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! schrieb am 30.10. 2001 um 18:53:37 Uhr über

Trauma

Normale und pathologische Traumaverarbeitung

Was Sie hier (auf der Folie, die Red.) sehen ist die sog. »Horowitzkaskade«. Das wichtigste
Wort steht hier oben links, das ist das Wort: »normal«. Man hat sich nämlich in der
Beschäftigung mit dem Thema der Traumatisierung auch gefragt: "Wie wird ein
traumatisches Ereignis denn normalerweise verarbeitet? Gibt es so etwas wie eine
Normalität im Ablauf der Verarbeitung?" Ich will ein ganz alltägliches Beispiel nehmen:
Heute Abend gehen Sie nach Hause, noch so in Gedanken und dösen so vor sich hin und
überqueren den Zebrastreifen, Sie sind im Recht und werden angefahren. Ein Auto bremst,
Reifen quietschen, und Sie liegen auf der Straße. Was passiert dann? Die erste Reaktion
könnte sein, daß Sie »Arschlochschreien. Wenn Sie gut erzogen sind, unterdrücken Sie
das - so etwas sagt man nicht! - und Sie haben damit im Grunde genommen schon den
ersten Teil getan, um keine normale Reaktion zu haben. Wenn Sie irgendwo in Italien oder
Griechenland aufgewachsen sind, dann dürfen Sie das schreien, hier in Deutschland ist das
nicht so gut. Nach diesem Vorfall kann es sein, daß Sie schlagartig hellwach sind. In sehr
vielen Fällen kommt in so einer Situation nämlich plötzlich ein Zustand, den man als
Hypervigilanz, als »besonders wach sein«, bezeichnet. Sie sind ganz konzentriert, spüren
nichts mehr, Ihnen tut auch nichts weh und Sie erleben einen leichten, fast hypomanischen
Rauschzustand. Angeblich - ich persönlich stamme wie gesagt aus dem
westfälisch-niedersächsischen Flachland - kann man auch beim Bergsteigen in solche
Zustände rein kommen.

Dieser Zustand ist bedingt durch einen Noradrenalinstoß, der dazu führt, daß Sie plötzlich
hellwach sind. Noradrenalin ist nun wichtig zum Lernen. Tiere lernen nur unter Streß, d. h.:
Wenn Sie einem Tier etwas beibringen wollen, in einem Tierexperiment z.B., dann müssen
Sie es unter leichten Streß setzen. Nur dann wird Noradrenalin ausgeschüttet, und nur dann
kann das Tier etwas lernen und sich etwas merken. Ohne Streß lernt ein Tier gar nichts. Das
kennen wir Menschen auch, so ein bißchen Lampenfieber vor einem Vortrag oder etwas
Angst vor der Prüfung oder leichter Streß vor irgendeiner Anforderung ist gar nicht so
schlecht. Dann sind die Leistungen besser. Das liegt daran, daß dann in uns ein gewisser
Noradrenalinspiegel besteht, und mit Noradrenalinspiegel merken wir uns Sachen besser.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich das Lernen und das Gedächtnis insgesamt
genauer anzusehen. Niemand von Ihnen lernt heute so, daß innerlich ein Tonband mitläuft
oder ein Video, d.h.: Sie werden sich hinterher nicht präzise, nicht einmal bei der
Mittagspause, an einzelne Sätze oder an präzise Formulierungen erinnern können, vielleicht
an ein, zwei Bemerkungen. Aber ansonsten nehmen Sie mehr so eine Art »Eintopf«, einen
»Informationseintopf« mit und verarbeiten den weiter.

Das wäre jetzt völlig anders, wenn hier oben etwas herrunterfallen und mich erschlagen
würde. Wenn das geschähe, dann hätten Sie Schwierigkeiten, dieses Ereignis für den Rest
Ihres Lebens wieder zu vergessen. Das wäre etwas, das sich plötzlich eingebrannt hätte,
daran würden Sie sich erinnern wie an ein Dia oder wie an einen Kurzfilm, an eine kurze
Sequenz, vielleicht auch an den Aufschrei, all das wäre in Ihrem Gehirn abgespeichert. Es
sieht so aus, als ob zuviel Noradrenalin in so einer Situation zuviel des Guten ist, so daß das
Gehirn zuviel lernt, zuviel behält, in einer Form sich Sachen merkt, die unphysiologisch ist,
nämlich in Form von Dias oder in Form von kurzen Bildstreifen.

