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wuming schrieb am 11.3. 2003 um 22:49:43 Uhr über

Ökosteuer

[sfv-rundmail] 10.03.2003 Koenemanns Ökosteuerverriss - Eine Erwiderung von
Jürgen Grahl


Kürzlich äußerte sich Detlef Koenemann in einem Leitartikel in
»Sonne, Wind & Wärme« in bestürzend abfälliger Weise über eines
der zentralen Reformvorhaben der letzten (und der kommenden!)
Jahre: die ökologische Steuerreform. Da die darin zu lesenden
Vorurteile in der öffentlichen Diskussion häufig auftauchen, hier
eine eingehende Widerlegung:

(1) Der Kernpunkt der Argumentation lautete wörtlich:

> Generell liegt der Ökosteuer ein Konstruktionsfehler zugrunde:
> Diese Steuer soll Geld in die Kasse bringen, das anderswo
> dringend benötigt wird. Je mehr Geld, umso besser. Von daher
> kann der Staat eigentlich gar kein Interesse daran haben, dass
> weniger fossile Brennstoffe verheizt werden, denn dann fehlt ja
> das Geld in der Rentenkasse."

Hier liegt in mehrfacher Hinsicht eine gravierende
Fehleinschätzung vor:

(a) Selbst wenn man die »Ökosteuer« in erster Linie als
Schadstoffsteuer begreift, ist der Vorwurf nicht haltbar:
Minderverbrauch an fossiler Energie bedeutet auch eine Entlastung
der Volkswirtschaft bzw. des Staates von externen Kosten. Letztere
werden für den Strombereich in einer bekannten Studie von Hohmeyer
auf ca. 20 bis 30 Cent / kWh geschätzt, liegen also auf absehbare
Zeit deutlich höher als die Energiesteuer. (Die Stromsteuer
beträgt z.Zt. ca. 2 Cent / kWh.) Deshalb bedeutet eine
Verringerung des fossilen Energieverbrauchs für den Staat und die
Gesellschaft nicht nur sinkende Steuereinnahmen, sondern letztlich
eine größere Kostenentlastung an anderer Stelle - wenngleich diese
Ersparnisse sicherlich nicht leicht zu identifizieren sind, da sie
weniger offensichtlich zu Tage treten als die Einnahmeausfälle.

(b) Aber auch wenn man die Entlastung der Bürger von Ausgaben für
all die unliebsamen Folgen der konventionellen Energieversorgung
vernachlässigt und nur auf die unmittelbaren Einnahmeausfälle
durch die Energieeinsparung achtet, ist das Argument nicht
stichhaltig, denn diese können leicht durch eine entsprechende
Erhöhung der Steuersätze kompensiert werden - was aufgrund des
dann gesunkenen Verbrauchs unproblematisch ist: Wenn Autos nur
noch 3 Liter auf 100 km benötigen, dann darf der Liter auch das
Dreifache kosten, ohne den Autofahrer mehr zu belasten als heute.
Wesentlich hierbei ist es, dass der Energieverbrauch sich auch
durch eine hohe Energiebesteuerung niemals bis auf Null reduzieren
lässt, also stets eine solide Besteuerungsbasis erhalten bleibt.

(c) Würde man allerdings die Energiesteuer nur auf die
konventionellen Energien beschränken (im Sinne einer bloßen
Schadstoffsteuer), so würde nach der vollständigen Umstellung auf
erneuerbare Energien in der Tat kein Geld mehr in die Kasse
kommen. Aber die sog. »Ökosteuer« ist weit mehr als eine
Schadstoffsteuer: Ihre immense ökonomisch-soziale Bedeutung liegt
darin, den Produktionsfaktor Arbeit gegenüber dem Faktor Energie
wieder konkurrenzfähig zu machen, indem sie die Steuer- und
Abgabenlast langfristig zu einem erheblichen Teil von der Arbeit
zur Energie umschichtet. Hierin liegt einer der zentralen
Schlüssel, um Massenarbeitslosigkeit, Krise der sozialen
Sicherungssysteme, Staatsverschuldung und die
Wachstumsabhängigkeit unserer Wirtschaft zu überwinden.
(Ausführlich ist dies auf unserer Internetseite in mehreren
Artikeln unter http://www.sfv.de/lokal/mails/oekosteu.htm und
http://www.sfv.de/lokal/mails/wirtspol.htm nachzulesen.)

