Warum soll man sich das Leben nicht einfacher machen, als es ist? Auch wenn
die Vereinfachung selbst ganz schön kompliziert sein kann, so steckt sie doch
voller Verlockungen. Für jemanden, der viel und vieles schreiben muss, ist die
Schreiberei selber ganz schön nervig, vor allem solange man das Gefühl hat,
man denke um einiges schneller, als man den Gedanken aufzeichnen kann.
Und wer legt im Übrigen nicht gern die Hände in den Schoß?
Deshalb habe ich meinen Bekannten stets aufmerksam zugehört, wenn
jemand von den Spracherkennungsprogrammen auf seinem Computer
erzählte. Am Anfang klangen diese Nachrichten zumeist sehr enthusiastisch;
wenn man etwas später nachfragte, wurden die Berichte allerdings immer
nüchterner; nach einigen Wochen gaben nicht wenige zu, dass sie die
Benutzung dieser Programme eingestellt hätten. Aber darf man alles
glauben? Muss man es nicht selbst prüfen?
Also ging ich auf den Selbsterfahrungstrip - und zwar mit der Software
Dragon Naturally Speaking 5. Das Programm mit dem Drachen ist so schnell
installiert wie irgendein anderes. Dann aber will es erzogen werden. Dazu
muss man ihm zunächst einmal einen auf dem Bildschirm angezeigten Text
vorlesen, auf dass es sich den Sprecher einpräge. (Jede andere Person, die
am selben Computer arbeitet, muss das Gleiche tun.) Hier gilt es nun, einiges
zu beachten: Zunächst einmal muss man möglichst normal sprechen, darf also
weder in der Morgenfrühe besonders artikuliert und eindringlich reden, noch
sollte man diese Lesestunde in den späten Abend und hinter die zweite
Flasche Wein verlegen. Im ersten Falle richtet der Computer sich auf einen
kunstvollen Sprecher im Stile Gerd Westphals ein, den er im Alltag nie wieder
zu hören bekommen wird; im zweiten Fall käme ihm der Nutzer im Laufe des
nächsten Tages wie ein regelrechter Burgschauspieler vor. Nein, man soll also
wirklich so reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Ganz schön
schwierig, so bewusst normal daherzureden. (Später wird klarer, warum
diese Regel sinnvoll ist: Jeder Versuch, dem Gerät ein neues Wort
beizubringen, scheitert umso gründlicher, je deutlicher und ungeduldiger man
auf die richtige Schreibweise dringt.) Man sollte wirklich die Zeit aufwenden,
alle auf dem Bildschirm angebotenen Lesetexte nach und nach
aufzusprechen, vielleicht sogar mehrmals. Das System arbeitet dann
tatsächlich etwas, manchmal sogar deutlich besser.
Der Computer muss mühsam erzogen werden
Daraus folgt eine vom normalen Erziehungswesen abweichende Regel:
Anders als bei den eigenen Kindern stimmt beim Spracherkennungsprogramm
noch die Relation zwischen Aufwand und Nutzen der investierten
Erziehungsarbeit. Es lohnt sich also jedes Mal, dem Programm unbekannte
Wörter neu einzugeben und aufzusprechen. Auch sollte man, was mit diesem
Programm ganz einfach möglich ist, seine gesamten gespeicherten Dateien
nach Vokabeln durchsuchen lassen, die dem im Programm schon enthaltenen
Thesaurus fremd sein könnten; wirklich von Nutzen ist diese Übung allerdings
nur dann, wenn man die als unbekannt definierten Worte auch einzeln
phonetisch mit dem System trainiert. Und dann noch einen Rat: Man sollte
sich selbst durchaus die Möglichkeiten antrainieren, das
Spracherkennungsprogramm nicht über die Tastatur zu steuern, sondern
sämtliche Befehle übers Mikrofon einzugeben. Dann hat man nämlich wirklich
die Hände frei.
Kommen wir zur entscheidenden Frage: Was hat man denn eigentlich davon?
Ganz ohne Ironie gesagt: Natürlich ist solch ein System vor allem für
Menschen von Nutzen, denen das Schicksal den Gebrauch der zehn Finger
verwehrt hat, sei es in Folge eines Unfalls oder von Anbeginn des Lebens an.
