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DER SPIEGEL schrieb am 29.12. 2013 um 12:03:58 Uhr über

Fritz-Haarmann-Medaille

Er hatte Sex mit ihnen, dann biss er ihre Kehle durch: Auf bestialische Weise brachte Fritz Haarmann, der »Vampir von Hannover«, zwischen 1918 und 1924 zwei Dutzend junge Männer um. Die Morde gestand er erst, als die Polizei in seiner Zelle einen Spuk inszenierte - mit den Schädeln seiner Opfer.

Nachts starrten ihn Schädel mit rot leuchtenden Augen an, unruhige kleine Lichter oben in den Ecken seiner Gefängniszelle. In einem Winkel stand ein Sack mit menschlichen Knochen; die Seelen der Toten, so hatten ihm die Wachen eingeflüstert, würden ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, bis er gestanden habe. Schließlich gab Fritz Haarmann die grausige Wahrheit zu, die er so lange verschwiegen hatte: Ja, er war der »Werwolf von Hannover«, der geheimnisvolle Serienmörder, der in den vergangenen Jahren mindestens zwei Dutzend Jungen im Alter zwischen 10 und 22 Jahren auf bestialische Weise getötet hatte.

Bereits eine volle Woche lang hatte die Polizei von Hannover damals, im Juni 1924, ihren Verdächtigen verhört, ihm Beweise vorgelegt, ihn mit Zeugen und Angehörigen konfrontiert. Haarmann aber hatte hartnäckig geschwiegen. Erst mit unorthodoxen Methoden - die man heute wohl Folter nennen würde - brachten die Ermittler Fritz Haarmann zum Reden. In seinen Memoiren räumte der zuständige Polizeichef später ein, dass die Ermittler in der Zelle des abergläubischen Haarmann vier menschliche Schädel mit rotem Papier in den Augenhöhlen angebracht hatten, in deren Inneren nachts Kerzen brannten. Auch der Sack mit den Gebeinen und die Geschichten, die dem labilen Häftling eingeflüstert wurden, waren Teil des perfiden Plans, Haarmann zu einem Geständnis zu verleiten.

Um den Prozess nicht zu gefährden, behielten die Beamten diese und weitere Details - wie Schläge und Tritte in die Genitalien - allerdings lieber für sich. Die Behörden standen unter Druck; die Mordfälle, die ganz Hannover in Atem hielten, mussten dringend aufgeklärt werden - um jeden Preis. Mehrere Ermittlungspannen hatten die Polizei schlecht aussehen lassen und die Aufklärung verzögert. Haarmann war bereits ein paar Mal ins Visier der Ermittler geraten, aber vor bevorstehenden Hausdurchsuchungen immer rechtzeitig gewarnt worden - wenig überraschend, denn der Mordverdächtige war auch als Spitzel der Polizei tätig. Die hatte sich lange geweigert, die Indizien gegen ihren V-Mann zur Kenntnis zu nehmen.

Leichenteile in der Leine

Aufgedeckt hatten den Skandal im Mai 1924 spielende Kinder, die einen grausigen Fund aus der Leine gefischt hatten: einen menschlichen Schädel. Doch das war nur der Anfang gewesen; die Nachsuche in dem Gewässer durch die Polizei brachte bald noch weitere 500 Leichenteile zutage, die von etwa 22 Menschen stammen mussten. Seltsam nur: Weder den Behörden noch der Bevölkerung war das offenbar jahrelange Treiben eines Serienkillers in ihrer Stadt aufgefallen.

Aber der Erste Weltkrieg und der Sturz des Kaiserreichs waren noch nicht lange her, alte Autoritäten und Werte lagen in Trümmern, die deutsche Gesellschaft war traumatisiert und durcheinander. Die Umbrüche hatten viel menschliches Strandgut hervorgebracht, nach dem niemand krähte - wie jene jungen Männer, die sich als obdachlose Stricher in den Bahnhofsvierteln herumtrieben. Dies war das Milieu, in dem Fritz Haarmann seine Opfer suchte - Menschen, nach denen sonst niemand mehr fragte.

Dass die Polizei Informanten beschäftigte, war in dieser Zeit üblich. So einer war auch Fritz Hamann, geboren am 25. Oktober 1879 in Hannover, gelernter Schlosser, Möchtegern-Soldat, gescheiterter Fischhändler, verurteilter Kleinkrimineller - und seit 1918 Polizeispitzel im Rotlichtmilieu der Leinestadt. Haarmann half beim Ausheben von Verbrecherbanden, Hehlern oder Geldfälschern; der Polizei schien er dadurch bald besonders vertrauenswürdig. Gleichzeitig nutzte er im Milieu ungeniert die Macht, die ihm seine Kontakte zu den Behörden verschaffte - nach Belieben konnte er andere vor Razzien warnen oder aber ans Messer liefern.

