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Cerebrum schrieb am 12.2. 2002 um 00:24:45 Uhr über

Roman

Die Zweite Schöpfung

Ein Roman von Christian Schloyer
(Leseprobe)
(alle Rechte vorbehalten)


Auszug aus Kapitel 8 »Der Schattendämon«

Die verschwommene Gestalt mit den tiefen, rotglühenden Augenhöhlen, war in ihren Umrissen menschenähnlich. Die unirdische Schwärze des Schattens rührte nicht etwa daher, daß er mit einem dunklen Körper vergleichbar gewesen wäre, der kein Licht reflektierte. Shiriel nahm dieses fremdartige Wesen vielmehr als einen schmierigen, pechschwarzen Nebel wahr, der das Leuchten des Lagerfeuers einsog, der jede Form von Licht verschlang und nur, weil an einer Stelle mitten im Raum der flackernde Feuerschein von pulsierender Schwärze verschluckt wurde, überhaupt eine dämonische Gestalt zu erkennen war. Die pupillenlose Iris des ungeheuerlichen Wesens bildete zwei hypnotisierende Fenster, die auf eine lähmend-beklemmende Weise Einblick in eine längst vergessen geglaubte, unheimliche Welt erlaubten - eine Welt, wie in alten Mythen: die dunkle Vergangenheit dieser Erde, in der auf ihrer Oberfläche noch Schatten und Dämonen herrschten.
Als die jungen Kriegerinnen in die von der unverdeckten Kochstelle hell beleuchtete Ziegelhütte starrten, wurden sie anscheinend nicht weiter beachtet. Der alte Dieb, der kaum größer war als ein Kind, kniete vor der düsteren, übermenschgroßen Erscheinung als wollte er um Gnade flehen und verlor sich im Kontrast zu dieser in kläglicher Winzigkeit. Sein altes, runzeliges Antlitz war zu Boden geneigt und Schweiß perlte von seinem verbeulten, haarlosen Haupt. Er wimmerte und stammelte einige klägliche Silben, die in den Ohren der beiden Mädchen keinen Sinn ergaben.
Doch um so deutlicher waren die Worte des Gespensterhaften zu vernehmen: »Keine Ausflüchte, du Versager. Dein Vorhaben hat nicht funktioniert. Wie kannst du zwei Konahi in eine so offensichtliche Falle locken und glauben, daß deine Trampeltiere mit ihnen fertig werden? Die Erbträgerinnen hätten sterben müssen
Die Jungkonahi erschrak - zuerst über den unbeschreiblich grausamen, leblosen Tonfall, dann über die äußerst gegenwärtige, aggressive Macht, die in der Geisterstimme so überaus lebendig mitschwang; eine Macht, die Shiriel kaum weniger beeindruckte, als die lichte Erscheinung der Vau selbst, die aber noch wesentlich unheimlicher war, da ihr jegliches Licht, jedes Anzeichen des Guten fehlte. Als die Schattengestalt den letzten Satz ausrief, war die Jungkonahi vor Schreck wie elektrisiert.
Wie konnte das sein? Was war dieses phantomhafte Grauen? Konnte eine Illusion soviel Entsetzen hervorrufen, so überwältigend wirklich sein? Verzweifelte Fragen drängten sich der Jungkonahi auf: Warum sollten sie sterben? Weshalb war diesem Schatten soviel an ihrem Tod gelegen? Bei der Allmacht der Vau! Wie konnte derartig urzeitlich Böses in Ziniris existieren, im Herzen des Sonnenreiches, der göttlichen Gottkaiserin so nahe, die doch mit ihrem Licht das Böse längst aus dem Mittenreich vertrieben hatte!
Völlig unerwartet schrie die Gestalt. Wie ein langgezogenes Heulen klang es, dröhnend, metallisch und voller knisternder Spannung: »Versaaaaaaaaaaager!«.
Es galt dem Dieb und war nicht wirklich laut, aber durchdringender und markerschütternder als alles andere, was Shiriel bisher gehört hatte. Die Luft geriet in Wallung, die Erde erzitterte leicht, stechende Kopf- und Ohrenschmerzen befielen sie wie ein Blitzschlag. Helle Pünktchen flimmerten vor ihren Augen.
Plötzlich ergriff eine entsetzliche Veränderung den alten Taschenräuber. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Starr und totenbleich kniete er da. Sein Blick drückte Panik aus, Todesangst in ihrer reinsten Form, seine Miene eine Grimasse unsäglichen Horrors. Shiriel bemühte sich, Genaueres zu erkennen. Was sie darauf sah, schockierte sie zu gewaltig und tiefgehend, als daß sie es begreifen konnte.
Zuerst schwärzte sich die graublaue Robe des armseligen Halunken und begann an allen Ecken und Enden zu qualmen. Im Gesicht breiteten sich ebenfalls braunschwarze Flecken aus, die Haut welkte, warf Blasen und platzte. Zäher Eiter rann über seine Lippen, die sich gerade zu einem Todesschrei geöffnet hatten. Doch kein Laut drang mehr aus der verdorrten Kehle des alten Männleins. Die Augen fielen dampfend in sich zusammen und hinterließen leere, knöcherne Höhlen, um die herum sich zischend der ganze Kopf in einen häßlich grinsenden Totenschädel verwandelte. Gierig loderten Flammenzungen aus dem Gewand auf, wo kurz vorher noch schmutzige Rauchschwaden emporgestiegen waren.
