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Die Leiche schrieb am 9.1. 2008 um 11:47:33 Uhr über

schizophrenie

Ein bislang noch wenig erforschtes, meiner Hypothese nach unter Schizophrenie einzuordnendes Phänomen ist das sogen. »dealer-Syndrom«.
Der dope-dealer genießt einerseits die Machtposition, die er gegenüber seinen Abnehmern hat: eine gute »connection« ist für Kiffer recht schwer zu ersetzen. Ausserdem ist der dealer in seinem normalen Kiffer-Umfeld wirtschaftlich in einer beneidenswert solventen Lage: er hat nicht nur Stoff, er hat auch Kohle. Das macht ihn attraktiv, auch sexuell. Ja ... aber ... irgendwann bemerkt der dealer, daß er nur noch Kunden hat, und keine Freunde, nicht mal Kumpels mehr. Man muß ja auch vorsichtig sein, auch heutzutage. Die Mengen, die er verbunkert hat, langen allemal fürs Schöffengericht. Man muß sich konspirativ bewegen. Manchmal lernt er ja doch noch neue Leute kennen - meistens sind es Freunde und Kumpels seiner Kunden. Aber es dauert nie sonderlich lange, bis er angesprochen wird: haste nich ma was für mich ? Und die anderen sind ihm gegenüber merkwürdig distanziert. Auch wenn er sich überzeugt hat: die kiffen. Aber es sind Gelegenheitskiffer, die mal mitrauchen, oder sich von einem Kunden einen Mini-Brösel abgeben lassen, und wegen dem Brösel schon die Panik kriegen. Mit ihm, dem dealer, wollen sie nichts zu tun haben, nicht von ihm eingeladen werden, ihn erst recht nicht einladen, und auf der Strasse wechseln sie sogar die Seite, wenn sie ihn von weitem kommen sehen. Das ist die Welt des dope-dealers, der irgendwann auch mal den Hasch-Vampir vor die Tür setzt, der sich letztes Jahr bei ihm eingenistet hat: eine gutaussehende, begehrenswerte und auch nette Frau an für sich, und auch im Bett ... aber eigentlich geht es ihr nur ums kiffen, und sie ist nur mit ihm zusammen, weil er dealer ist. Er stellt sie auf die Probe: Du kriegst nix mehr von mir, auch nicht zuhause, Du rauchst zuviel, Du mußt mal ne Pause machen - wutsch, weg isse die Alte. (»Ich lass mir doch von diesem Typen nicht sagen, ob ich zu kiffen habe oder nicht, was denkt der von mir?!« - Er denkt das richtige, mein Schatz!) Und so wird es immer einsamer um den dealer herum. Sein Leben besteht nur noch aus dealen: zum Großhändler fahren, bunkern, dealen. Von Kunden besucht werden, Kunden besuchen. In dieser Phase wird er sogar bei seinen Kunden sehr beliebt: Man bekommt nicht nur einen Kaffee, sondern auch ein Stück Kuchen, manchmal sogar ein leckeres Abendbrot, darf neue Sorten probieren, kriegt auch mal was oben drauf gelegt - »Das ist nicht nur n dealer - das ist echt n Kumpelsagen sie. Doch die Kumpels kommen eigentlich nur, wenn sie was haben wollen. Und es wird immer was geraucht. Wenn er nichts anbietet, dann bauen sich die Kunden ne Tüte. Es geht alles immer nur noch um dieses Scheiss dope ! Das ist der Moment, an dem der dealer zum ersten Mal die Idee bekommt, auszusteigen, Schluß zu machen. Mit seinem Großhändler kommt er klar, da hat er keine Schulden, oder wird sie problemlos »cash« auf den Tisch legen mit der üblichen Ausrede: er sei angezinkt worden. Schlimmstenfalls provoziert er ein kleines BTM-Verfahren gegen sich, lässt sich mit einem Krümel oder mit »Anhaftungen« hops nehmen, und kassiert ne kleine Vorstrafe. Aber dann macht er doch weiter. Sei es, weil doch noch Schulden beim Großhändler hat, sei es, weil dieser die besseren Argumente hat, sei es, weil der erste Rundgang über den Arbeitsmarkt extrem ernüchternd war. Immerhin hat er einen verdammt hohen Lebensstandart: er muß zwar ein bischen aufpassen, nicht gerade mit einem neuen 5er BMW zum Sozialamt zu fahren, aber überm Konsumterror steht er ja sowieso drüber. In dieser Phase sucht der dealer nach anderen Sinnstiftungen. Er beginnt, Bücher mit philosophischem oder esoterischen Inhalt zu lesen, packt den Bass wieder aus, fängt an zu malen oder zu fotographieren. Manche von seinen Kunden lassen sich auch auf solche Sinn-Gespräche ein, kommen von sich aus darauf - vor allem, wenn sie angetörnt sind. Er beschäftigt sich auch mit Ökonomie: Basis und Überbau, Karl Marx. Das dope ist die Basis, und der ganze Rest ist Überbau. Und die Gesellschaft funktioniert auch nicht anders: dope ist nichts anderes wie Autos, Sex, Alk, und die ganze Kacke. Auf Sex hat der dealer in dieser Phase des Syndroms überhaupt keinen bock mehr - er lebt asexuell. Was sind das schon für Weiber (Junx), die sich ihm anbieten ? Was wollen sie schon von ihm ? Kiffen und regelmässig bekifft ficken, sonst nichts. Die bewustseinsmässige Haltung des dealers entwickelt sich in existenzialistische Richtung (französischer Schule), und er wird depressiv, erwägt sogar irgendwann mal eine Therapie. Aber er läßt es, weil er sich an den Film mit Robert de Niro erinnert: der Pate auf der Couch, nein, das ist doch zu blöde ... Und mit dieser Weltanschauung, die ihm irgendwann durch die Poren quilt, und man ihm von weitem schon ansieht, daß »etwas nicht stimmt« mit ihm, wird er unvorsichtig. Er redet zu offen mit Leuten, von denen er genau weiß, daß sie den Mund nicht halten können, es ist ihm scheissegal inzwischen. Aus kriminalistischer Sicht ist der dealer, der sich bislang sehr geschickt bewegt hat, nunmehr entgültig abschußreif. Er begeht einen Fehler nach dem anderen, und irgendwann klingelt es Sturm an seiner Wohnungstür, die dann sofort aufgebrochen wird, ein Dutzend Beamte stürmen umher, fuchteln mit ihren Dienstwaffen. Er versucht es nicht einmal, die Platte aus dem Fenster oder ins Klo zu werfen. Er wußte schon seit langem, daß es irgendwann einmal passieren würde. Und der schönste Moment in seinem Leben ist eigentlich der Tag, an dem er in die Besuchszelle geführt wird: sein Pflichtverteidiger. Einer jener Anwälte, die von sowas leben. Abgewetzte jeans, Hemd mit ausgewaschenem Kragen, Kravatte auf halb vier: »Na mein FreundUnd dann kann er reden, und er merkt, er kennt sich aus, und hat endlich mal das Gefühl, einem Menschen zu begegnen. Aber auch der hört ihm nur zu, weil er ein dealer ist (und guckt immer öfter auf die Uhr; er hat noch einen Termin).


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