Ein Mann mit Biss

Mit einem offiziellen Polizeiausweis ausgestattet durchstreifte Haarmann sechs Jahre lang etwa die Wartesäle des Hauptbahnhofs und sprach dort seine Opfer an. Er bot ihnen Essen, Arbeit und ein Dach über dem Kopf und nahm sie mit zu sich nach Hause. Die Polizei wusste davon - auch, dass Haarmann homosexuell war, was zu dieser Zeit noch strafrechtlich verfolgt wurde. Sie schaute aber geflissentlich weg, wenn ihre Spitzenquelle wieder einen seiner »Puppenjungs« wie er sie später in seiner Aussage nannte, mit nach Hause nahm.

Die Einzelheiten dessen, was dort geschah, kamen erst nach Haarmanns Verhaftung ans Licht. Für Unterkunft und Essen verlangte er von seinen Begleitern Sex; dann biss er seinen Opfern im Rausch die Kehle durch. Die Leichen zerlegte er, reinigte die Knochen und warf sie in den Fluss. Darüber, was mit dem Fleisch seiner Opfer geschah, gibt es nur Vermutungen. Haarmann behauptete stets, er habe es ebenfalls entsorgt. Jahrelang jedoch versorgte er eine Gaststätte in seiner Nachbarschaft mit billigem Fleisch, von dem niemand so genau wusste, woher er es hatte.

Mit der Bekleidung seiner Opfer führte Haarmann zudem einen schwunghaften Altkleiderhandel. Dieser wurde ihm schließlich zum Verhängnis, als eine Mutter die Kleidung ihres toten Sohnes an einem von Haarmanns Kunden wiedererkannte - woraufhin sich die Polizei schließlich entschloss, ihren Informanten hops zu nehmen.

Freuen auf das Fallbeil

Der Mordprozess gegen den »Vampir«, den »Werwolf von Hannover« begann am 4. Dezember 1924 - und geriet zum vielleicht größten Medienspektakel der Weimarer Republik. Menschenmassen drängten sich vor dem Gerichtssaal, in den täglich gerade 80 Zuschauer zugelassen wurden. Die Zeitungen überschlugen sich mit reißerischen Schlagzeilen. Und selbst seriöse Beobachter - voran der Philosoph und Publizist Theodor Lessing, der ein Buch über den Haarmann-Prozess schrieb - folgten gebannt jeder neuen Wendung in dem spektakulären Verfahren.

Insgesamt 24 Morde konnte der Staatsanwalt Haarmann am Ende nachweisen. Nach zweiwöchigem Prozess wurde der Angeklagte deswegen am 19. Dezember 1924 zum Tode verurteilt, und zwar für jeden Mord einmal. Dabei könnte Haarmann noch mehr junge Männer auf dem Gewissen gehabt haben, doch, nicht alle ungeklärten Todesfälle und Vermisstenanzeigen konnten letztlich mit ihm in Verbindung gebracht werden. Der Serienmörder selbst sagte aus, er könne sich an die genaue Anzahl seiner Opfer nicht erinnern. Am 15. April 1925 wurde Fritz Haarmann im Gefängnishof des Landgerichts Hannover mit dem Fallbeil enthauptet.

Zuvor hatte er die kurzen Momente seines perversen Ruhmes noch ausgekostet: »Wenn ich so gestorben wäre, dann wäre ich beerdigt worden und keiner hätte mich gekannt«, erklärte er nach dem Urteil, »so aber - Amerika, China, Japan und die Türkei, alles kennt michEinen Roman wollte er noch schreiben, sein Leben sollte verfilmt werden und in die Kino kommen; aus dem Erlös wollte er ein Denkmal bauen lassen: »Das ist eine Sehenswürdigkeit noch in 1000 Jahren, da kommen sie alle und sehen sich das noch an

Der Schädel des Mörders

Und tatsächlich hat der schaurige Ruhm des Massenmörders Fritz Haarmann die Zeitläufte überdauert. Bis heute kennen viele den Kinderreim, der damals entstand (und der mehrfach als Lied vertont wurde): »Warte, warte nur ein Weilchen / dann kommt Haarmann auch zu Dir / mit dem kleinen Hackebeilchen macht er / Hackefleisch aus DirAuch im Kino reüssierte der Massenmörder, wie von Haarmann selbst vorhergesagt; sein Leben als »Der Totmacher« (Filmtitel) mit Götz George in der Hauptrolle wurde 1995 ein großer Erfolg. Eine Bronzeplastik des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka zum Fall Haarmann musste 1992 gleich wieder abgebaut werden - sie zeigt den entblößten Massenmörder, wie er sich über den aufgeschlitzten Leib eines Opfers beugt und dessen Eingeweide verzehrt.

Auch von Haarmann selbst gibt es noch Spuren. 85 Jahre nachdem die präparierten Totenschädel seiner Opfer Haarmann zum Geständnis trieben, ist es ausgerechnet sein eigener Schädel, der bis heute im Anatomischen Institut der Universität Göttingen lagert. Doch Schabernack wird mit dem Schädel des wohl grausamsten Serienmörders der jüngeren Kriminalgeschichte nicht getrieben - weder Studenten noch Universitätsmitarbeiter oder Besucher bekommen ihn zu sehen. Interessenten gibt es noch genug.




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