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Schmidt schrieb am 14.7. 2013 um 20:49:23 Uhr über

unhörbar

Immerhin habe ich einige Hürden errichtet, die Briefe die ich an meine Brüder und Freundinnen noch zu schreiben hätte, bevor ich die drei Barbiturattabletten nehme und in einem gut verschlossenen Zimmer ein Häufchen Eierholzkohlen entzünde. Das war meine Vision, gestern, als ich da lag, halbwach. Die eine Tablette hat nicht zum erwünschten Schlaf geführt. Gegen halb acht eingenommen, stand ich um zehn Uhr wieder auf, vor Hunger (ich hatte nichts zu Abend gegessen), undeine Suppe und ein Brot, rauchte eine Halbe. Legte mich wieder hin und nach meiner Empfindung hat es eine Ewigkeit gedauert bis ich einschlief. Kurz, es hat nicht zum Durchbrechen des unliebsamen Schlaf-Wachrythmus getaugt, ich bin wieder erst gegen Mittag aufgewacht. Verflucht nochmal. Da liegend, am Abend, habe ich diese Briefe recht genau formulieren können, es war keine Bitternis darin, vielleicht ein wenig Ironie, aber im Grunde war alles gut wie es war. Sie hatten es zu akzeptieren. Sie sind eben nicht anders wie sie eben sind und man kann sie sich nicht formen und backen. Michael mit seinem Belehrungswahn. Marc mit seinen Minderwertigkeitspsychosen.


Wem vermache ich meine 870 durch Flaschensammeln angesparten Euro. Ich sah Hans Albers wie er lächelte und Hitler wie er tobte. Ich bin zu feige um noch einmal flink um die Ecke in Inges Hof abzubiegen und Sturm zu klingeln wie damals, als mir alles ausweglos erschien. Ein wenig neben ihr zu sitzen hat mir immer gut getan. Marc ignoriert bestens meine Versuche ein wenig Licht ins das Gestrüpp der unbewältigten Vergangenheit zu bringen, seit Wochen öffnet er nicht einmal meinen Facebook-Brief. Antwort von ihm zu erwarten wäre mehr als vermessen. Marcel nimmt mich zwar »zur Kenntnis«, antwortet aber ebenfalls nie mehr als eine Zeile. Und die bezieht sich nicht auf das Gesagte.

Eltville war heute völlig kippenlos. Ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte im Rucksack befördert. Letztes Mal hat mich die Konditorei Schroers um 20 Cent beschissen, bei der Erdbeertorte. Sie haben Zweizwanzig verlangt, sie kostet aber nur Zwei wie ich heute feststellte. Zur Zeit nehme ich ziemlich viele verschiedene Drogen wie ich meiner Statistik entnehmen kann. Zum Wachbleiben am Tag, zum Müdewerden am Abend. Das ist noch lange nicht in den Maßen in denen übliche Junkies sich bewegen, aber es beunruhigt mich. Sieben Jahre war ich völlig drogenfrei, danach hat es ganz ganz langsam begonnen. Erst mit gewissen Kippen aus dem Rinnstein, dann mit Tabletten von Inge, dann mit dem Schiersteiner Abfallkorb der allerhand Brisantes enthielt, sogar Kaliumperchlorattabletten a 200 Milligramm. Die, mit ein wenig Kohlestaub aufs Gleis gelegt dürften einen ordentlichen Knall ergeben.

Marc hatte nach dem Bruch mit Inge zumindest eine ihrer Funktionen übernommen, wenn er auch mittlerweile weit weg wohnt, so hatte ich doch das Gefühl, wenn gar nichts mehr geht, wenn ich absolut verzweifelt bin, kann ich mich in den Zug setzen und unangemeldet dort hinfahren. Das fällt nun flach. Ich habe nun kein gutes Gefühl mehr dabei. Ich bin, was den Entzug betrifft nun wieder ganz auf mich alleine gestellt. Die Leiche hat gesagt ich soll mich zusammenreissen, ich würde das schaffen. Ja, ich schaffe das. Sicherlich schaffe ich das. Trotzdem muß ich zuverlässig herausfinden welche Dosis Schlafmittel ausreicht um sie erstens nicht herauszukotzen und zweitens stark genug ist einen betäubungsähnlichen Schlaf hervorzurufen. Ich muß das wissen. Zuverlässig wissen.


