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wuming schrieb am 6.4. 2010 um 23:32:58 Uhr über

Katzen





Katzen würden Adorno lesen
Brigitte Zarzer 05.03.2004

Die Reemtsma Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur mahnt den Netzkünstler Sebastian Lütgert ab und verstrickt sich in einen seltsamen Urheberrechtsstreit
Manchmal finden Urheberrechtsstreitigkeiten in Kreisen statt, wo man sie am wenigsten vermuten würde. So mahnten die Anwälte der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur vor geraumer Zeit Sebastian Lütgert ab, weil dieser für sein Medienprojekt Textz.com auch Adorno-Texte verwendete. Da Lütgert nach eigenen Angaben aufgrund eines Auslandsaufenthalts nicht auf die Abmahnung reagierte, wurde er sogar per Haftbefehl gesucht. Indes erhält der deutsche Künstler Unterstützung von der österreichischen Gruppe Monochrom, die eine Online-Petition initiierte und Jan Philipp Reemtsma zur Rücknahme der Klage auffordert.


»In der Tat bin ich die administrative und technische Kontaktperson der Internet-Domain textz.com - einer Website, auf der einige hundert Aufsätze, Romane und theoretische Texte gesammelt sind, und auf der Sie - in einem durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Domain geregelten Rahmen - auch unter dem Stichwort Adorno fündig werden können«, schreibt Sebastian Lütgert in einem mit 15. Januar 2004 datierten Brief an Jan Philipp Reemtsma, dem Vorstand der Hamburger Stiftung und klärt diesen auch über Sinn und Zweck des bereits vor etlichen Jahren initiierten Projekts (vgl. Nützliche Tools für den Netzintellektuellen) auf:


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Dass es sich bei textz.com nicht um einen gewerblichen Vertrieb für raubkopierte Literatur handelt, sondern um ein kollektiv betriebenes Forschungsprojekt und - insbesondere - um eine künstlerische Arbeit, dürfte sich bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung ergeben.


In Bedrängnis kam Lütgert aufgrund der Verwendung von Textpassagen aus Theodor W. Adornos »Jargon der Eigentlichkeit« und »Anti-Semitism and Fascist Propaganda«. An diesen Werken hält die Stiftung Urheberrechte. Der Künstler wurde von den Stiftungs-Anwälten abgemahnt. Das Hamburger Landgericht fällte in Abwesenheit des Künstlers ein Urteil. Nach eigenen Angaben war Lütgert damals im Ausland und erlangte von den Vorgängen in der Hansestadt auch erst später Kenntnis. Die Folgen: Gerichtsvollzieher, aufgebrochene Wohnung, ein Haftbefehl... Dabei nahm Lütgert die Texte umgehend vom Netz und nun geht es lediglich um 3.021 Euro. In dem Brief an Reemtsma vom 15. Januar schlägt Lütgert - offensichtlich wie so viele Künstler knapp bei Kasse - vor, dass man ihm den offenen Betrag doch als Stipendium überweisen solle. Dann könne er seine »Schuld« begleichen und einer Verhaftung entgehen.

Die Verärgerung über das Vorgehen der Hamburger ist unverhohlen. Aus dieser Ecke hätte Lütgert wohl keinen Angriff erwartet. So stellt der Netzpublizist fest:


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Gleichwohl liegt es mir fern, verklagt von einer Stiftung, die ausgerechnet Wissenschaft und Kultur zu befördern meint, wegen der angeblichen Verbreitung zweier Texte, die ausgerechnet Theodor W. Adorno geschrieben hat, bei der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee vorstellig zu werden.



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Grundsätzlich argumentiert Lütgert, dass er die Texte für ein nicht kommerzielles Projekt verwendet hat und auch niemandem Schaden entstanden sei. Dem schließt sich auch die österreichische Künstlergruppe Monochrom an, die nun eine Online-Petition zugunsten des deutschen Kollegen initiierte. Bis 12. März kann sie noch unterzeichnet werden. In den ersten 24 Stunden trugen sich bereits weit über hundert Unterstützer ein. Gerade in »linken« oder »liberalen« Kreisen stößt das Vorgehen der Hamburger auf Unverständnis. Die Debatten um geistiges Eigentum und Copyright-Fragen im allgemeinen sind hinlänglich bekannt. Manche vermuten zu Gunsten Reemtsmas, der ja zweifelsohne eine Reihe spannender gesellschaftskritischer Projekte initiiert und gefördert hat, dass sich die Causa Lütgert irgendwann verselbständigt hat. Immerhin erklärte sich dieser gegenüber Reemtsma erst nach gut einem Jahr, als die Sache wirklich brenzlig wurde.

