Diese Bilder müssen nicht wahr sein! Was in Traumaexpositionen hoch kommt, ist nicht
immer wahr im juristischen Sinne! Es ist bis heute nicht klar auseinander zu halten, was nun
reale Erinnerungen sind und was Verarbeitung, das macht die juristische Arbeit sehr schwer.
Wenn Sie verstanden haben, daß Traumaarbeit immer das Verträumen von traumatischen
Erfahrungen beinhaltet, dann können Sie sich denken, daß es gut ist, wenn jemand die
traumatische Szene verändert, daß es dafür aber die Gerichtsaussage schwächt. Also: Was
in Traumaarbeit hochkommt, ist seelisch richtig, und viele Patienten haben auch ein gutes
Gespür, was wohl so gewesen ist und wo sie vielleicht besser etwas mißtrauisch sind, was
vielleicht eine Traumverarbeitung ist. Aber es kann den Blick radikal und schnell verändern.
Das bedeutet auch, daß Traumaexposition nicht gemacht werden darf, wenn es
irgendwelche Täterkontakte gibt, und auch nicht, wenn die Leute in mißbrauchenden
Beziehungen leben; denn dann brauchen die ihre Dissoziationsfähigkeit. Die müssen Abstand
halten können, die müssen aus dem Körper raus gehen können, die müssen in der Lage sein
wegzudenken, und diese Fähigkeit wird durch diese Art der Traumatherapie massiv
geschwächt. Die Dissoziationsfähigkeit wird bearbeitet, steht dann aber auch nicht mehr zur
Verfügung. Dieses therapeutische Vorgehen ist hochwirksam, es ist geeignet, Intrusionen
und Flash-backs zu Erinnerungen umzuwandeln, mit allen Konsequenzen, die daraus
erwachsen: möglicherweise mit Problemen mit nahen Bezugspersonen oder mit
Erinnerungen, die man vielleicht gerne wieder los werden und ganz schnell verdrängt möchte
- und das geht dann nicht.
Wir haben jetzt noch 5 Minuten zu Fragen zum therapeutischen Vorgehen:
Die Behandlung ist, wie gesagt sehr simpel, das beinhaltet aber auch, daß das, was wir auf
Station machen, keine abgeschlossene Psychotherapie ist. Wenn jemand sagt: "Ja, ich habe
aber auch noch so viel Schwierigkeiten mit meinem Schulden.", dann hat die Sozialarbeiterin
die Aufgabe, die Schuldnerberatung am Wohnort ausfindig zu machen und mit der Patientin
irgendeinen Modus zu finden, so daß die äußere Realität sie nicht dabei stört, ihre Traumata
aufzuarbeiten. Das ist eine Überforderung: Nach außen die Abwehr hoch zu fahren und
gleichzeitig nach innen die Abwehr runter zu fahren, das widerspricht sich. Ich kann nicht mit
einer Patientin Montag eine Traumaexposition, machen und Dienstag oder Donnerstag hat
die ein Vorstellungsgespräch, das geht nicht.
Die ambulante Arbeit, wie sie von Frau Huber beispielsweise bei sehr stark traumatisierten
Dissoziativen durchgeführt wird, und die Traumaexpositionsarbeit, wie ich sie hier dargestellt
habe, ist ambulant gut durchführbar und machbar, wenn Sie es schaffen, so etwas ähnliches
wie eine häusliche Station nach der Traumaexposition herzustellen, daran hängt alles. Das
bedeutet: Die Traumaexpositionen liegen günstigerweise am Nachmittag, man braucht
meistens 1 ½ Stunden, und wenn der Prozeß nicht so richtig abgeschlossen werden kann,
dann muß man meistens noch Zeit anhängen. Man kann dann nicht sagen: "Also jetzt ist
unsere Zeit zu Ende und egal wie es Ihnen geht, wir können dann in drei Wochen
weiterarbeiten, ich mache gerade Urlaub." Der Prozeß muß abgeschlossen sein. Die
Patientin kann anschließend auch nicht alleine Auto fahren. Die Patientinnen sind hinterher an
der Grenze zur Bettlägrigkeit, die liegen oft im Bett und sind vergrippt und krank. Sie
können den Zustand einer Patientin nach Traumaexpositionen sehr gut vergleichen mit dem
Zustand einer Patientin mitten im Entzug, das ist ganz ähnlich: dünnhäutig, reizbar, latent
aggressiv, grübeln, alle Gedanken gehen durcheinander. Es muß zu Hause ein bestimmtes
Ambiente sein: vielleicht kann die Patientin bei einer Freundin übernachten, die sie unterstützt
und sie ein bißchen betüdelt, Tee kocht, irgendwelche Videos sehen, die ablenken,
spazieren gehen, Beine hochlegen. Es geht nicht, daß eine Mutter von zwei Kindern
Traumaexposition macht und abends dann die Kinder versorgt, die sowieso schon aufgeregt
sind. Ansonsten ist das gut ambulant durchführbar.
