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ich muß los schrieb am 10.4. 2003 um 22:17:59 Uhr über

Groschenromane


er traf sie in einem supermarkt, in den er sonst nie ging. zufällig war er daran vorbeigekommen, hatte spanischen sekt im sonderangebot gesehen und war hineingegangen. an der wursttheke suchte er nach fleischwurst für den angelausflug. heute ganz frisch reingekommen, sagte die verkäuferin. wieso, fragte dorst, ist das etwas besonderes. kriegen sie sonst die wurst nur alle paar tage. der verkäuferin fehlten am ringfinger die oberen glieder bis zum knöchel. die schneidemaschine aus stahl hinter ihr schien eine deutliche sprache zu sprechen, aber vielleicht war ja auch alles ganz anders, vielleicht gehörte sie einer sekte an, die neuen mitgliedern die finger beschnitten, oder jemand hatte sie nachts auf der straße überfallen und ihr das portemonnaie aus der hand geschnitten, oder sie hatte als kind nicht geige lernen wollen und sich deswegen den finger abgenommen. dorst breute seine strenge. die verkäuferin war errötet und sagte, nein, also ich meinte natürlich heute wie immer. ganz frisch. dann geben sie mir doch ein gutes stück, sagte dorst versöhnlich und drehte sich um. da stand elner versunken an der tiefkühltruhe. sie studierte serviervorschläge auf tiefgefrorenem rahmspinat.
dorst dachte an das erste essen, das sie für ihn gekocht hatte, eine spinatquiche. elner kochte großzügig. die zutaten türmten sich auf dem küchentisch, auf stühlen und anrichten. sie benutzte alle zehn finger zum umrühren und abschmecken. vom salat riß sie alle blätter ab, die ihr nicht gefielen. das dressing mischte sie in einem marmeladenglas, drehte den schraubverschluß fest zu und schüttelte es in einem sanften rhythmus durch die luft. damit die essigmoleküle zu den ölmolekülen finden, sagte sie. wenn sie am markt vorbeikam, kaufte sie einen ganzen rucksack voller gemüse, aber oft lief sie auch durch den supermarkt, griff nach rechts und links in die regale und warf zu hause alles in eine pfanne. die spinatquiche hatte sie aus tiefgefrorenem spinat gemacht, der sich nicht aus der packung lösen wollte. dorst fand in seinem stück zwei durchgebackene pappfetzen. während elner kochte, redete sie mit dorst, der im zimmer nebenan keramikeulen vom regal hob, zeitungsstapel umschichtete und sich probeweise auf den schaukelstuhl setzte. elners haar lag dick in ihrer stirn. sie fragte viel. weil sie in der küche war und dorst nicht sehen konnte, zog er die schultern hoch. manche antworten fielen ihm nicht ein, aber sein schweigen wurde von anbratenden zwiebeln überdeckt. schließlich sagte er, ich bin froh, hier zu sein. was, rief elner, was hast du gesagt. ich habe hunger, sagte er.
sie brachte alles an den eßtisch, unter dessen eines bein ein brettchen geschoben war. sie füllte wein in saftgläser. ihr gesicht war verschwitzt. sie stießen an. zwei weinwellen entstanden und schwappten über die ränder. jetzt erzähl ich dir mal was, sagte dorst und dachte nach. er wollte ihr etwas heiteres erzählen, eine geschichte aus seinem leben. also wenn du so lange nachdenken mußt, sagte elner. einmal bin ich mit meinem freund durch die lande gefahren, sagte dorst, einfach so, mit den fahrrädern, quer durch die felder. es war schon fast abend, die sonne war niedrig und mild. der himmel war irgendwie komisch. wie irgendwie, fragte elner. irgendwie schummrig, sagte dorst, neblig, ein bißchen dunstig. die sonne hing in dunstigen schwaden und schien so vor sich hin. und plötzlich waren da zwei sonnen. direkt neben der einen hing auf einmal noch eine, genauso rund, genauso dunstig. verstehst du, zwei sonnen. zweimal abendsonne. sonnenuntergang mal zwei. gregor und ich, wir sind von den rädern abgestiegen und standen da, mitten im weizen, auf einem feldweg, und haben die beiden sonnen angestarrt. zuerst dachte ich natürlich, ich seh nicht recht. gut, daß gregor auch da war. wir haben es zusammen gesehen. wir standen neben den rädern, vor uns dieses sonnenpaar, und plötzlich haben wir laut gebrüllt vor freude, ist ja irre, unglaublich, das muß ein wunder sein. und war es ein wunder, sagte elner. es gibt wohl so etwas, sagte dorst, durch das licht und die brechung, frag mich nicht, eine optische täuschung. aber das war uns egal, wir wußten es ja auch gar nicht. für uns war es eine doppelsonne. wer ist denn gregor, fragte elner. darum geht es gar nicht, sagte dorst. erzählst du mir später von ihm, fragte sie. dorst stellte das saftglas ab, streckte die hand aus und legte den zeigefinger auf elners lippen. sie waren feucht vom wein und hatten einen feinen grünen spinatrand.

