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Martin von Ulmendorf schrieb am 28.5. 2009 um 22:17:39 Uhr über

Erkenntnis

Ich hatte neulich schon geschrieben, daß eine wirklich gesichterte Erkenntnis über die Außenwelt eigentlich nicht möglich ist, da wir so sehr Gefangene in unserer Innenwelt sind, daß sich noch nicht einmal die Existenz der Außenwelt wasserdicht beweisen läßt, so ärgerlich das auch sein mag (Philosophen aller Zeiten haben freilich versucht, nachzuweisen, daß bestimmte Begriffe nur von außen in unseren Verstand hineingekommen sein können, aber ihre Begründungen sind für gewöhnlich fragwürdig).

Man kann also entweder das weitere Nachdenken einstellen, da es auf keinem absolut sicheren Fundament steht, oder das Fragezeichen hinter aller Erkenntnis akzeptieren und von bestimmten Axiomen ausgehen, die sich eben nicht beweisen lassen, die aber so vernünftig erscheinen, daß es sinnvoll ist, sie zur Grundlage weiterer Überlegungen zu machen.

Ich will das mal auf ganz bescheidene Weise versuchen. Als Axiome böten sich an:

1. Die Außenwelt existiert.

2. In der Außenwelt gelten bestimmte Gesetze (Naturgesetze).

3. Unsere Sinne vermitteln uns ein Bild von der Außenwelt, das freilich verzerrt ist, da unsere Sinne nur begrenzt leistungsfähig sind (und diese Grenzen werden eben von den Naturgesetzen bestimmt).

4. Unser Verstand ermöglicht uns eine Bewertung der Sinneseindrücke und damit auch eine mögliche Erkenntnis über Gesetzmäßigkeiten der Natur.


Ein paar Worte zu den ersten drei Axiomen: das erste muß man annehmen, wenn man nicht in der Solipsismus-Falle steckenbleiben will. Das zweite ist eine ebenfalls vernünftige Annahme, wenn auch keine beweisbare: prinzipiell wäre auch denkbar, daß Körper und Stoffe bislang nur so getan haben, als ob sie bestimmten Gesetzen unterworfen wären, es sich morgen aber anders überlegen würden. Diese Annahme läßt sich wohl kaum widerlegen, ist aber auch bar jeder Erfahrung und daher durchaus unvernünftig. Das dritte Axiom ergibt sich fast aus dem zweiten, daß unsere Sinne eben durch die Naturgesetze beschränkt sind, ist klar, man muß also lediglich noch voraussetzen, daß sie überhaupt etwas leisten, statt uns nur etwas vorzugaukeln - was jedoch schon das erste Axiom ausschloß; daher ist das dritte Axiom bei näherer Betrachtung vermutlich sogar verzichtbar.

Während also die ersten drei Axiome recht unproblematisch sind, ist es das vierte nicht so ganz, denn hier muß man darüber nachdenken, welche Möglichkeiten uns der Verstand von vornherein zur Verfügung stellt, um die Sinneseindrücke und damit die Erfahrungen zu bewerten. Darüber haben sich weitaus größere Geister als ich den Kopf zerbrochen. Trotzdem will ich mal ein paar bescheidene Versuche unternehmen. Platon (den ich freilich nicht selbst gelesen habe, sondern nur aus der Sekundärliteratur kenne, daher ist hier Vorsicht geboten) führte die »Ideen« ein als eine Art von Urbildern für die Dinge, die wir aus dem Leben kennen, so etwa die allgemeine Idee (bzw. das Urbild) von einem Pferd, während ein konkretes Pferd, auf dem man reiten kann, so eine Art Abbild davon wäre. Zutreffend an einem solchen Gedanken ist sicher erst einmal, daß wir imstande sind, das allen Pferden Gemeinsame als eben jene »Idee« (oder vielleicht auch Ideal) vom Pferd an sich zu erkennen. Deutlicher wird das vielleicht bei der Zahl Drei: auch hier gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Mengen von drei Äpfeln, Birnen, Bäumen, Mädchen oder meinetwegen Fliegenpilzen.
Diese Ideen oder Ideale zu erkennen, ist aber erst einmal eine Abstraktionsleistung. Im Grunde genommen sind solche Ideale vergleichbar mit den Äquivalenzklassen in der Mathematik, mit denen sich z.B. die Schüler einer Schule in ihre Klassen unterteilen lassen, wobei der einzelne Schüler dann ein Repräsentant seiner Klasse wäre. So könnte man auch von der Klasse »Pferd« sprechen, während das einzelne, konkrete Tier dann ein Repräsentant dieser Klasse wäre.