Angesichts dieser ökonomisch-sozialen Dimension der »ökologischen«
Steuerreform müssen auch die erneuerbaren Energien prinzipiell der
Energiebesteuerung unterliegen. Das (zweifellos vorrangige) Ziel
der Markteinführung rechtfertigt lediglich eine vorübergehende
Steuerbefreiung; dies ist etwa bei der Mineralölsteuerbefreiung
von Biotreibstoffen der Fall, nicht jedoch bei regenerativ
erzeugtem Strom, der angesichts der Mindestpreisregelungen des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) keinerlei zusätzlichen Vorteil
von einer Stromsteuerbefreiung hätte. (Genauer ist dies unter
http://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/stromste.htm ausgeführt.) Daher
sollten wir die Energiesteuer auch nicht in erster Linie als
Schadstoffsteuer, sondern ebensosehr als
»Arbeitsentlastungssteuer« ansehen bzw. zwischen Schadstoffsteuern
und Energiesteuern deutlicher unterscheiden.

Übrigens sprechen sogar ökologische Erwägungen für die Verteuerung
ALLER Energien - auch der Erneuerbaren: Umweltbelastung entsteht
ja nicht nur bei der Erzeugung von Energie, sondern auch dadurch,
dass ihr Verbrauch vielfach mit gigantischer
Ressourcenverschwendung einhergeht bzw. diese erst ermöglicht -
und zwar unabhängig von der Art der Energieerzeugung!
Insbesondere ist die Erzeugung von Grundstoffen für die
industrielle Produktion, wie Aluminium, Kupfer, Zement usw. mit
einem fast unvorstellbaren Energieaufwand verbunden. Der Preis
dieser Grundstoffe ist deshalb eng an den Energiepreis gekoppelt:
Solange Energie billig ist, sind auch die Grundstoffe billig;
die Menschheit verschwendet die Rohstoffe und türmt immer höhere
Müllberge auf. Billige Grundstoffe führen dazu, dass sich die
arbeitsplatzintensive Reparatur von Geräten mit auch nur geringen
Defekten gegenüber der vollautomatisierten, arbeitsplatzarmen
Produktion neuer Geräte kaum lohnt - womit wir wieder beim
Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit angelangt sind!

(2) Herr Koenemann versucht sodann, seine These vom
Konstruktionsfehler der ökologischen Steuerreform durch folgenden
Vergleich zu untermauern:

> Ein ähnliches Dilemma verbirgt sich hinter der Tabaksteuer: Je
> mehr gequalmt wird, desto besser für den Staatshaushalt.

Auch das ist nicht richtig: Die Einnahmen aus der Tabaksteuer
(12,1 Milliarden Euro im Jahr 2001) decken nicht einmal annähernd
die durch das Rauchen verursachten volkswirtschaftlichen
Folgekosten, die auf 20 bis 40 Milliarden Euro jährlich geschätzt
werden. Es handelt sich hier um einen weiteren jener heute so
populären anti-etatistischen Reflexe, die die Legitimation
jedweder Steuer mit dem Vorwurf des »Abkassierens« infrage stellen
wollen, die aber in aller Regel einer sachlichen Überprüfung nicht
standhalten - ähnlich übrigens wie etwa die verbreitete
Behauptung, die Kommunen seien zwecks Einnahmeerzielung auf Park-
und Temposünder angewiesen, welche außer acht lässt, dass die
Verkehrsüberwachung in der Regel mehr kostet als sie an Geldern
einbringt.

