>Info zum Stichwort User | >diskutieren | >Permalink 
wuming schrieb am 19.4. 2003 um 03:33:11 Uhr über

User


Erhard Schütz

Trost für die User










Start
Service
Recherche
REIHENWEISE TASCHENBüCHER

Das Allermeiste, was an Büchern auf den Markt kommt, gehört in
die Kategorie lebensuntüchtige Hilfe, ist Ratgeberei, Howtodo,
Wiewerdeich oder Wiekannichnochmehr. Da freut man sich doch
sehr, wenn man plötzlich einen alten Bekannten wieder trifft, der
eher ratlos ist und zu den Stillen im Lande gehört hat. Ein still
Ausdauernder. Wilhelm Genazinos Trilogie von Abschaffel, der
schon des Namens wegen einen Stammplatz in der
Literaturgeschichte finden müsste, der »Workaholic des
Nichtstuns«, 1977ff erstmals erschienen, ist wieder zu haben.
Wieder. Davon allerdings erfährt man im dtv Band nichts. Er
scheint dort justament von der Palette gekommen. Und so recht
merkt man ja dem kleinen Angestellten und Frankfurter
Stadtstreifer nicht an, dass er von damals ist. Zeitlos ist ein
solches Leben: »Immer hatte er das Gefühl, alles, was hier mit
ihm zu tun hatte, kann so nicht bleiben. Die Arbeit eines
Büroangestellten hat den Vorteil, daß sie vorübergehend gespielt
werden kannGespielt werden können auch Romane. Denn
wenn man nicht gerade tapfer auf den Mitnahmeeffekt der
Taschenbuchausgaben saisonal hochgelobter Großwerke wartet,
gerät man bei den allfälligen Taschenromanen, Krimis zumal, fast
stets an eine Art hingemachte Lebenshilfe für Situationen oder
Reiseführer für Städte, in die man nie kommt. Und da diejenigen,
die solches fabrizieren, auch eher allesamt Abschaffels sind, stets
die Abschaffung im Nacken, ist es gewiss ehrlicher, sich
vorzustellen als einer, der so geworden ist, als Schriftsteller eben.
Schriftsteller sind Journalisten, die es geschafft haben, die
Kollegen glauben zu machen, sie könnten auch Romane
schreiben. Wolfgang Bittner, ein paar Jahre Vorstand des VS,
versucht ihn zu erklären, den Beruf: Schriftsteller. »Was man
wissen muß, wenn man vom Schreiben leben will«. Das Buch
verspricht, man brauche nicht viel: Ein gutes Buch schreiben, in
alle möglichen Verbände und auf Lesereisen gehen. Auch hier
erfährt man nicht, dass es das Buch schon mal gegeben hat,
1985. Da war es noch ein Jugendbuch und gewissermaßen eine
Anleitung, wie man einen Schriftsteller richtig in den Unterricht
einlädt. Das update ist aber durchaus informativ und gehört nicht
in die Kategorie jener Bücher, die unterm Vorwand der Belehrung
bloß entmutigen.

