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Jemand schrieb am 9.2. 2001 um 17:21:20 Uhr über

Reemtsma

Interview mit Jan Phillip Reemtsma über seine Gefühle im Verfahren, über Trauma und Ohnmacht, Religion und Tod

Die Zeit, vom 25.Jan.2001, Nr.5, S.12

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DZ: Wenn man sich Ihre Berichte über die Todesangst während der Entführung vergegenwärtigt und nun den laufenden Prozess gegen Ihren Entführer Thomas Drach verfolgt, erscheint die Munterkeit und Komik dieser Veranstaltung reichlich absurd. Geht es Ihnen ähnlich?

JPR: Ja, in mehrfacher Hinsicht. Naturgemäß sind die Perspektiven von Täter und Opfer unterschiedlich. Sie erzählen unterschiedliche Geschichten. Hinzu kommt hier: Die beiden Haupttäter Koszics und Drach wollen ja jeweils die eigene Rolle verkleinern und die des anderen vergrößern. So kommt es zwischen ihnen zu einem merkwürdigen Wettstreit, der von sich aus schon komisch wirkt. Außerdem scheint der bereits verurteilte Zeuge K. es dem Angeklagten D. sehr übel zu nehmen, in die Entführung hineingezogen worden, dann gescheitert zu sein und nun mit einer hohen Haftstrafe dazusitzen. Und K. will aller Welt deutlich machen, dass - wäre er der Haupttäter gewesen, der er nicht sei - die Sache geklappt hätte. Also versucht er nun, seinen Komplizen als Dilettanten hinzustellen. Koszics befremdliches Pathos des Berufsverbrechers - der seine Sache im Prinzip gut macht, wenn ihm nicht ein Dilettant hineinpfuscht - führt direkt in die Komödie. Ich als derjenige, mit dessen Leben damals gespielt wurde, kann das nur aushalten, wenn ich die Erinnerung in mir klein halte. Täte ich das nicht, könnte ich das alles kaum ertragen. Ich muss mir die Sache selbst von außen ansehen, so, als könnte ich mich auch darüber amüsieren.

DZ: Amüsieren Sie sich denn tatsächlich?

JPR: Ich bin verblüfft. Die Komik der Verhandlung entgeht mir nicht, doch sie wird gebremst durch all meine anderen Empfindungen. Das führt letztendlich zu einer emotionellen Kompromissbildung, meinem Erstaunen.

DZ: Die Komik in diesem Prozess liegt auch in der Banalität des Bösen.

JPR: Das Wort kommt aus einem anderen Zusammenhang, aber man kann vielleicht so viel sagen: Die innere Geschichte dieses Verbrechens, die ich in dem Buch »Im Keller« aufgeschrieben habe als derjenige, der es selbst erlebt hat, ist eine Geschichte von Schmerzen und Leid und Angst und Schrecken. Für diese extremen Emotionen sucht der, der die Geschichte erzählt, ein ähnlich extremes Äquivalent - in der Person des Täters. Er neigt also in der Fantasie dazu, den Täter zu dämonisieren, ihn größer zu machen, auch interessanter. Und wenn dann reihenweise banale Menschen auftreten, die selber die Dimension ihrer Tat nicht begreifen, dann entsteht jener Effekt, der das böse banal werden lässt, obwohl es das nie ist. Ein dämonischer Täter wird gesucht und nicht gefunden. Das ist eine Wahrnehmung, mit der Opfer von Verbrechen oft konfrontiert werden. Das, was die eigene Geschichte sucht, findet sie im Gerichtssaal nicht.

DZ: Damit müssen auch Sie jetzt leben.

JPR: Das gehört zu meiner privaten Entmythologisierung, zu Wiederaneignung von Realität.

DZ: In Ihrem Buch haben Sie von einer gefühlsmäßigen Nähe zum Täter, von dem Sie damals nur die Stimmen kannten, geschrieben. Können Sie das heute noch nachvollziehen?

JPR: Nein, natürlich nicht. Diese Regung entsprang einer Extremsituation, und gerade weil sie ebenso befremdlich ist wie typisch für solche Situationen, war es mir wichtig, sie später im Buch zu rekonstruieren. Damit man sie nicht pathologisiert. Wenn das eigene Leben von der Willkür anderer abhängig ist, sucht man nach Signalen, die das Überleben wahrscheinlich machen. Und es gehört dazu, sich als jemand zu erkennen zu geben, den man doch besser nicht umbringt. In einem so starken Machtgefälle ist das Suchen nach Sympathie eine normale Überlebensstrategie. Nur ist es wichtig, später - falls man überlebt hat - diese Regung wieder aus der Seele zu entfernen.

DZ: Und nun sitzt Drach als Angeklagter vor Ihnen, seiner Macht und seiner Maske entkleidet.....

JPR: ..... und wenn ich mich an damals erinnere, ekelt es mich. Und ich habe ihn sehr genau wiedererkannt - seine Mischung aus Selbstgefälligkeit und Selbstmitleid, sein Lamento, dass an den Problemen, die er sich selber aufgeladen hat, alle anderen Schuld sind. So hat er auch nach den gescheiterten Geldübergaben gesprochen. Persönlich gekränkt war er, wenn er wieder etwas verpfuscht hatte. Narzissmus und Empathielosigkeit, das habe ich im Keller auch so erlebt. Ich habe ihn damals ganz gut kennen gelernt während unserer paar Wortwechsel.

DZ: Sind Sie enttäuscht von ihm?

JPR: Bestimmte Seiten treten hervor, die ich damals nur ahnte und mir lieber nicht vorstellte. Etwa Drachs Infertilität, die sich in seinem Waffenfetischismus zeigt. Er läuft im Haus mit einer Pistole herum, geht zu den Geldübergaben mit einer Kalaschnikow, weil er Sorge hat die Polizei könnte auf ihn schießen. Eine Sorge, die er durch Herumtragen von Waffen zu entgehen hoffte. Die Leichtfertigkeit neben der Bösartigkeit, denn es hätte viel passieren können, das mich das Leben gekostet hätte, auch wenn die Täter es nicht gewollt hätten. Dabei die Selbstgerechtigkeit eines Verbrechers, der sich noch als strafmindernd anrechnen lassen möchte, dass er nicht getötet hat.

DZ: Besteht zwischen Ihnen und dem Angeklagten Drach noch eine Vertrautheit im Gerichtssaal?

JPR: Überhaupt nicht. Welch abwegige Vorstellung!

DZ: Würden Sie mit Ihren Entführern heute gerne ein Gespräch führen?

JPR: Ich wüsste nicht, worüber. Ich habe viel zu viel Zeit meines Lebens damit zubringen müssen, mit diesen Menschen Gespräche zu führen und mir über ihre Beschaffenheit Gedanken zu machen.




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