Das alles herzustellen ist aber oft gar nicht so einfach; denn Menschen mit posttraumatischen
Zuständen tendieren dazu, in ihren Beziehungen die Traumatisierungen zu wiederholen, und
deshalb erfordert das oft viel Arbeit. Aber ansonsten sind diese Vorgehensweisen auch
ambulant durchführbar; in den USA werden sie sowieso nur ambulant durchgeführt, was ich
an der Grenze des Vertretbaren ansehe; aber das amerikanische Gesundheitssystem ist
sowieso nicht vorbildlich.
Die Frage der salutogenetischen Faktoren ist natürlich in der Prävention und in der
Behandlung ausgesprochen wichtig. Ich kann allgemein etwas zu salutogenetischen Faktoren
bei Traumatisierungen sagen. Das eine ist die Frage, ob man in der Zeit danach nahe
Bezugspersonen hat, also eine Gruppe, die einen auffängt, in der dieses drüber Reden, sich
Ablenken, sich sicher Fühlen, träumen Können möglich ist. Zum zweiten ist es natürlich so,
daß Menschen, die im Leben an sich relativ sicher sind, davon nicht so aus der Bahn
geworfen werden, aber hier muß man auch unterscheiden: Es gibt eine Untersuchung bei
älteren Menschen, die eine lebensbedrohliche Erkrankung bekamen. Unter ihnen gab es
zwei Gruppen, die besonders verletzlich waren: Einmal die sogenannten Verwöhnten, die
noch nie im Leben so richtig mal in Lebensgefahr waren oder denen es auch mal wirklich
schlecht ging und eine zweite Gruppe, die hingegen wieder zu viel von diesen Dingen erlebt
hatten. Diese beiden Gruppen waren am verletzlichsten, also diejenigen, für die eigentlich
Lebensgefahr und Trauma gar nicht vorkommt, die das in ihrem inneren Schema gar nicht so
haben, und diejenigen, für die das ganze Leben ein einziges Trauma ist. Diese beiden
Gruppen sind am verletzlichsten.
Der wichtigste salutogenetische Faktor ist Religiösität im weitesten Sinne, d. h. Menschen,
die - egal was passiert - einen Lebenssinn aufrechterhalten können, werden mit Traumata
viel besser fertig als Menschen, die kein Konzept haben für Traumatisierung. Das ist z.B.
der Fall gewesen in den Konzentrationslagern: Diejenigen, die als Zeugen Jehovas oder als
Christen interniert waren oder auch aus politischen Gründen und für die dieser Aufenthalt
irgendeinen Sinn machte, die untergebracht waren, weil sie Feinde und Gegner des Systems
waren, diese Menschen haben diese Situation viel besser verkraftet und überstanden als
Menschen, die plötzlich verfehmt und Außenseiter waren, völlig willkürlich, und für die diese
Situation einfach der reine Terror war. Menschen, die irgendein Konzept haben, ein
seelisches Konzept, bei dem Sinnfragen gestellt werden können und das ihnen dann eine
aktive Sinngebung in Bezug auf ein schlimmes Ereignis ermöglicht, die haben es im
allgemeinen leichter, das zu integrieren.
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