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solarschule schrieb am 2.3. 2003 um 21:42:30 Uhr über

Politik




Machtpolitik unter dem Deckmantel von Freiheit und
Demokratie

Florian Rötzer 28.02.2003

Mit Geld, Versprechungen und Erpressungen kann die Bush-Regierung
bestenfalls einen kurzfristigen Erfolg in der Irak-Frage feiern, ansonsten
hinterlässt ihre Politik schon jetzt einen explosiven Scherbenhaufen

Um die schon lange vorbereitete Invasion des Irak sicher zu stellen, ist die Stunde der
sogenannten Realpolitik gekommen. Mit allen Mitteln suchen die britische und die
amerikanische Regierung die nötigen Stimmen im Sicherheitsrat zu erhalten oder eher
zu kaufen, während die andere Seite bestrebt ist, ebenfalls heil aus dem Konflikt mit
welcher Entscheidung auch immer herauszukommen. Es ist dieses Geschacher hinter
den Kulissen, aber unter dem Deckmantel einer friedlichen Lösung oder eines Krieges
für den Frieden und die Demokratisierung, bei dem die Glaubwürdigkeit internationaler
Organisationen von der UN bis zur Nato droht, verspielt zu werden.




Auffällig ist schon, dass immer wieder bei Politikern oder Kommentatoren gesagt wird, der
Krieg sei unvermeidlich. Das ist er freilich nur, weil die US-Regierung nie wirklich eine
Alternative zugelassen hat und unter dem Vorwand der Entwaffnung auf einen Regime-Sturz
ausgerichtet war, mit dem sie in der gesamten Region ihren Einfluss festigen will.
Seltsamerweise spricht kaum jemand mehr davon, dass die UN-Resolutionen keinerlei
Hinweis auf eine Regime-Änderung enthalten, auch wenn man sich allgemein wünschen
möchte, dass die internationale Gemeinschaft stärker Freiheit und Demokratie durchsetzen
könnte oder sollte - nicht nur im Irak.



Die Menschen misstrauen einer maskierten Interessenpolitik

Der Plan, das Hussein-Regime von der Macht zu vertreiben, wurde von konservativen
Kreisen in den USA, die mit Bush an die Macht gekommen sind, schon lange gehegt, kam kurz
nach dem 11.9. schnell auf die Tagesordnung und soll nun nach dem Afghanistan-Krieg
umgesetzt werden. Von einem Großteil der Bevölkerung in vielen Ländern wird ein Krieg
nicht unterstützt, weil die Menschen offenbar von den Gründen nicht wirklich überzeugt sind,
die wirklichen Interessen aber nicht offen gelegt und diskutiert werden. Man braucht sich auch
nur die neuen Koalitionen für oder gegen einen Irak-Krieg anzusehen, um erkennen, dass es
hier nicht in erster Linie um Freiheit und Demokratie geht. Wenn nur eine Regierung dieselbe
Position vertritt, so scheint für alle Beteiligten ziemlich egal geworden zu sein, ob der Partner
im Kampf um das jeweils Gute die Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats sowie die
Menschenrechte achtet.

Das Misstrauen der Bürger vieler Staaten richtet sich gegen den Auftritt einer von sich selbst
kritiklos überzeugten und messianisch agierenden Supermacht, die sich über alle anderen
Staaten stellt, internationale Abkommen nicht achtet, die Vereinten Nationen instrumentalisiert
und gleichwohl angeblich nur hehren Zielen folgt. Dass in allen Ländern viele, manchmal auch
die Mehrzahl der Menschen einem Krieg zustimmen würde(n), wenn er von der
Weltgemeinschaft gewünscht und legitimiert wird, ist bei aller berechtigten Kritik an der UN
und vor allem dem Sicherheitsrat ein gutes Zeichen, dass auch global eine Demokratisierung
der Verhältnisse erwünscht wird ( Die erste globale oder planetare Demonstration).

Die US-Regierung hat immer deutlich gemacht, dass sie die Invasion auch ohne Billigung
durch den Sicherheitsrat ausführen und damit den Bedeutungsverlust der UN in Kauf nehmen
will. Der Irak-Konflikt, das sollte man nicht bei aller Fixierung der Aufmerksamkeit darauf
vergessen, ist nur ein Fall für den amerikanischen Internationalismus der Bush-Regierung,
auf den sich nun leider die Diskussion verengt hat. Auch was die Nato oder die EU betrifft,
setzen die USA auf Vereinbarungen mit einzelnen Ländern. Das ist einerseits verständlich,
weil sich damit kurzfristig die nationalen Interessen besser durchsetzen lassen, andererseits
würde durch den von der US-Regierung forcierten Zerfall der Organisationen die Welt
sicherlich langfristig instabiler und unsicherer.