Nicht gerade ermunternd beispielsweise ist die Antwort auf die
Frage Wer beherrscht die Medien? - der Report über die 50
größten Medienkonzerne der Welt. Und die 50 fassen viel.
Ziemlich alles kommt darin vor. (Wir ersparen uns den Kalauer,
dass der Freitag nicht darin ist.) Es ist ein merkwürdiges Buch,
zeigt, wer zu wem gehört, wer wo die Finanzfinger drin hat, einen
Zustand, von dem das Vorwort weiß, dass er so nicht bleiben
wird. (Und sich auch schon wieder geändert hat.) Noch mehr
»merging« sei das Gebot der Stunde. Das ist nicht tröstlich. Für
die »User« nicht und für Journalisten schon gar nicht. Vor allem
nicht, was ihre Selbstbeobachtung betrifft. Hatte das breite
Trend-Feld des Konzern-Journalismus noch vor kurzem nahezu
besinnungslos die eigene, die Medien- und
Telekommunikationsbranche hochgejubelt, so streue man jetzt,
statt sich Asche aufs Haupt, den Katzenjammer als Ascheregen
über die Welt. Hauptsache, dran bleiben. Dazu liefert ein anderer
Band über die Elite der deutschen Presse nach 1945 die
Vorbilder. Die Herren Journalisten - das sind, blindfleckig,
ausschließlich die im Westen, die Augstein, Nannen, Sethe,
Zehrer etcetera. Nahezu allesamt solche, die den Übergang von
vor zu nach 1945 elegant geschafft haben. Sehr informativ, aber
auch ärgerlich ist der Band - Alles Nazis ist sein Tenor, das
erübrigt den genaueren Blick. Und die Frage, ob da nicht doch
mehr als bloße Opportunistenkarrieren entstanden sind, wird eher
vermieden. Wohl den Gerechten, die an Versuchungen nichts
Schlimmeres als Reisekostenschwindel und Saufkumpaneien zu
befürchten haben! Stars werden sie nicht, aber gelten gern als
Sterndeuter. Ihnen - und uns natürlich auch - sei ein Buch
empfohlen, das über »intellektuelle Tätigkeiten und Tugenden«
handelt: Der kritische Blick. Eine ausgezeichnete Sammlung
intelligenter und kritischer Beiträge, darunter intellektuelle Stars
wie Bohrer, Buruma, Dahrendorf, Macho oder Walzer. Ein
Lieblingstitel, von Dirk Baecker: »Ein Intellektueller ist jemand, der
etwas gelesen hatWeil die Sterndeuter keine Intellektuellen
werden, da sie nicht gern gründlich lesen, können sie vielleicht
wenigstens wissen, wie man Star wird. Die Annäherungen an ein
Phänomen kann man nämlich auch nicht so gründlich lesen und
hat doch viel davon. Liest man es gründlich, hat man mehr. Und
weiß, warum man vom Stargucken so schnell einen Starrkrampf
kriegt. (Auweia!) Also lesen! Bücher!

»Abschaffel hatte sich nicht getraut, in Gegenwart des Zeitung
lesenden Arbeiters sein Buch herauszuholen, weil er fürchtete, der
Mann könne sich gedemütigt fühlen, wenn er sah, daß er nur eine
Zeitung, sein Gegenüber aber ein Buch lasDas zeigt denn
doch, dass Abschaffel nicht so gänzlich von heute ist. Erstens
läse er selbst Zeitung, und zweitens hielte er sie dem Arbeiter,
den es auch nicht mehr gibt, demonstrativ unter die Nase. So, und
nun wähle man eins der obigen Bücher, setze sich damit in Bahn
oder Bus und lasse sich - zur Selbstfeier - ignorieren! Zum Üben,
weil es schön klein ist, ist Mark Twain zum Vergnügen sehr gut
geeignet. Da findet man nicht nur die Geschichte, wie er einmal
eine landwirtschaftliche Zeitung redigierte, sondern Maximen der
schreibenden Zunft, wie: »Wie leicht ist es, jemandem eine Lüge
aufzubinden, und wie schwer, sie ihm wieder auszutreiben!«



Wilhelm Genazino: Abschaffel. Roman-Trilogie (dtv13028) 12, 50 EUR

Wolfgang Bittner: Beruf : Schriftsteller (rororo Sachbuch 61311) 7,90 EUR

Lutz Hachmeister/Günther Rager: Wer beherrscht die Medien? (beck´sche
reihe 1482) 17,90 EUR

Lutz Hachmeister/Friedemann Siering (Hg.): Die Herren Journalisten
(beck´sche reihe 1457) 14,90 EUR

Uwe Justus Wenzel: Der kritische Blick (Fischer Tb. 15332) 12,90 EUR

Wolfgang Ullrich/Sabine Schirdewahn (Hg.): Stars (Fischer Tb15266) 15,90
EUR

Mark Twain zum Vergnügen (Reclam Stuttgart 182220) 4,10 EUR


mail an die Redaktion nach oben


Impressum -
Archiv &
Recherche -
Abonnement





   User-Bewertung: /
Unser Tipp: Schreibe lieber einen interessanten und ausführlichen Text anstatt viele kleine nichtssagende.

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »User«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »User« | Hilfe | Startseite 
0.0225 (0.0125, 0.0088) sek. –– 880557000