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! schrieb am 30.10. 2001 um 19:01:52 Uhr über

Trauma


Als erster Schritt, zur Suizidalität wieder Abstand zu bekommen - eine sog. Metaebene
herzustellen - hat sich bewährt zu versuchen, die Suizidalität umzudeuten. Ich lasse mir erst
mal die Suizidalität durch den Patienten erläutern, frage z.B. nach, worin die
Aussichtslosigkeit besteht und so fort, und sage dem Patienten dann, daß ich denke, daß
seine Suizidalität ein Signal der Seele ist, das er sehr ernst nehmen sollte. "Es ist ein Signal,
daß Sie dieses Leben beenden sollten. Ich halte es allerdings für ein Mißverständnis, wenn
Sie glauben, das geht nur dadurch, daß Sie Ihren Körper töten. Ich halte es für etwas, was
geschehen sollte, auch geschehen muß, wobei wir gucken müssen, wie es gehen kann, aber
eigentlich ist es ein Veränderungsimpuls. Sie sagen ja ganz richtig: so wie die Situation ist, ist
sie ausweglos. Sie fühlen sich wie so ein Hamster im Rad oder wie jemand in einer
Zwickmühle, und aus ihrer Seele kommt: »Dieses Leben muß aufhören«. Das ist gesund, das
ist richtig. Der Schritt aber: »Ich sollte mich töten«, den halte ich für ein Mißverständnis, da
müßten wir daran arbeiten, ob es nicht möglich ist, die Situation anderweitig zu
beeinflussen." Dieses Vorgehen entstammt der Tradition der Hypnotherapie: Damit nehme
ich erst mal die Suizidalität als solche ernst und sage dem Patienten, daß seine Situation, so
wie er sie schildert, aussichtslos ist, ich rede das nicht weg. Dann müssen weitere
Therapiestrategien angewandt werden. Wichtig an Ihrer Frage ist mir Ihr Hinweis, daß
dieses Gefühl des unentrinnbaren Schocks oft mit Suizidalität verbunden ist.

Zur Frage nach der akuten posttraumatischen Situation: Ich bin vor kurzem bei einer Tagung
gewesen, auf der verschiedene Reaktionsmöglichkeiten bei Notarzteinsätzen miteinander
verglichen wurden. Eine Notarztgruppe ist so vorgegangen, daß sie versucht hat, so schnell
wie möglich Analgesie, also Schmerzfreiheit herzustellen, unter Einsatz auch von Opiaten;
oder man hat versucht hat, mit höheren Dosen an Benzodiazepinen zu arbeiten. Dabei hat
sich ergeben, daß anschließend die Entwicklung von posttraumatischen Zuständen nach
Verkehrsunfällen deutlich niedriger war. Das bedeutet, daß es in der akuten Situation gut ist,
das medizinisch Mögliche zu tun, um diese Situation zu unterbrechen.

Das ist etwas, was ich inzwischen bei uns auf der Station mache, nach dem Motto "Ganz
oder gar nicht". Ich habe keine Schwierigkeiten damit, einer Patientin 4 mg Rohypnol und
240 mg Truxal zu geben, was im Suchtbereich sicherlich etwas schwerer fallen würde.
Wenn der Zustand so ist, daß jemand die Wände hochgeht und nicht mehr rauskommt,
dann muß das unterbrochen werden. Kann man den Hintergrund nicht aufarbeiten, dann ist
man ständig am Nachfüttern mit hoher Medikation, das ist sicher schlecht. Darauf komme
ich gleich noch zu sprechen. Aber ich vertrete die Position, daß ich ein unterdosiertes
Medikament auch weglassen kann. Da hätte ich nur die Nebenwirkungen, aber nicht die
Hauptwirkung. Entweder ich erreiche eine Wirkung oder nicht. Es ist aber schwer, bei
echten posttraumatischen Zuständen medikamentös wirksam zu sein. Im allgemeinen müssen
Sie an die Obergrenze dessen gehen, was Sie sonst geben; denn es ist auch ein
medizinischer Befund, daß die Medikamente in solchen Situationen nicht so richtig wirken.
Die Erfahrung ist: wenn es gelingt, die posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln,
dann geht die Medikation nach unten. Wir haben oft Leute, die mit hoher Medikation zu uns
kommen und dann zum Schluß noch so 15 mg Atosil bei Bedarf haben.