In seiner höchsten Steigerung erfaßte der geisterhafte Zauberschrei den nun schon toten Körper mit voller Wucht. Brennende Kleiderfetzen und schwarzes, verkökeltes Fleisch wurden durch einen magischen Windstoß von dem Skelett des Diebes gerissen und verglühten mit ohrenbetäubendem Knall in der Luft. Die kahlen, fahlgelblichen Knochen brachen in sich zusammen und bildeten ein schauriges Mikado auf dem staubigen Boden der Hütte, das gleich darauf blendend weiß aufleuchtete und laut knackend zu Staub zerfiel. Eine Hitzewelle drängte die beiden Mädchen einige Schritte zurück. Das Strohdach der kargen Hütte fing einen Augenblick später ebenfalls Feuer.
Während des Schreies nahm die Intensität des teuflischen Schattens immer mehr ab, als würde sich der Dämon damit selbst verbrauchen. Kurz bevor die Schattengestalt ganz mit der kochenden Luft zu einer konturlosen Einheit verschwamm, blickten zwei glühende, unendlich böse funkelnde Augen in Richtung der beiden Mädchen. Shiriel kam es so vor, als würden sie lautlos hohnlachen und sich an ihrer Angst und Hilflosigkeit weiden. Ihr sackte das Herz bis in die Knie.
Als das Getöse des dämonischen Schreis verklungen und nur noch das Knistern brennenden Strohs zu vernehmen war, waren mit dem Gespensterwesen sämtliche Überreste des Diebes verschwunden. Der grauenhafte Vorgang hatte im Ganzen kaum zehn Atemzüge gedauert.
Von Entsetzen gepackt rannte Shiriel los, verließ mit weit ausholenden, fliegenden Schritten den Erscheinungsplatz des verkörperten Horrors, stürmte immer weiter, durch schmale, schmutzige Gassen hindurch, die nur spärlich von dem Licht zweier Monde beleuchtet wurden, mal links, mal rechts, einzig von dem Wunsch beseelt, den Konahitempel - oder viel besser noch den Vaunir - zu erreichen. Nahria stürzte ihr hinterher, wobei sie ständig irgend etwas rief.
Es dauerte mehr als den vierten Teil einer Sonnenstunde, bis Shiriel ihre Gedanken von dem grauenhaften Entsetzen losreißen konnte. Damit begann ihr auch die Sinnlosigkeit ihres panischen Davonrennens bewußt zu werden. Sie hielt an und versuchte, ihre schmerzende Lunge wieder zu Atem kommen zu lassen. Nahria, die sich, von demselben Grauen gepackt, dicht an ihre Fersen geheftet hatte, blieb nun ebenfalls keuchend stehen. Dann wiederholte sie in einem jämmerlich verängstigten Tonfall, was sie die ganze Zeit verzweifelt gerufen hatte: »Was war das, was sollen wir tun
Auf diese zweifache Frage konnte die Jungkonahi keine Antwort geben. Nahria hatte sichtlich Schwierigkeiten, die Fassung zu behalten. Auf einmal brach die ganze nervliche Anspannung der letzten Stunde aus dem jungen Mädchen hervor. Sie wurde von einem bitteren Weinkrampf gepackt und warf sich schluchzend in die Arme ihrer älteren Freundin.
»Warum muß ausgerechnet uns das passieren? Was wollte dieser Höllenfürst von uns? Er wird uns tötenschrie sie in einem Anflug von Hysterie.
Tröstend strich Shiriel ihr über das dunkelbraune, seidige Haar und versuchte sie so zu beruhigen. Sie spürte den zarten Körper Nahrias bei jedem Schluchzer erzittern und hielt sie ganz fest in den Armen. Diese vertraute Nähe zu ihrer besten und liebsten Freundin half auch ihr, über den jüngsten Schrecken hinwegzukommen.
Nach einer Weile war Nahria still. Trotzdem lagen sich die beiden Mädchen noch eine ganze Zeit eng in den Armen, sich tröstend hin und her wiegend, mit dem beruhigenden, wärmenden Gefühl, nicht ganz alleine zu sein, in einer sternklaren, schaurig-kühlen Nacht, mitten in einem heruntergekommenen Viertel der riesigen Vaustadt Ziniris. Um sie herum warfen die verfallenen Ziegelhütten gespenstische Schatten, die sie allgegenwärtig an den schrecklichen Schatten des Todes erinnerten, dem sie soeben entronnen waren.
Sie benötigten Stunden, um aus dem riesigen Slum der Vaumetropole herauszufinden. Denn selbst die einheimische Nahria hatte sich zuvor noch nie so weit in die gefährlichen, heruntergekommenen Viertel hineingewagt, deren Größe sie niemals auch nur annähernd erahnt hatten. In den engen, einander ähnelnden Gassen waren sie bar jeder Orientierung, die Sicht auf die größeren Gebäude der Stadt, welche ihnen Anhaltspunkte hätte liefern können, war stets erbarmungslos versperrt.
Die langen Stunden dieser schaurigen Nacht würden den beiden wohl für immer im Gedächtnis haften bleiben. Jedesmal, wenn sie an einer Ecke angelangt waren, spähten die zwei Kriegerinnen zuerst vorsichtig in alle Richtungen, schlichen so schnell wie möglich Hand in Hand durch die Schatten der Nacht weiter und hielten dabei mit der jeweils freien Hand eine Konahiklinge und einen silbernen Wurfdolch bereit. Ständig peinigte sie das Gefühl, dem überirdischen Grauen noch viel zu nahe zu sein.
Erst als sie die sechseckigen Pflastersteine einer der acht Sternstraßen betraten und ihnen eine freundlich grüßende Nachtpatrouille entgegenkam, wagten sie wieder aufzuatmen.


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