Geld hilft bei der Gewinnung von Vasallen, aber nicht unbedingt bei der
Demokratisierung der Verhältnisse

Zwar ganz üblich und mit der Realpolitik durchaus konform wird aber für die Durchsetzung
der jeweils erwünschten Position der Länder im Sicherheitsrat, aber auch zur Gewinnung von
weiteren Verbündeten derzeit wenig für demokratische Transparenz gesorgt. Demokratien
haben nun einmal die von der US-Regierung offenbar nur bedingt gewünschte Eigenschaft,
dass sich ihre Haltung nicht von oben verordnen lassen. Man verbündet sich also mit
Regierungen, die in der Irak-Frage wie in Italien oder Spanien die überwältigende Mehrheit
ihrer Bürger gegen sich haben, während Regierungen wie der deutschen oder der
französischen, die ja durchaus der Entwaffnung zustimmen und die eine Mehrheit der Bürger
in dieser Angelegenheit repräsentieren, ziemlich unverhohlen gedroht wird, obgleich
abweichende Meinungen auch international zur demokratischen Kultur zählen sollten. Schon
vor geraumer Zeit munkelten manche US-Politiker, dass etwa die Staaten der Willigen
natürlich wirtschaftliche Vorteile am erwarteten Öl- und Geldfluss aus dem Irak mit seiner
US-Regierung und der irakischen Nachfolge-Regierung haben werden.


A liberated Iraq can show the power of freedom to transform that vital region, by
bringing hope and progress into the lives of millions. America's interests in
security, and America's belief in liberty, both lead in the same direction: to a free
and peaceful Iraq.
US-Präsident Bush


Die derzeit im Namen von Freiheit, Demokratie und Frieden gepflogene
Scheckbuchdiplomatie der US-Regierung wird bestenfalls eine kurzfristige Ad-hoc-Allianz
schmieden können, die vielleicht die US-Interessen auch im Sicherheitsrat mit mehr
Ja-Stimmen, keinem Veto und manchen Enthaltungen durchzusetzen vermag, aber schnell
zerbrechen dürfte, wenn der Krieg länger dauert oder größere Schwierigkeiten auftauchen.
Dann könnte die von Bush versprochene Demokratisierung der Verhältnisse auch zu einigen
Veränderungen in seiner brüchigen Allianz führen. Und auch im Irak ist mit der vorgesehenen
Militärregierung, dem schwelenden Konflikt zwischen Türken und Kurden über den Zugang zu
den Erdölquellen im Nordirak und über die Autonomie der Kurden sowie der offenen Frage,
wie sich die Schiiten im Süden verhalten werden, der Import der Demokratie von Anfang mit
dem gleichzeitigen Versuch, die »Integrität« des Irak zu erhalten, in Frage gestellt. Sollte die
türkische Armee auch in den Nordirak einrücken, um die Kurden zu kontrollieren und die
Turkmenen zu unterstützen, sind Konflikte mit den Kurden, vielleicht auch in der Türkei selbst
vorprogrammiert.

Neben der trotz vieler Versprechungen immer noch schwankenden Türkei, die ein Hilfspaket
von mindestens 15 Milliarden Dollar erhalten würde, wenn sie einem Angriff von der Türkei
aus zustimmt, muss die US-Regierung aber noch weitere Zustimmungen von zögerlichen
Ländern durch Drohungen und Geld erkaufen. Noch befürworten von den 15 im Sicherheitsrat
vertretenen Länder nur die Regierungen der USA sowie die von Großbritannien, Bulgarien
und Spanien einen Krieg. Bei einem Volksentscheid würde dies freilich noch ganz anders
aussehen, dann nämlich wären die USA ziemlich alleine: kein gutes Image für den Einsatz für
Demokratie.

Die Befreiung des Irak vom Tyrannen muss keineswegs nur ansteckend im
Sinne der Demokratisierung und erhöhter Sicherheit sein

Die Überredungs- und Erpressungsdiplomatie kann insgesamt, addiert man dies mit den
Geldern an Israel und die Abkommen mit arabischen Staaten wie Ägypten zu den
Kriegskosten hinzu, den Amerikanern langfristig, selbst bei einem gewonnenem Krieg,
ziemlich teuer kommen (zu den Feinheiten der US-Diplomatie beispielsweise Geld und
Krieg). Auf die Übernahme eines großen Teils der Kriegskosten wie im letzten Krieg darf die
US-Regierung nicht hoffen, die bei einem Krieg und weiter steigenden Ölpreisen auch
wirtschaftlich stärker unter Druck geraten würde.