Es geht um die Frage: Wenn man verbal nicht hilfreich sein kann, aber auch Berührung als
bedrohlich erlebt wird, was soll man denn dann machen? Welche Möglichkeiten hat man
da? Ich nehme das als Stichwort für die Frage der therapeutischen Vorgehensweise. Dabei
muß man zwischen den Notfallreaktionen und den allgemeinen Therapiestrategien
unterscheiden. Ich will die Notfallreaktionen, also die Kriseninterventionsmöglichkeiten in
meine Überlegungen zur gesamttherapeutischen Vorgehensweise einbauen.

Anfang der 80er/90er Jahre gab es recht bald Forscher in den USA, die meinten: die
schweren Persönlichkeitsstörungen in Psychiatrien, gerade die
Borderline-Persönlichkeitsstörungen, das sind doch eigentlich alles chronifizierte
posttraumatische Belastungsstörungen. Es hat sich inzwischen statistisch hochgradig
erwiesen, daß bei den schweren Persönlichkeitsstörungen massive Traumatisierungen in 50
bis 80 % eine Rolle spielen. Das hängt nun sicher auch davon ab, wie man die Störungen
definiert und welche Kriterien man anlegt, aber der Anteil ist jedenfalls sehr viel höher als die
Prävalenz in der Gesamtbevölkerung, die nach den neuesten Studien des Kriminologischen
Instituts in Hannover bei den schweren Traumatisierungen bei 0,8 % in der
Gesamtbevölkerung liegt. 0,7% bis 0,8% der Frauen sind in der Familie bis zum 16.
Lebensjahr schwerer sexueller Gewalt ausgesetzt; bei den Patientinnen mit
selbstverletzendem Verhalten und Borderline-Persönlichkeitsstörungen sowie schwerer
Suchtentwicklung liegen die Zahlen irgendwo bei 80 bis 85%!

Es gibt einen langen Streit darüber, welche Rolle das nun spielt. Ist das nun die Ursache,
oder gibt es eine prämorbide Persönlichkeit, bei der die Traumatisierungen stärker wirken?
Dieser Streit ist noch im Gange, und den finde ich auch ausgesprochen spannend und
interessant.

Was wir seit einigen Jahren versuchen, ist zu sagen: Wir tun mal so, als ob das Trauma das
Wichtigste wäre. Wir stellen es therapeuisch in den Mittelpunkt. Es ist also sozusagen ein
Experiment dahingehend zu sagen: Wir verändern das Gewicht. Wir sagen einfach: Die
Traumatisierung ist das Wesentliche, die behandeln wir zuerst.

Welche Tradition gibt es in der Behandlung von Traumata? Seit Janet und seit den ersten
Arbeiten zur Behandlung von Kriegsneurosen taucht immer wieder die Idee auf, das Trauma
müsse noch einmal durchlebt und dabei abreagiert werden; danach sei es nicht mehr
innerseelisch schädlich, dann kann jemand nicht mehr getriggert werden. Das hat zu ersten
Versuchen geführt, die darin bestanden zu sagen: So schnell wie möglich, so heftig wie
möglich, so intensiv wie möglich, alles raus, wiedererleben, wiedererleben, wiedererleben,
durch! Das war der Katharsisgedanke, der Reinigungsgedanke. Das ist oft in
Selbsthilfegruppen versucht worden, aber auch mit der Methode des Flooding, der
Reizüberflutung, jedenfalls bei den Anfangsversuchen mit der Reizüberflutung, heute macht
man das auch anders. Das hilft bei etwa der Hälfte, die andere Hälfte wird immer kränker.


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