dorst schob seinen einkaufswagen von hinten sachte in elners hüfte. elner drehte sich um, in der hand eine frostige spinatpackung. ach nein, sagte sie und ließ den spinat sinken. der spanische sekt ist im sonderangebot, sagte dorst, legte den kopf schräg und wartete. entschuldigung, sie da, sagte hinter ihnen jemand laut. sie drehten sich um. ein bärtiger einkäufer, der aussah wie ein deutschlehrer, drängte sich an ihnen vorbei zu einer frau am gewürzregal. zeigen sie mal ihre taschen, sagte der deutschlehrer laut, ihre taschen bitte. wieso denn, fragte die schmale frau und erbleichte, was wollen sie. ihre taschen, sagte der deutschlehrer und setzte seinen einkaufskorb ab, in dem ein paket spaghetti und dosenpilze lagen. gut getarnt, meinte dorst zu elner, die im gesicht schwitzte. dorst wußte, daß sie sich heftig für andere schämen konnte. als ob ich selbst dran wäre, hatte sie einmal zu ihm gesagt, es krempelt mich um, immer sieht man mir alles an. elner faßte den spinat fester und schwitzte zwischen den augen. was wollen sie, sagte die schmale frau wieder. der deutschlehrer trat dicht an sie heran und sagte laut, direkt ins ohr, stellen sie das zurück, sofort. danach bitte ins büro, anzeige und hausverbot. kann er das nicht leiser machen, sagte elner. dorst streckte eine hand aus und strich ihr den schweiß von der nase. die schmale frau holte gewürzdosen aus der linken manteltasche, kümmel, koriander, ein plastikrohr mit vanillestangen. ich wollte das doch bezahlen, sagte sie, was denken sie denn, es gab keine einkaufskörbe mehr, das können sie mal dem manager ausrichten, ich bin doch keine. sie konnte nicht weitersprechen, weinte aber nicht. ich bezahle das, sagte elner, lassen sie die frau doch in ruhe. halten sie sich da raus, sagte der deutschlehrer und nahm die schmale frau am arm, lassen sie uns bitte durch. dabei war genügend platz zwischen den tiefkühltruhen. komm, sagte dorst. jetzt warte doch mal, sagte elner. sie sah der schmalen frau hinterher, die ihre hand fest auf die prall gewölbte manteltasche gelegt hatte.
elner und dorst gingen zur kasse. an der kiste mit überraschungseiern beim ausgang stand ein mann, den aktenkoffer zwischen den füßen, hob ein ei nach dem anderen hoch, führte es andächtig zum ohr und lauschte dem klappern. auf der straße zog elner ein rohr mit vanillestangen aus der tasche. hab ich geklaut, sagte sie trotzig.
sie gingen nach hause, ohne sich anzuschauen. dorst hielt sich mit den tüten hinter elner. an der haustür brach ein papiergriff. dorst türmte sich die sachen auf den arm und sagte über den spinat hinweg, kann ich reinkommen. elner war schon auf der treppe. willst du meine zucht sehen? rief sie von oben. dorst trug die geborstene tüte bis in die küche. da, sagte sie und zeigte auf die fensterbank. in leeren honiggläsern hingen avocadokerne, auf zahnstocher gespießt. ihre nackten, runden unterseiten badeten im wasser. sie hatten weiße wurzeln getrieben. das werden alles avocadobäume, sagte elner. ihr gesicht war immer noch rot. sie beugte sich über die sprießenden kerne. daneben standen das keramikschaf, dem ein pelz aus kresse wuchs, und ein bäumchen mit walnußgroßen apfelsinen. dorst hatte einmal versucht, eine zu schälen, aber als er die schale auseinanderlegte, war in der mitte nur ein duftender schleim. schön, sagte dorst, stellte sich neben die avocadogläser und faßte elners ellenbogen, die werden was.




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