(3) Weiter heißt es:

> Ursprünglich sollte die Ökosteuer den Verbrauch fossiler
> Brennstoffe verteuern, um die Nutzung erneuerbarer Energien
> verbilligen zu können. Von diesem Pfad ist die rotgrüne
> Bundesregierung aber schon sehr früh abgewichen. Das 1999
> definierte Prinzip lautete: Den Umweltverbrauch verteuern und
> gleichzeitig die Arbeitskosten verringern, indem man die
> Lohnnebenkosten senkt. [...] Für die erneuerbaren Energien hat
> die Ökosteuer praktisch nichts gebracht.

(a) Diese Darstellung ist insbesondere in historischer Hinsicht
nicht zutreffend. Daher zunächst einige diesbezügliche
Anmerkungen:

Der ökologischen Steuerreform lag ursprünglich das Prinzip der
Internalisierung externer Kosten zugrunde, das bereits dem
britischen Ökonomen Arthur C. Pigou (1920) zugeschrieben wird. (Er
war von der Beobachtung ausgegangen, dass durch Funkenflug an
Bahnstrecken immer wieder Brände ausbrechen, deren Folgekosten
nicht von den Bahngesellschaften getragen werden.) Intention der
Ökosteuer im Sinne einer Pigou-Steuer ist also zwar in der Tat die
Verteuerung der konventionellen - nicht aber eine dadurch
finanzierte Verbilligung der regenerativen Energien.

Die modernen Konzepte zur ökologischen Steuerreform, wie sie in
Deutschland u.a. von H.-C. Binswanger geprägt worden waren, haben
schon sehr früh und weit vor 1998 eine aufkommensneutrale
Verwendung der Steuereinnahmen zur Absenkung der Lohnnebenkosten
und / oder von direkten oder indirekten Steuern und damit zur
langfristigen Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme
vorgesehen. Bereits in den 1980er Jahren wurde das Prinzip der
Aufkommensneutralität von der ÖDP, später von den Grünen
vertreten, und es lag auch dem von Greenpeace propagierten
DIW-Modell von 1994, den Konzepten des Fördervereins Ökologische
Steuerreform, den Vorschlägen des BUND usw. zugrunde; es war also
keinesfalls eine - aus der Not leerer Kassen geborene - Erfindung
von Rot-Grün aus dem Jahr 1998.

(b) Wie bereits unter (1) dargelegt, liegt die ökologische
Bedeutung der ökologischen Steuerreform nicht primär darin, dass
sie die konventionellen Energien belastet und die erneuerbaren
entlastet; in der Tat ist sie angesichts ihrer langfristigen, sich
erst allmählich im Laufe von Jahren aufbauenden Wirkung für die
HEUTE notwendige rasche Markteinführung der Erneuerbaren wenig
geeignet. Hierfür sind andere, bessere, vor allem schneller
wirksame Instrumente zuständig, allen voran die kostendeckenden
Einspeisevergütungen, wie sie im EEG realisiert sind; dieses
leistet genau das, wovon Rot-Grün nach Meinung des Leitartikels
abgerückt ist: durch geringfügige Energieverteuerung zielgerichtet
die Erneuerbaren zu fördern. Es gibt sicherlich mehrere Gründe,
sich mit dem Erreichten nicht zufrieden zu geben - die
unzureichende Solarstromvergütung ist ein solcher. Wir sollten uns
daher für die Verbesserung des EEG einsetzen statt völlig unnötig
auf die ökologische Steuerreform einzuprügeln.

(c) Es ist aber nicht einmal zutreffend, dass die rot-grüne
Ökosteuer für die erneuerbaren Energien "praktisch nichts
gebracht" hätte:

Zum einen bedeutet die Freistellung der nichtelektrischen
erneuerbaren Energieformen von der Ökosteuer einen deutlichen
Wettbewerbsvorteil gegenüber den fossilen Energien.