Danach möchte ich mit allen nur möglichen Mitteln versuchen mein Leben irgendwie ein wenig schöner zu machen, freudiger, lebenwerter, würdiger. Freunde wären dazu das beste Mittel, Freunde, die mich kennen und die mich nicht zwingen oder belehren, die einfach Angebote machen, was geht und was mit ihnen vielleicht nicht geht. Es ist das Beste für mich zu wissen woran ich bin. Zuverlässiges Wissen ist mein einziger wirklicher Trost. Wahrscheinlich blättere ich daher auch in Physikbüchern wenn ich eigentlich überhaupt nicht mehr weis was ich nun tun soll. Die Zeit eines Entzugs zu bewältigen, zum x-ten Mal wird nicht einfach zumal danach überhaupt keine Perspektive besteht was danach nun lebenswert ist. Immer aufstehen, waschen, kacken, waschen, frühstücken, nachsehen ob ich irgendeine erfreuliche Antwort auf erhalte, nie ist da was, ich fange nicht wieder an Christines Schreiben durch diese eine Brille zu sehen, also Erwähnnungen anderer Namen auf mich zu beziehen, obwohl ich die Tendenz dazu noch immer stark verspüre. Ich bin liebeskrank. Seit ich Anne kennenlernte.

Ich habe damals, nach der Trennung von Anne einen neun Seiten langen maschinengeschriebenen Text verfasst der unsere Beziehung zusammenfasste. Auch dieser Text ist nach der Aufräumaktion meiner Schwägerin Ulla (Jugendamtsbeamtin) verschwunden. Warum ist es so verflucht schwer Vorwürfe, als Erpressung empfundenes und ähnliche unerfreuliche Dinge aus der Vergangenheit zu benennen und sich darüber auszutauschen. Ich denke immer, all euer Schweigen (das meiner Geschwister) kann doch nur Ausdruck von Überforderung und Hilflosigkeit sein und nicht von absolutem Desinteresse. Dann wieder stelle ich mir vor, das ich selbst, in glücklichen Perioden meiner Lebensgeschichte, keinen Draht zu euch hatte, dachte, denen geht es schon irgendwie gut, also kein Interesse. Vielleicht ist es das womit ich mich zurechtfinden muß, daß ihr alle, ähnlich wie Yannick und Yara es zur Zeit recht eindrucksvoll demonstrieren, einfach keinen Bock auf mich habt und meine verwirrten Reden.

Ja, das wird es sein.

Ich schreibe das also alles nur für mich ganz alleine. Um einmal im wirklich fortgeschrittenen Alter zu wissen. Ja, so war ich damals. Anne sagte einmal über mich, entweder Du mußt ein großer Chef werden dem niemand etwas zu sagen hat oder Du landest in der Gosse. Auch sagte sie, Du kannst wirklich so nett sein wie niemand den ich kenne, zärtlich, lieb und alles. Aber manchmal bist Du ein Teufel. Das war vor meiner Zeit der Drogen. Irgendwie erinnert mich das alles an Marc. Er kann von einem Moment auf den anderen einen Stimmungsumschwung erfahren, einen Ausbruch haben. Auch wenn er mittlerweile gelernt hat diesem Ausbruch nicht immer Ausdruck zu verleihen (das dürfte er), so ist auch sein Schweigen und seine bloße Anwesenheit dann schwer zu ertragen. Ich habe mir das in Fernsehfilmen
mit modernen Schauspielern abgeschaut, (Ursula Carven und ihr Mann), solche Ausbrüche sind erlaubt, sie passieren und sind momentaner Ausdruck. Nicht gut und erlaubt ist das dann folgende Schweigen. Gleich nach dem Ausbruch muß die Entschuldigung folgen. Das sagen was man wirklich sagen wollte, was einen wirklich gerade bewegt.

Ich bin enttäuscht von euch allen (Brüder). Ich bin ja nicht so einfach, das wissen wir alle. Aber auf meine so zahlreichen zum Teil durchaus mißlungenen Versuche schriftlich zu kommunizieren, ist nun mittlerweile auch schon bald über Jahre hinweg kein ernsthafter Versuch erwachsen den Dialog aufzunehmen.
Ja, ihr habt alle eure Arbeit und die Familie am Hals.

Und ich, auch ich, ich würde euch recht klaglos vergessen, wäre ich in einer Beziehung. Es ist schwer das einzugestehen. Ich habe euch nur benutzt, für gewisse Zwecke. Und habe mir dabei Geschwisterliebe eingeredet. Doch ich liebe euch nicht wirklich.






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