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BBA schrieb am 6.11. 2004 um 20:19:42 Uhr über

Lidl

Den BigBrotherAward 2004 in der Kategorie »Arbeitswelt« erhält die
Lidl Stiftung GmbH & Co. in Neckarsulm
vertreten durch ihren Gründer und die »Graue Eminenz« der Unternehmens-Gruppe, Dieter Schwarz

für den nahezu sklavenhalterischen Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Lidl zeigt, dass gar nicht immer neueste Technik gebraucht wird, um Menschen unter Kontrolle zu halten und sie als Leibeigene ohne Rechte und ohne Privatsphäre zu behandeln. Der »Fall Lidl« zeigt andererseits, dass »Datenschutz« nicht bedeutet, »Daten« um ihrer selbst willen zu schützen, sondern dass es um den Schutz von Menschen und ihren Persönlichkeitsrechten geht.
Lidl ist billig.

Deswegen werden viele Menschen nicht gerne hören, dass ihr günstiger Stamm-Supermarkt seine Preise mit menschenverachtenden Methoden drückt.

Die Meldungen, die uns aus dem Innenleben des Lidl-Konzerns erreichen, sind einfach unglaublich. Sie wirken mittelalterlich, zumindest vorindustriell, und unzivilisiert. Wir werden versuchen, Ihnen die Insider-Ansichten schonend beizubringen.

Dafür beginnen wir mit einer Rückblende: dem Future Store. Vielleicht erinnern Sie sich - in der Laudatio für die Metro Group letztes Jahr hatten wir ein wunderschönes Szenario vom Supermarkt der Zukunft entworfen:

»Die Supermarkt-Fachkraft Gerd J. ist begeistert von der neuen RFID-Technik. ... Als er abends nach Hause kommt, liegt dort ein Brief ... mit einer Abmahnung. Er sei in den vergangenen Wochen durchschnittlich 9 Mal auf der Toilette gewesen und habe dort pro Tag ca. 72 Minuten zugebracht. Das liege 27 Minuten über dem Soll und diese Zeit werde ihm zukünftig von seinem Arbeitszeitkonto abgezogen. Entsetzt sucht er seinen Supermarkt-Kittel ab und findet einen RFID im Kragensaum.«

Auch Lidl sind die wertvollen Minuten, die ihre Arbeitnehmer auf der Toilette verbringen, ein großes Ärgernis. Was in unserem Szenario vom letzten Jahr mit Hightech gelöst wurde, lässt sich jedoch viel einfacher und vor allem *billiger* regeln: Toilettengänge während der Arbeitszeit sind ganz einfach verboten - und Punkt.

Das ist kein Scherz. Das wurde aus Lidl Filialen in Tschechien berichtet.

Aber - so wurde berichtet -- es gibt Ausnahmen, denn man ist ja kein Unmensch: Weibliche Mitarbeiterinnen, die gerade "ihre Tage. haben, dürfen demnach auch zwischendurch auf Toilette. Für dieses Privileg allerdings sollen sie . weithin sichtbar . ein Stirnband tragen. Eine Preisgabe persönlicher Daten ganz ohne Computer und Digitalisierung.

Schon deshalb: Eine einfache Lösung. Und vor allem: billig.

Unverständlich, warum die Presse in Tschechien sich so über die deutsche Supermarktkette empörte.

Die Lebensmittelzeitung, die führende Wochenzeitung für den Handel, berichtet, dass Lidl die skandalöse Stirnbandvorschrift inzwischen aufgehoben hat.

»UNI commerce« - eine internationale Gewerkschaft für Menschen, die in multinationalen Konzernen arbeiten - hat den Fall Ende September beim so genannten »Sozialen Dialog« der EU in Brüssel zur Sprache gebracht und hat Lidl aufgefordert, sich bei den Arbeiterinnen in Tschechien zu entschuldigen. Lidl dementiert und sagt, das sei nur ein Gerücht.

Denken Sie bloß nicht, solche Vorkommnisse würden uns nur aus Tschechien gemeldet! Die folgenden Meldungen stammen aus Deutschland:

+++ Bielefeld, Ende August 2004. Bei den BigBigBrotherAwards geht eine anonyme Nominierung des Lidl Konzerns ein. Persönliche Treffen von Arbeitnehmer/innen während ihrer Freizeit seine Anlaß zur Kündigung sein. Das bringt einen Stein ins Rollen. Die BigBrotherAwards-Jury beginnt zu recherchieren.

+++ Raum Nürnberg. Die stellvertretende Leiterin einer Lidl-Filiale kündigt, nachdem sie drei Stunden lang einem Kreuzverhör der Vertriebsleitung ausgesetzt war. Offiziell wurde der Mitarbeiterin der Diebstahl von 12,50 Euro Pfandgeld vorgeworfen. Sie selbst habe keinen Zeugen oder Anwalt zum Gespräch hinzu bitten dürfen, sagt sie in einem Presseinterview. Der anwesende Revisor diktiert ihr die Worte der Kündigung, die sie noch vor Ort schreibt. »Mir wurde gedroht. Der psychische Druck war so groß, dass ich in der Situation sogar mein Todesurteil unterschrieben hätte«, sagt sie gegenüber einem Journalisten. Sie selbst hatte jahrelang täglich gerne eine bis anderthalb unbezahlte Überstunden für Lidl geleistet. Vor sechs Jahren allerdings hatte sie sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre Überstunden bezahlt bekamen.. +++

