicht mehr als ein
Symptom; so wie hohes Fieber lediglich offenbart, dass im Körper eine
Infektion tobt.

Das Übel, das den japanischen Staat im Koma verharren lässt, heißt
nicht Mori. Es hört auf das Kürzel LDP. Gleich einer Hydra bastelt die
Liberaldemokratische Partei Japans bereits seit Wochen an neuen
Köpfen, die nachwachsen werden, rollt der des Amtsinhabers erst
einmal. Am Ende wird Mori nicht mehr sein als ein kleiner Zwischenfall
in einer langen Reihe von politischen Versäumnissen und
Fehleinschätzungen. Die Hoffnung auf eine baldige Heilung der
japanischen Krankheit darf getrost begraben werden.

"Es ist eine Tatsache, dass gegenwärtig niemand in der Lage ist, die
politische Situation im Lande zu ändern", sagt der Banker Ryuji
Higuchi. "Das Land ist unfähig, sich ohne massiven Druck von außen
zu reformieren", stöhnt auch Christopher Wood von ABN Amro.

Mit einer kurzen Unterbrechung regieren die Liberaldemokraten seit 46
Jahren das Land; derzeit in einer Koalition mit der
religiös-buddhistischen »Komeito« und den Neukonservativen der
»Hushuto«. Vier Schatten-Shogune der LDP kürten Mori im April 2000 -
in einem Hotelzimmer - zum Nachfolger des verstorbenen Keizo
Obuchi.

Die an die Wahl eines Mafia-Paten erinnernde Hinterzimmer-Kür
empörte nicht nur demokratisch gesinnte Japaner. Sie erwies sich
zudem als Missgriff: So verkündete Mori völlig unbefangen, dass Japan
für ihn noch immer eine »göttliche Nation mit dem Kaiser im Zentrum«
sei. Er spielte lieber Golf, als sich um neun tote Japaner zu kümmern,
die mutmaßlich fahrlässig von der US-Marine mit ihrem Boot versenkt
wurden. Nur mit Mühe und der Hilfe zähneknirschender Parteigenossen
überstand er zwei Misstrauensvoten und einen parteiinternen
Putschversuch. Seine Beliebtheit in der Bevölkerung dümpelt im
einstelligen Prozentbereich.

Arroganz der Macht

Die Staatsverschuldung liegt derzeit bei 130 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes. "Die öffentlichen Finanzen stehen vor dem
Kollaps", bekannte Finanzminister Kiichi Miyazawa am Donnerstag.
Nach einem kurzen Aufschwung im vergangen Jahr droht Japans
Volkswirtschaft jetzt erneut die Rezession. Der Nikkei-Index erreichte
am Montag seinen tiefsten Stand seit 16 Jahren. Bereits im Januar
warnten Miyazawas Amtskollegen aus Asien und Europa: "Japan ist
ein ernsthaftes Risiko für die Weltwirtschaft".

Doch weder die Warnrufe aus dem In- und Ausland, noch das
politische Versagen der Regierung Mori, treiben die LDP-Senioren zum
Nachdenken über einen Nachfolger. Es ist die Angst vor dem
Machtverlust. Im Juli sind Oberhauswahlen. Keine allzu wichtige
Entscheidung, denn nur die Hälfte der Sitze, von denen die LDP etwa
40 Prozent hält, stehen zur Wahl. Dennoch, ein Erdrutschsieg der
Opposition könnte der LDP die Gesetzgebung so erschweren, dass
vorgezogene Unterhauswahlen unumgänglich werden. Die stehen
eigentlich erst 2004 an.

Gerangel um Nachfolge Moris

Erst seit das politische Desaster namens Mori jede Wahl für die LDP
zu verhageln droht, läuft das Geschacher um seinen Thronfolger auf
Hochtouren. Drei der vier Schatten-Shogune, die Mori ins Amt hievten,
sind wieder dabei. Und weil sie zerstritten sind und um die
Vorherrschaft innerhalb ihrer eigenen Partei kämpfen, war bis zum
Redaktionsschluss kein Rücktrittstermin für Premier Mori bekannt.
Stattdessen werden die Japaner und der Rest der Welt inmitten der
Krise mit einem Staccato von Gerüchten, Ankündigungen und
Dementis eingedeckt, auf dass die Verwirrung möglichst groß sei.
Schließlich lässt es sich im Dunkeln besser munkeln.

Gespalten ist die größte Fraktion innerhalb der LDP. Über 100
Abgeordnete scharen sich dort um den ehemaligen
Ministerpräsidenten Hashimoto Ryutaro.

Eine Gruppe dieser Fraktion will den Führer der an Einfluss
verlierenden Mori-Fraktion, Junichiro Koizumi, als neuen Premier
sehen. Koizumi wird unterstützt vom mächtigen Mikio Aoki, der
seinerseits Mitglied der Hashimoto-Fraktion ist und zu jener
Viererbande gehörte, die schon Mori ins Amt verhalf. Aoki bringt
zudem außerparlamentarische Rückendeckung aus Japans
Bauindustrie mit. Die Branche ist größter Nutznießer der staatlichen
Notprogramme zur Ankurbelung der Binnennachfrage - und zeigte sich
stets dankbar.