Das entspricht nicht dem normalen Lernen. Das normale Lernen - das können Sie bei
Manfred Spitzer (»Geist im Netz«) lesen - ist immer sofort Verarbeitung. Sie lernen nie
unverarbeitet sondern Sie fangen sofort mit der Verarbeitung an. Zurück zum Zebrastreifen:
Sie haben die Situation im Griff: Sie sind ruhig, stehen auf, beruhigen den Autofahrer, der ein
schlechtes Gewissen hat, Sie rufen die Polizei an, der Krankenwagen kommt, die »Sanis«,
die kennen das schon, die fragen dann: "Wer hat denn hier den Unfall gehabt? Ach Sie, ja
mhm. Na, ist ja gut, daß wir jetzt da sind, dann setzen Sie sich mal hin». «Nein, nein", sagen
Sie dann, "mir gehts bestens und kümmern Sie sich mal um den Autofahrer, dem gehts ja
viel schlimmer, der ist ja mitten im Schock». Die «Sanis» sagen dann: «Ja, das machen wir
auch, aber legen Sie sich erst mal ruhig hin". Die Sanitäter wissen ja, daß das sofort in einen
Schockzustand übergehen kann.

Aber wenn Sie das alles überstanden haben - wenn Sie die Notaufnahme überstanden
haben, den diensthabenden Arzt überzeugt haben, daß Sie nicht eine Nacht bleiben müssen,
die Polizei hinter sich gebracht haben - und wenn Sie dieser Zustand nach Hause begleitet
hat, dann kann es sein, daß Sie sich hinsetzen, tief Luft holen und sich sagen: "Na, das ist ja
noch mal gut gegangen". Sie schenken sich ein Bier oder einen Wein ein, legen sich eine CD
auf, legen die Beine hoch - und plötzlich fangen Sie an zu zittern: Sie kriegen einen
Zitteranfall, das Herz fängt an zu rasen, sie bekommen Schweißausbrüche, Sie werden
plötzlich ganz unruhig; und es kann sein, daß Sie plötzlich wieder mitten in der Situation sind,
mitten drin und zwar schlimmer als auf dem Zebrastreifen selbst.

Dieser Zustand, der als Intrusion oder Flash back bezeichnet wird, ist es offenkundig, der
die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen so schwierig macht. Wenn so etwas passiert,
daß sich aufgrund des Überadrenalinzustandes etwas einbrennt, etwas richtig im Gehirn
festsetzt, dann ist die Verarbeitung dieser Erfahrung nicht so einfach wie die Verarbeitung
dieses Vortrags in dieser Sporthalle: Vielleicht träumen Sie heute Nacht noch davon, daß
eine Basketballmannschaft spielt und der Schiedsrichter einen Vortrag hält oder so etwas
Komisches. Sie bringen dabei all diese unterschiedlichen Informationen durcheinander und
müssen erst mal verträumen, daß ein Vortrag auf einem Basketballfeld stattfindet; aber das
ist nicht das Problem, davon werden wir nicht wach. Wenn mir hier - wie gesagt - der
Himmel auf den Kopf fallen würde, dann wäre das anders, dann würden Sie vielleicht heute
Abend so eine Intrusion oder so einen Flash back bekommen. Oder aber, wenn Sie sich
schlafen legen, die Augen zumachen, dann steht Ihnen die Szene wieder vor Augen, Sie
können nicht einschlafen, oder aber, Sie träumen das nachts und werden davon wach. Es
läuft so ab, wie es abgelaufen ist und zwar als Video, unverarbeitet. Wenn sich diese
Intrusion festsetzt, wenn sie nicht verarbeitet werden kann, dann kann das bis zum Zustand
der Hypermnesie gehen, der nicht mehr loszuwerdenden Erinnerung. Das entspricht dem,
was Menschen, die in Konzentrationslagern gewesen sind, oft beklagt haben, daß sie diese
Gedanken und Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Hypermnesie heißt
Übererinnerung,- Amnesie heißt, daß man kein Gedächtnis hat, und Hypermnesie würde
bedeuten, daß man zuviel erinnert.


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