Die von den Rechtsanwälten Senfft & Partner vertretene Stiftung reagierte Ende Januar d.J. auf Lütgerts Vorschlag. Danach wurde der Haftbefehl vorerst ausgesetzt. Von der Forderung will man aber nicht Abstand nehmen. Lütgert hätte sich vor dem 15. Januar 2004 nie zu seinem Projekt erklärt, so das Anwalts-Schreiben sinngemäß. Zur Frage der Urheberrechtsverletzungen heißt es wörtlich:


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Unsere Mandantin kann auch Ihre Ausführungen zur Frage der Benutzung von urheberechtlich geschützten Werken Adornos nicht teilen. Es ist die Aufgabe unserer Mandantin, das Werk Adornos zu erhalten und zu pflegen und dessen nicht legale Verbreitung, insbesondere in Form von unberechtigten Raubkopien und durch das Internet zu unterbinden. Es bleibt wissenschaftlichen Interessierten unbenommen, die Werke kostenfrei in den Staatsbibliotheken auszuleihen.


In einem gestern publizierten Interview mit der TAZ verteidigt Jan Philipp Reemtsma sein Vorgehen unter anderem damit, dass er auch die Interessen des Verlages, welcher die Adorno-Texte verwerten darf, wahren müsse. Außerdem verwies er auf Rechtsnormen. Im Wortlaut:


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Jemand kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, er wolle gewissermaßen als Freibeuter - nicht der Meere, sondern des ungesetzlichen Nachdrucks - dagegen verstoßen. Dann legt er sich mit den Rechtsnormen und mit dem Rechteinhaber an. Und dann muss er sich nicht wundern, wenn er Scherereien bekommt, und dann muss er einen Streit mit Anwälten und Kosten hinnehmen.


Für Johannes Grenzfurthner von Monochrom gehen die Ausführungen Reemtsmas am konkreten Fall vorbei. Schließlich habe sich Lütgert inzwischen auch bereit erklärt, den Betrag zu bezahlen, nur der gesteckte Zeitrahmen sei zu kurz. »An unserer Online-Petition ändert sich nichts. Wir werden Lütgert weiter unterstützen«, so Grenzfurthner gegenüber Telepolis.

Die Monochrom-Petition an Jan Philipp Reemtsma ersucht um gänzliche Rücknahme der Klage, wohl auch aus ideologischen Überlegungen: »Wir glauben, dass die Freiheit der Information einen größeren Wert und ein schützenswerteres Gut gegenüber dem privaten Besitz an Informationen darstellt.«

Monochrom, auf deren Website sich der sinnige Spruch findet »Katzen würden Adorno lesen«, hinterfragen mit verschiedenen hintersinnigen Aktionen, Texten, Veranstaltungen und Medienprojekten die gesellschaftliche Befindlichkeit im Allgemeinen und Besonderen ebenso wie Kulturbetrieb und Medien. Im Jahr 2000 ließen Monochrom beispielsweise mit einer Straßenaktion in Wien aufhorchen (vgl. Seelenverkäufer). Mit »Seelenverkäufen« in Form von Ersteigerungen kauften sie Passanten die Seele ab (und waren erstaunt, wie viele bereit waren, für eine Handvoll Schilling ihrer Seele ledig zu werden).

Im jüngst erschienen Monochrom-Band 15-23 »zweite ordnung muss sein« findet sich unter anderem ein Text von James T. Rogers über Thomas Jefferson, der im 18. Jahrhundert »eines der ersten Geräte zum Vervielfältigen von Schriftstücken« unermüdlich »bewarb und verbesserte«. Rogers kommt bei seinen Überlegungen schließlich im Computerzeitalter an:


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Der Personal Computer hat sie natürlich alle übertrumpft. Seine Fähigkeit , Schriftstücke zu speichern und zu drucken hat ein einfaches Gerät zur Vervielfältigung in unsere Wohnzimmer, Schulen und Büros gebracht, überall dorthin, wo man sich keine großen Fotokopierer leisten kann.


Internetzugang schließlich liegt vielen Menschen näher als die Staatsbibliothek, wie es die Hamburger Anwälte vorschlagen. Und warum sollte man für ein nicht kommerzielles Medienprojekt nicht auch intelligente Texte von Adorno nutzen dürfen? Würden die Verlage dadurch tatsächlich verhungern? Wäre es nicht viel eher Werbung, die eventuell auch zum Kauf von Adorno-Schriften animiert? Und last but not least: Ist es nicht schlicht und einfach erfreulich, im Web auch mal etwas Gescheites zu lesen?

PS: Das Büro Reemtsma legt Wert auf die Feststellung, dass die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur eigenständig agiert und nicht mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung verwechselt werden soll.





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