Aber für uns Normalos? Ein vorläufiger Eindruck: Man kann mit den befreiten
Händen beim Diktieren Aktenstücke halten. Oder man schaut statt auf den
Bildschirm aus dem Fenster. Ansonsten hängt der Nutzen zunächst einmal ab
von der Textgattung, die man produziert, zum anderen davon, wie druckreif
zu denken und zu sprechen man sich einbildet. Für routinemäßige Post und
andere Notizen ist das System besser zu nutzen als für komplizierte
Gedankengänge, in denen man ohnedies immer wieder herumfummeln
möchte. Vielleicht ganz brauchbar ist die Sache, wenn man längere Texte aus
irgendeinem Buch zitieren und nicht dauernd mit dem Auge zwischen Buch
und Bildschirm hin- und herpendeln möchte; aber wozu gibt es eigentlich
Scanner?
Vor allem aber hängt der Nutzen davon ab, wie gut man bisher
Schreibmaschine schreibt, wenn man diese altertümliche Formulierung noch
benutzen darf. Für jemanden, der routiniert und schnell »zehn Finger blind«
schreibt und Texte liefert, die nur geringster Korrekturen bedürfen, bleibt das
Arbeitsergebnis dann doch enttäuschend und der Korrekturaufwand, bei aller
Bewunderung für die Fähigkeiten eines Computers, ärgerlich hoch. Jedenfalls
ist nur schwer einzusehen, welchen Vorteil dieser flotte Tipper von dem doch
beträchtlichen Einübungs- und Erziehungsaufwand haben soll, den das
System mindestens in einer längeren Anfangsphase erfordert.
Sollte ich nicht lieber lernen, mit zehn Fingern blind zu schreiben?
Für jemanden aber, der nur skizzierte Textentwürfe fertigen will und sich auf
andere verlassen kann, die den Text in einem Sekretariat oder anderswo in
reine Form umsetzen, kann schon eine gewisse Entlastung dabei
herausspringen; freilich eben zulasten anderer, die sich allenfalls damit
trösten können, dass sie schon eine Vorform und eine ungefähre Länge des
endlichen Textes vor sich haben und nicht alles von Anfang an aufschreiben
müssen, vom Diktatblock oder von der Kassette. (Missverständnisse bei der
Übertragung sind freilich nie auszuschließen.)
Und ich selbst? Werde ich bald zu denen gehören, die das System enttäuscht
wieder von der Platte löschen? Für eine endgültige Antwort ist es noch zu
früh. Ich tippe zwar bisher ganz schön flott, muss dann aber doch sehr
sorgfältig eine ganze Menge Tippfehler korrigieren. An schlechten Tagen sind
es fast so viele, wie sie vom Spracherkennungssystem auch nach einigen
Wochen der Erziehung noch erzeugt werden. Ich bleibe aber noch dabei, bis
das System sich nicht mehr steigert; dann kann und muss ich mich endgültig
entscheiden. Ein Ökonom würde mir allerdings schon heute zu folgender
Abwägung raten: Was kostet mehr Zeit - dass du endlich lernst, mit zehn
Fingern blind, schnell und korrekt zu schreiben, oder die Erziehung des
»natürlich sprechenden Drachen« zu seiner hoffentlich erstaunlichen
Bestform?
Im Übrigen sei auch dies eingestanden: Es bleibt bei alledem ein paradoxes
Empfinden, weil der Drache einiges erkennt, was man ihm nie zugetraut hätte
- und zugleich so vieles verwechselt und verkennt, was man nun wirklich für
eine banale Normalität des Sprachgebrauchs gehalten hätte. Sprache ist
eben sehr viel komplizierter und kunstvoller, als wir so manches Mal denken.
Schön, dass wir sie nutzen dürfen - mündlich oder schriftlich, mit der Feder
oder mit dem Computer, mit den Fingern oder mit dem
Spracherkennungssystem. Am schönsten ist es natürlich rein gedanklich - das
macht keinerlei Lärm und keine Mühe beim Aufschreiben.
Die beiden verbreitetsten Spracherkennungsprogramme für den PC sind
Dragon Naturally Speaking von Dragon Software und ViaVoice von IBM. Beide
Programme gibt es jeweils in einer Standardversion (Dragon: 149 Mark, IBM:
94 Mark) sowie einer »professionellen« (Dragon: 299 Mark, IBM: 379 Mark).
Von ViaVoice gibt es auch eine Version für den Apple Macintosh (189 Mark).
|