Womit ich allerdings nicht einverstanden bin, ist der Gedanke, daß diese Ideen oder Klassen, wie ich sie ab jetzt lieber nennen will, schon von Geburt an im Verstand angelegt wären und ihre Entdeckung letztlich eine Form des Erinnerns wäre. Durch die Abstraktionsleistung, die Klassen als den gemeinsamen Nenner einer bestimmten Menge konkreter Objekte der Außenwelt zu erkennen, wird vielmehr eine durchaus schöpferische Leistung vollbracht und es wird etwas geschaffen, was weder zur Innen- noch zur Außenwelt gehört: diese dritte Welt (ich glaube, Popper, den ich ebenfalls nur aus der Sekundärliteratur kenne, hatte auch schon eine solche Dreiweltentheorie) wäre dann die der Ideen, der Modelle, und auch der künstlerischen Schöpfungen. Das sind drei verschiedene Gruppen: mathematische Objekte wie die leere Menge oder wohl auch die imaginären Zahlen gehören dem Bereich der Ideen an, in dem es nur auf innere Schlüssigkeit ankommt, daher hat die Mathematik, die in diesem Bereich operiert, auch weniger Probleme als andere Wissenschaften: der Mathematik ist es erst einmal egal, ob sie etwas aus der konkreten Außenwelt beschreibt bzw. ob es eine Entsprechung zu einem ihrer Begriffe gibt. Anders sieht es dem Bereich der Modelle aus: hier werden (zumeist unter vereinfachten Voraussetzungen) Modelle tatsächlicher Vorgänge in der (physikalischen) Außenwelt konstriert, deren Wert davon abhängt, wie gut sie der Überprüfung durch Experimente oder ähnliches standhalten. Dabei werden solche Modelle allmählich eine Art von Evolution durchlaufen und sich immer mehr der realen Welt annähern (der Übergang von Newtons Weltbild zu Einsteins Weltbild wäre dafür ein Beispiel). Doch auch hier gilt: selbst wenn ein Modell die reale Wirklichkeit der Außenwelt perfekt beschriebe, könnte man sich dessen niemals völlig sicher sein, denn die Richtigkeit eines Modells ist nicht endgültig beweisbar. Dem dritten Bereich gehören dafür Gestalten wie etwa Hamlet an, über die Beziehungen dieses Bereiches zu den anderen beiden will ich hier aber nichts schreiben.

Wie schon erwähnt, kann ich aber nicht anerkennen, daß diese dritte Welt schon von vornherein im Verstand angelegt ist, sie entsteht vielmehr durch Aufnahme von Sinneseindrücken, durch Vergleichen und damit auch Unterscheiden, und das sich daraus ergebene Abstrahieren. Diese Fähigkeiten: Erfahrungen aufzunehmen, im Gedächtnis zu speichern, sie zu vergleichen und so Unterschiede zu erkennen, diese Fertigkeiten sind offenbar tatsächlich angeboren. Gleiches scheint auch für Raum, Zeit und Bewegung zu gelten, wobei die im Gehirn angelegte Vorstellung vom Raum wohl eine durchaus absolute ist (jetzt kommen wir in den Bereich von Kant, den habe ich vor langer Zeit immerhin wirklich mal gelesen), obwohl das, wie wir von Einstein wissen, für den physikalischen Raum durchaus nicht gilt. Ähnliches ist bei der Zeit der Fall, denn obwohl das Zeitempfinden zwar sehr relativ und situationsabhängig sein kann, gibt es offenbar doch auch ein absolutes Zeitgefühl, wie man am Zusammenspiel eines Orchesters vielleicht am ehesten einsieht. Auch hier gilt: die physikalische Zeit ist dagegen relativ. Warum sind Raum und Zeit in unserem Verstand anders angelegt? Die Antwort liegt natürlich darin, daß die Evolution bis hin zum Menschen und damit auch die Evolution des Verstandes unter Bedingungen stattfand, unter denen relativistische Effekte keine Rolle spielten. Es gab daher auch keinerlei Selektionsdruck in dieser Richtung.

Dies sollte man sich vor Augen halten, wenn man anderen Eigenschaften des Verstandes nachspürt: man sollte sich daran erinnern, daß auch der Verstand eine eigene Evolution durchlaufen hat und daher von Umweltbedingungen beeinflußt wurde. Ich vermute, daß die Wurzeln von Verstand und Bewußtsein auch in den Sinneseindrücken unserer weit primitiveren Vorfahren zu suchen sind: indem sich Gehirne entwickelten, die in der Lage waren, solche Eindrücke zu bewerten, erwuchs diesen ein Vorteil. Daraus entwickelte sich so etwas wie eine neue Instanz, der Geist, der sich so weit entwickelte, daß der bewußt denkende Mensch vom Einzeller ähnlich weit entfernt ist wie der Einzeller von unbelebter Materie.

So, das reicht erst mal, denke ich. Sicherlich habe ich hier keinen neuen Gedanken vorgebracht, aber ich fand es trotzdem mal interessant, vor Publikum solchen Fragen nachzugehen. Des Eklektizismus meiner Ausführungen bin ich mir aber durchaus bewußt.


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