Unser eigener Voilà-Effekt
Das Pentagon setzt auf zivilen Ungehorsam im
Irak. Vorbildlich - das sollten auch
wir tun, aber nicht für, sondern gegen den Krieg.
NAOMI KLEINS KOLUMNE
Im Pentagon nennen sie es den Voilà-Moment. Er wird
eintreten, wenn die Bomben auf Bagdad
herunterprasseln und die Iraker plötzlich und endlich
kapieren: Diese Bomben sollen gar nicht mich und
meine Familie umbringen - sie sollen uns von einem
bösen Diktator befreien! Und dann danken sie Uncle
Sam, legen ihre Waffen nieder und machen den
Aufstand gegen Saddam Hussein. Voilà!
So jedenfalls soll es funktionieren, sagen die Experten
für »psychologische Kriegsführung«, die schon seit
geraumer Zeit im Irak einen verbissenen
Informationskrieg führen. Der »Voilà-Moment« hat die
Kriegssprache im Sturm genommen, seit am
24. Februar die New York Times einen höheren
Repräsentanten des US-Militärs, der anonym bleiben
wollte, mit diesem Ausdruck zitierte.
Das Einstreuen solcher Bonmots in den Militärjargon
könnte zu den Plänen von Außenminister Colin Powell
gehört haben, als er die Franzosen im UN-Sicherheitsrat
doch noch auf seine Seite ziehen wollte.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Vokabel mit
der Neigung der Bush-Administration zu tun hat, Leute
aus der Werbeindustrie als außenpolitische Berater
anzuheuern - klingt »Voilà-Moment« nicht verdächtig nach
dem »Wow-Faktor«, den die Werbefritzen schon
zahllosen Managern als Schlüssel zum Aufbau eines
starken Markennamens verkauft haben?
Doch egal wo das Wort herkommt, das Pentagon hat
nun mal den Voilà-Faktor zu seiner Geheimwaffe
erkoren und scheut keine Kosten, sie in das gewünschte
Ziel zu bringen. Per Fallschirm abgeworfene
Radioempfänger tragen die Propaganda bis in den
letzten Winkel des Saddam-Hussein-Landes. Irakische
Geschäftsleute, Offiziere und Funktionäre werden per
E-Mail und per Telefon mit der Aufforderung
bombardiert, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Kampfflugzeuge haben mehr als acht Millionen
Flugblätter abgeworfen, die den irakischen Soldaten klar
machen, dass sie mit dem Leben davonkommen
werden, wenn sie ihre Waffen niederlegen. "Die
Botschaft zielt direkt auf den Mann am
Maschinengewehr", meint Generalleutnant T. Michael
Moseley, der Oberbefehlshaber der alliierten Luftwaffe in
der Golfregion.
Nach Auskunft des von der New York Times zitierten
Offiziers ist der Voilà-Moment für das
US-Oberkommando dann gekommen, wenn "wir sehen,
wie die Leute der (irakischen) Führung den Gehorsam
aufkündigen". Mit anderen Worten: Die US-Militärs
wünschen zivilen Ungehorsam auf breiter Front. Wird
das funktionieren? Ich bin skeptisch. Schließlich hat es
einen solchen Voilà-Moment schon mal gegeben: im
Golfkrieg von 1991. Damals verließen sich viele Iraker,
die in der Nähe der kuwaitischen Grenze lebten, auf das
Versprechen der USA, man werde sie bei einer Revolte
gegen Saddam unterstützen. Kurz darauf mussten die
Aufständischen erleben, dass die US-Streitkräfte rein
gar nichts unternahmen, um sie vor einem Massaker zu
retten. In der neuen Pentagon-Sprache könnte man das
den »Wir haben euch vergessen-« oder »Oublié-Moment«
nennen.
Aber das ganze Voilà-Gerede bringt mich auf einen
anderen Gedanken: Der zivile Ungehorsam, den die
US-Militärs im Irak zu provozieren hoffen, ist genau das
Rezept, mit dem die Antikriegsbewegung das drohende
Zerstörungswerk tatsächlich noch aufhalten könnte. Was
müssten die vielen Menschen - in den USA, in
Großbritannien, Italien, Kanada und überhaupt in allen
Ländern, die bei diesem Krieg mitmachen - praktisch
tun, um ihren Regierungen wirksam den Gehorsam zu
verweigern? Könnten wir nicht hier - an der »Heimatfront«
- tausendfach unsere eigenen Voilà-Momente
produzieren?