Zum anderen wird das Marktanreizprogramm für die erneuerbaren
Energien (mit einem jährlichen Volumen von derzeit über 200
Millionen Euro) aus denjenigen Stromsteuereinnahmen finanziert,
die aus regenerativ erzeugtem Strom stammen. Der oft zu hörende
Einwand, diese »Rückgabe« an die Erneuerbaren kompensiere gerade
einmal die von ihnen vorher gezahlte Steuer, ist irreführend: Die
Stromsteuer wird ja nicht von den Anlagenbetreibern gezahlt, die
Förderung der regenerativen Stromerzeugung mittels EEG ist also
exakt dieselbe, ob der so erzeugte Strom nun der Stromsteuer
unterliegt oder nicht; das Argument, dass eine
Stromsteuerbefreiung eine Verbesserung der Wettbewerbsposition
bedeuten würde, läuft ins Leere, da Regenerativstrom dank EEG sich
gar nicht dem Wettbewerb zu stellen braucht.

(4) Hinsichtlich der Arbeitsplatzeffekte der ökologischen
Steuerreform ist zu lesen:

> Wieviele Arbeitsplätze dadurch entstanden sind, lässt sich kaum
> ermitteln. Viele können es nicht gewesen sein, denn die
> Arbeitslosigkeit steigt bereits wieder an.

Die Schwierigkeit, solche Effekte zu quantifizieren, ist
unbestreitbar. Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es
sehr wohl diesbezügliche Untersuchungen gibt: So kam das
Umweltbundesamt bereits 2001 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass
allein die bisherigen rot-grünen Mineralölsteuererhöhungen (der
unpopulärste Teil der Reform also!) und die damit finanzierten
Beitragssenkungen zu per saldo 60.000 neuen Arbeitsplätzen geführt
haben. (Nachzulesen ist dies unter
http://www.umweltbundesamt.de/uba-info-presse/presse-informationen/pd0102.htm.)

Im Anstieg der Arbeitslosigkeit einen Beleg für die
Wirkungslosigkeit der ökologischen Steuerreform zu sehen, ist
ungerechtfertigt: Die Arbeitslosigkeit hängt selbstverständlich von
vielen Faktoren ab, die sich gegenseitig addieren oder auch
neutralisieren können. Ohne die bisherigen Stufen der ökologischen
Steuerreform hätten wir nach der zitierten Studie noch mehr
Arbeitslose. Vor allem aber waren die bisherigen Stufen allzu
zaghaft und konnten daher ihre segensreiche Wirkung allenfalls
ansatzweise entfalten.

(5) Schließlich fällt der Leitartikel das scheinbar ernüchternde
Urteil:

> Und spätestens seitdem die Bundesregierung die Erhöhung der
> Beiträge zur Rentenversicherung beschlossen hat, ist das
> Scheitern der Ökosteuer offensichtlich.

Doch auch dieses Argument ist unlogisch: Man kann dem Instrument
der ökologischen Steuerreform nicht die unzureichenden Wirkungen
vorwerfen, die durch seine zu zögerliche Anwendung entstanden
sind: Hätte man sich zu entschiedeneren (und über 2003
hinausgehenden) Ökosteuerschritten durchringen können, so hätte
man die Rentenbeiträge weiter absenken können. Zur Erinnerung:
Ohne die Einnahmen aus der Ökosteuer lägen die Rentenbeiträge noch
höher, bei etwa 22%! Gerade der demographisch bedingte Trend zu
steigenden Beitragssätzen zeigt, wie wichtig es ist, die sozialen
Sicherungssysteme wieder auf eine solide Grundlage zu stellen.
Genau dies leistet die ökologische Steuerreform, indem sie den
Produktionsfaktor Energie gemäß seiner hohen
Produktionsmächtigkeit zur Finanzierung heranzieht und dadurch den
Faktor Arbeit entlastet. Daher ist die ökologische Steuerreform im
Interesse der langfristigen Stabilisierung der sozialen
Sicherungssysteme unverzichtbar!


Jürgen Grahl






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