Wenn es denn der Bush-Regierung mit den eingesetzten Druckmitteln gelingen sollte, die noch
zögerlichen Regierungen von Angola, Mexiko, Guinea, Kamerun, Chile und Pakistan, die alle
mit einem Sitz im Sicherheitsrat vertreten sind, zu einer Zustimmung zur neuen Resolution zu
überreden, China und Russland durch Zusagen von einem Veto abzuhalten und keine
Alternative wie etwa den kanadische Vorschlag zuzulassen, dann wäre dies ein bitterer Sieg
für die Politik und würde nur bestätigen, dass Geld sowie wirtschaftliche und militärische
Macht der einzige Einsatz auf der Bühne sind, auf der nur die hoffnungslos Naiven an die
Aufführung des Schauspiels vom Kampf der Guten gegen die Bösen, der Demokraten gegen
die Diktatoren, der Friedlichen gegen die Angreifer, der Wahrheitsliebenden gegen die
Lügner - oder was auch immer im Drehbuch stehen mag - glauben können.

Herablassend sagte Präsident Bush denn auch jetzt, dass man eine zweite Resolution
sowieso nur wegen der Verbündeten suche. Die UN ist also nur taktisch von Bedeutung. Bush
habe lange über die Angelegenheit und ihre Folgen nachgedacht. Was auch immer dabei
herauskommen mag, am wichtigsten sei es, dass Saddam entwaffnet wird. Das ist dann schon
eine Art Versprechen. Wenn nur dieser Bösewicht weggeschossen ist, wird alles von selbst
irgendwie gut.

Glaubwürdigkeitskrisen mussten die Vereinten Nationen freilich schon einige überstehen, die
USA verhalten sich auch keineswegs das erste Mal auf eine solche Weise, wenn im Namen
der Freiheit bestimmte Interessen durchgesetzt werden solen, die nicht einmal tatsächlich
nationale sein müssen, sondern nur die der Regierung und der hinter ihr stehenden
Interessengruppen sein können. Aber es ist doch erstaunlich und wahrscheinlich wirklich nur
aufgrund eines auf manche durchaus reale Interessen gestützten Messianismus verständlich,
dass die Bush-Regierung mit einem aus Sicherheitsgründen keineswegs notwendigen Krieg
nicht nur Eruptionen im Nahen Osten in Kauf nimmt, sondern auch eine Verstärkung des
radikalen Islamismus und des von ihm ausgehenden Terrorismus. Wo vornehmlich Macht und
Geld zählen, können schließlich auch Terroristen den Einsatz ihrer Mittel leichter
legitimieren, um ihre Ziele zu verfolgen. Die Umgestaltung des Nahen Ostens könnte durchaus
darin enden, dass in einigen Staaten muslimische Extremisten an die Macht kommen und dass
sie beispielsweise in der Türkei oder in Pakistan, aber auch in Afghanistan weiter an Einfluss
gewinnen.

Ansteckend muss der von außen durchgeführte Sturz des Hussein-Regimes keineswegs nur in
der von den USA gewünschten Richtung sein. Aber auch bei den Verbündeten ist keineswegs
sicher, ob die Hauruck-Politik zu einer Stärkung der Regierungen führt. Denn auch hier
könnte, je nachdem, wie der Verlauf des Krieges sein wird und welche Auswirkungen er zur
Folge hat, die Opposition wachsen, was zu Regierungswechseln etwa in Spanien oder in
Italien führen könnte. Und nicht zuletzt könnte ein solcher »Regimewechsel« auch die
Bush-Regierung ereilen. Das derzeit von der amerikanischen und britischen Regierung
veranstaltete, aber allzu einfach durchschaubare Spiel mit Wahrheit und Lüge - was auch
zeigen könnte, dass für US-Regierung die demokratische Öffentlichkeit nur eine
manipulierbare Größe ist -, könnte insgesamt die Kritik an der Demokratie als Schwatzbude
und damit Extremisten jeder Art fördern.

Der Irak-Konflikt ist ein Katalysator für Entwicklungen, die schon lange gären, aber nun nach
und nach die Welt nach dem Kalten Krieg bestimmen. Sie wird sicherlich weniger einfach und
wahrscheinlich auch kaum sicherer sein, da die großen Blöcke einer Vielzahl von teilweise
nur flüchtigen Verbindungen gewichen sind. Das Problem ist derzeit wohl vor allem, dass die
Bush-Regierung, die fast ausschließlich aus Kalten Kriegern besteht, mit allen Mitteln an dem
alten bipolaren Weltbild festhalten will und dadurch die Konflikte nicht mindert, sondern
zuspitzt. In einer derart aufgebrochenen Welt bestünde allerdings auch mehr denn je die
Chance, den Weg zu einer gemeinsamen Weltinnenpolitik mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu
beschreiten. Würden sich die USA mit ihrem »amerikanischen Traum« dahinter stellen, wäre
viel gewonnen. Aber dafür spricht derzeit leider nichts. Trotzdem wohnen wir im Augenblick
einer beschleunigten Phase in der Neugestaltung der Welt bei.
















Kommentare:
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