+++ Ansbach. Mitarbeiterinnen der Lidl-Filiale bekommen ihre Arbeitszeit exakt bis 20 Uhr bezahlt. Üblicherweise haben sie aber bis kurz vor 22 Uhr zu tun. Die Frühschicht beginnt um 6 Uhr - bezahlt wird erst ab halb acht. Lidl bezeichnet diese Überstunden als »freiwillige Vor- und Nacharbeiten«. +++

+++ Schleswig-Holstein. In einer Zusatzvereinbarung zu einem Lidl-Arbeitsvertrag findet sich die Formulierung: »Dem Arbeitgeber wird das Recht eingeräumt, Taschenkontrollen durchzuführen.« Mehrere Lidl-Beschäftigte erzählen der Gewerkschaft ver.di anonym, dass sie während einer Krankheitsphase zu Hause von Lidl-Verkaufsleitern aufgesucht worden seien. +++

+++ Raum Nürnberg. An der Pfandkasse einer Lidl-Filiale wurde eine Videokamera installiert. Selbst der Marktleiter und seine Stellvertreterin wurden darüber nicht informiert. Den beiden fiel ein bisher unbemerktes Loch in der Decke auf, nachdem sie an einem Morgen in ihre Filiale kamen und alle Türen anders verriegelt waren als sonst. Zunächst vermuteten sie einen Einbruch und meldeten ihre Beobachtung der Zentrale. Die Vertriebsleiterin versuchte daraufhin, den Einbau der Kameras zu vertuschen. Wer die Aufzeichnungen zu sehen bekommt und wann sie gelöscht werden, ist völlig unklar. Betriebsräte in den 2500 Lidl-Filialen - eigentlich zuständig für solche Fragen - wurden nach Angaben der Gewerkschaft ver.di »vom Unternehmen bislang gezielt und mit härtesten Mitteln verhindert.« +++

+++ Saarland. Nach Auskunft der Gewerkschaft ver.di wurden in Lidl-Filialen Babyphones gefunden, die in Aufenthaltsräumen oder in der Nähe von Telefonen aufgestellt worden waren. Gleichzeitig sei vor der Filiale ein Auto gesehen worden, das evtl. einem Vertriebsleiter gehöre, so ver.di. Man vermutet, dass in diesem Auto Gespräche mitgehört wurden. +++

+++ November 2003. Ehemalige Verkaufsleiter des Lidl-Konzerns berichten, sie seien angewiesen worden, alle zwei Wochen die Hand- und Manteltaschen sowie Kofferräume und Handschuhfächer der Autos ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kontrollieren. +++

+++ Raum Nürnberg. Seit Januar 2004 werden die Mitarbeiterinnen einer Lidl-Filiale mit Testkäufen und Kontrollen nachgerade überzogen. Diese Vorwürfe erhebt eine stellvertretende Filialleiterin, die nach eigenen Angaben zur Kündigung gedrängt wurde. Andere Beschäftigte bestätigen der Gewerkschaft ver.di, dass Testkäufe mit eingebauten Fallen ein übliches Mittel seien, Beschäftigte der höheren Gehaltsstufen oder Gewerkschaftsmitglieder aus dem Job zu drängen. +++
Aber: Lidl ist billig.

Nicht nur Arbeitnehmer sind Kostenfaktoren, auch Steuern gehören zu den lästigen Begleiterscheinungen des unternehmerischen Engagements. Und in diesem Zusammenhang kann man wirklich nicht sagen, dass Lidl Privatsphäre generell nicht wichtig wäre.

So gehört auch Lidl zu den rund 460 Firmen, die sich mit einem Briefkasten in dem nordfriesischen Dorf Norderfriedrichskoog angesiedelt haben, zufälligerweise ein Ort, an dem es bis zu diesem Jahr keine Gewerbesteuer gab. Man firmiert dort ganz neutral unter dem Namen Alpha Finanz GmbH.

Lidl bzw. die Unternehmensgruppe Schwarz ist ein unübersehbares Firmenimperium aus etwa 600 Einzelfirmen und Stiftungen. Durch die Aufteilung in so viele Einzelfirmen entsteht ein äußerst unübersichtliches Firmenkonstrukt, mit dem sich etliche Tochterfirmen der gesetzlich vorgeschriebenen Publizitätpflicht entziehen.

Es gibt keine Veröffentlichung irgendwelcher Firmendetails. Bei Lidl sind nicht nur die Bilanzen, sondern sogar die Anzahl der Filialen Geheimsache.

Und seine eigene Privatsphäre ist Herrn Schwarz, dem Herren über das Lidl-Imperium, lieb und teuer. Besonders achtet er darauf, dass es keine Fotos von ihm gibt -- aus diesem Grund hat er auch schon auf die Anwesenheit bei schmeichelhafteren Preisverleihungen als den BigBrotherAwards verzichtet.
Lidl ist billig.

Und Lidl kennzeichnet mit seiner Unternehmenspolitik eine Tendenz, die in den vergangenen Monaten mit schwächelnder Konjunktur auch von anderen führenden Konzernvertretern immer wieder geäußert wurde: Umweltschutz, Menschenrechte, Persönlichkeitsrechte, Meinungsfreiheit, Arbeitnehmerrechte, demokratische Grundrechte - das alles ist teurer Schnickschnack, den sich die Wirtschaft nicht mehr leisten will.

Wir aber sollten uns fragen: Wollen wir uns im 21. Jahrhundert diese Wirtschaft leisten? Können wir uns leisten, so billig einzukaufen? Ist es uns diesen Preis wert? Den Preis, den Menschen zahlen, die ihre Bürgerrechte am Fabriktor beim Pförtner abgeben müssen, um ihre Jobs zu behalten? Diese Frage sollte sich jede Kundin und jeder Kunde selbst stellen.

Herzlichen Glückwunsch, liebe Lidl Stiftung!




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