Aoki und seine konservative Gruppe halten ihren Kandidaten, trotz
Zugehörigkeit zu einer anderen Fraktion, für kontrollierbar. Zwar hat
sich der ehemalige Post- und Telekom-Minister Koizumi schon mal für
die Privatisierung der japanischen Post ausgesprochen, was ihn für
manchen Betrachter bereits zum Reformer machte. Doch mit diesem
Vorhaben dürfte er keine Chance haben. Denn die gegen die
Privatisierung stürmenden Postangestellten sind traditionelle
LDP-Wähler.

Aokis Gegenspieler in der Hashimoto-Fraktion und zweiter Anwärter
auf die Mori-Nachfolge ist der ehemalige LDP-Generalsekretär Hiromu
Nonaka. Auch er war Mitglied der Viererbande vom April 2000. Nonaka
schmiedete die amtierende Drei-Parteien-Koalition zusammen und
vereitelte im vergangenen November den Putschversuch gegen Mori.
Der 75-Jährige gilt als Traditionalist. "Einer, der es beherrscht, Feinde
zu manipulieren und auseinander zu dividieren", beschreibt ihn der
Politologe Masayuki Fukuoka.

Nonaka ist nicht nur Wunschkandidat der beiden Koalitionspartner der
LDP, er wird zudem vom gegenwärtigen LDP-Generalsekretär Makoto
Koga unterstützt. Ob Nonaka allerdings bei Wahlen die Gunst der
Japaner gewinnen kann, bezweifeln viele Parteigenossen. Er steht zu
sehr im Ruf, die alte, skandalumwitterte »Pattex-Partei« zu verkörpern,
deren Brei aus Fraktionen und Gruppen allein der Wille zur Macht
zusammenhalte, wie Patrick Köllner vom Institut für Asienkunde sagt.

Hoffnugsträger Ishihara

Deshalb bastelt die Nonaka-Gruppe bereits an einem
Übergangsszenario. Demnach soll Nonaka den Platz des
Ministerpräsidenten nur solange warm halten, bis es gelungen ist, den
höchst populären Shintaro Ishihara in die Arme der Partei
zurückzuführen. Der nationalistische Rechtsaußen trat 1995 aus der
LDP aus und gewann vier Jahre später als Unabhängiger mit
überwältigender Mehrheit die Wahl zum Bürgermeister von Tokyo.
Seither erfreut sich Ishihara als volksnaher Macher, der auch Konflikte
mit mächtigen Interessengruppen nicht scheut, wachsender
Beliebtheit. Derzeit verfügt er über kein Mandat im Parlament und
kommt deshalb für das Amt des Ministerpräsidenten nicht in Frage.
Ishihara bereitet aber seine Rückkehr in die nationale Politik bereits
vor.

Doch ob das Ringen um die Herrschaft in der Fraktion mit solch
kühnen Manövern entschieden werden kann, ist fraglich. Sollte der
Machtkampf zwischen Aoki und Nonaka unentschieden ausgehen,
bleiben nur zwei Optionen. Entweder tritt Fraktionsführer Ryutaro
Hashimoto - als Kompromisslösung - die Nachfolge Moris an, oder
seine Fraktion spaltet sich. Hashimoto, derzeit Minister für die
Verwaltungsreform, werden Ambitionen nachgesagt, das höchste Amt
im Staat ein zweites Mal übernehmen zu wollen. 1998 trat er als
Premier zurück, weil er die LDP in eine Wahlschlappe geführt hatte.

Auf die Spaltung der Hashimoto-Fraktion wartet Shizuka Kamei. Er ist
amtierender Vorsitzender des LDP Policy Research Councils und die
Nummer Drei der Viererbande, die Mori zum Premier kürte. Kamei, der
ebenso wie Aoki ein Freund staatlich finanzierter Bauvorhaben ist,
bringt seine eigene Fraktion derzeit in Stellung gegen die beiden
Streithälse der Hashimoto-Fraktion. Ob er bei einem Sieg selbst die
Mori Nachfolge antreten wird oder lieber Schatten-Shogun bleibt, ist
noch ungewiss.

Wo sollen Japans Politiker angesichts solcher Machtkämpfe noch Zeit
und Kraft hernehmen, das Land mit den überfälligen Reformen aus dem
Tal der Tränen zu führen? "Solange diese Partei an der Regierung ist,
wird es keine Veränderungen geben - egal wie der nächste Premier
heißt», kommentiert das Nachrichtenmagazin «Weekly Post"
resigniert.

Weiter wie bisher, heißt denn auch die LDP-Parole: den Haushalt 2001
und das nächste Notprogramm verabschieden, dem scheidenden
Premier noch zwei Staatsbesuche (Bush und Putin) schenken und ihn
anschließend austauschen. Vielleicht machen sich ja rechtzeitig zum
Juli die neuen Überlebensspritzen erneut in einem kleinen,
wirtschaftlichen Schein-Aufschwung bemerkbar, mit dem sich die Wahl
dann wieder gewinnen ließe.

Übrigens, der vierte Mann der Viererbande, der
LDP-Oberhausabgeordnete Masakuni Murakami, ist nicht mehr mit von
der Partie. Kurz nach seinem Rücktritt wurde er Anfang März verhaftet
- wegen des Verdachts, in den jüngsten Schmiergeld-Skandal um eine
staatlich subventionierte Stiftung verwickelt zu sein.



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