Vor dieser Frage steht die weltweite
Antikriegsbewegung seit den eindrucksvollen
Demonstrationen vom 15. Februar. Während des
Vietnamkriegs entschlossen sich tausende junge
Amerikaner, ihrer politischen Führung die Gefolgschaft
aufzukündigen, indem sie einfach den Wehrdienst
verweigerten, bis dieser Krieg am Ende innenpolitisch
nicht mehr zu verkaufen war.
Wie werden die Aktionen der heutigen aktiven
Kriegsverweigerer aussehen? In Italien haben sie eine
Woche lang dutzende von Zügen aufgehalten, die US-
amerikanische Waffen und Soldaten zu einem
Militärstützpunkt in der Nähe von Pisa transportieren
sollten. Und italienische Hafenarbeiter weigerten sich,
militärische Fracht zu verladen. Auch in Deutschland
haben Demonstranten zwei US-Militärbasen blockiert.
Und in San Francisco gibt es sogar ein Bündnis von
Antikriegsgruppen, das für den Tag nach Kriegsbeginn
zu einem gewaltlosen »Gegenschlag« aufruft: "Geht nicht
zur Arbeit oder zur Schule. Meldet euch krank oder geht
nach Hause. Wir werden das normale Leben zum
Stillstand bringen, bis der Krieg zu Ende ist. Damit die
Sache wirklich teuer wird, auf ökonomischer,
gesellschaftlicher und politischer Ebene."
Eine wirklich starke Idee: Die Friedensbomben sollen
überall dort einschlagen, wo man aus dem Krieg Profit
machen will - an den Tankstellen, in den
Rüstungsbetrieben, bei raketenseligen Fernsehsendern.
Die Strategie wird den Krieg kaum aufhalten können,
aber sie könnte immerhin demonstrieren, dass es Leute
gibt, die eine konsequente Position zwischen Falken
und Hippies nicht nur beziehen, sondern auch
praktizieren: durch militanten Widerstand zur
Verteidigung des Lebens.
Eine solche Eskalation des Krieges gegen den Krieg
werden einige vielleicht als extremes Konzept sehen.
Sollte man es nicht doch lieber mit weiteren
Demonstrationen versuchen, die immer mehr Menschen
anziehen, bis man sie nicht mehr ignorieren kann?
Allerdings sollten wir inzwischen gelernt haben, dass
unsere Politiker jede Protestbewegung ignorieren, egal
wie groß sie ist. Denn diese Leute wissen ja ohnehin,
dass die öffentliche Meinung in den meisten Ländern der
Welt gegen diesen Krieg eingestellt ist.
Aber eines wollen unsere Politiker genauer wissen,
bevor die ersten Bomben fallen: Ist die
Antikriegsstimmung »hart« oder »weich«? Die
entscheidende Frage lautet demnach nicht, ob die
Kriegsfrage für die Menschen wichtig ist, sondern wie
wichtig sie ist. Geht es lediglich um ein modisches
Friedensempfinden, das bis zu den nächsten Wahlen
wieder vergessen ist? Oder geht es um etwas, das tiefer
sitzt und beständiger ist - und das man vielleicht als
»Voilà«-Engagement bezeichnen könnte?
Die Bandbreite des Engagements gegen den Krieg
reicht von der Firma Levis, die von der
Friedenspräferenz der Europäer profitieren will, indem
sie eine limitierte Partie von Teddybären auf den Markt
wirft, die statt Knopf ein Friedenssymbol im Ohr haben.
Einen Friedensbären, den man knuddeln kann, wenn
man sich daheim auf dem Sofa von CNN mit den
neuesten Schreckensmeldungen terrorisieren lässt.
Aber man kann den Fernseher auch ausschalten und
etwas unternehmen, um den Krieg zu stoppen. " NAOMI
KLEIN
Aus dem Amerikanischen von Niels Kadritzke
taz Nr. 7008 vom 19.3.2003, Seite 12, 241 Zeilen
(Kommentar), NAOMI KLEIN, ta
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