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amenokalberlin03040504516 schrieb am 10.7. 2009 um 17:31:08 Uhr über

DominikBüchele

»Die Fähre näherte sich langsam der Insel. Wir konnten schon die Lichter der Stadt sehen. Dicht aneinander gereiht ergaben sie eine Linie, die sich am Hafen entlangzog. Ich stand auf dem Deck des Schiffes, um mich herum war alles schwarz. Die Nacht umhüllte sogar die Sterne. ... Wir, ich und meine Freunde, standen auf dem Deck, wir blickten auf die griechische Insel, voller Vorfreude auf zwei Wochen Urlaub. ... Wir hatten unsere Konten geplündert, unsere Eltern angepumpt und unsere Sorgen und Probleme zu Hause gelassen, um allein diesen besonderen Sommer zu genießen! ... Wir verbrachten die Nachmittage am Strand, die Abende in den Tavernen und die Nächte in den Bars oder in irgendeinem Club auf der Insel. Die Zeit entfloh schnell, wie immer, wenn sie schön ist, und einem die erlebten Momente füllen. ... Ich verstand schon sehr früh, dass nicht alles wie in einem schönen Bilderbuch ist: Der erste Schock, den ich aber erst Jahre später als Schock begriff, war die Trennung meiner Eltern, als ich fünf war. Eine Erfahrung, die in meiner Generation nicht mehr selten ist. Plötzlich lebte ich nicht mehr in einer Familie, ich musste entscheiden, bei wem ich leben wollte. Ich entschied mich für meine Mutter, und wir zogen weg. ... Unser Rhythmus ist rasanter geworden. Der Drang, schnell erwachsen zu werden, ist enorm. Und viel passiert heute früher: Immer Jüngere haben Sex miteinander, die erste Zigarette rauchen viele in der Grundschule, der erste Schluck Alkohol und/oder der erste Joint wird uns von Gleichaltrigen in den Partykellern der Eltern in die Hand gedrückt. Ich war da zwölf. Unser Leben dreht sich schneller und schneller um Sex, Klamotten, Partys und Drogen. Wir wollen, noch jung, möglichst schon alles über das Leben wissen. Worte, wie «Milchbubi» oder «putzig», weisen uns den Weg in das schnell erwachsen werden müssen. ... Die Erwachsenen konfrontieren uns hart und gnadenlos mit ihrer Welt. Und immer mehr Jugendliche wollen dieses schnelllebige Leben, wollen schnell älter werden als sie sind. Zunächst einmal wirkt das erwachsen werden faszinierend. Man darf mehr, man fühlt sich reifer, schaut auf die Jüngeren herab und merkt erst spät, dass dieses Dasein keineswegs nur besser ist als die Kindheit. Die ersten Probleme, Ängste und Verluste kommen auf einen zu. Die Zeit des Behütetwerdens wird immer kürzer. Die Sprunghaftigkeit, mit der meine Gedanken wechseln, immer anstrengender. ... Einerseits versuchen wir total als Erwachsene zu erscheinen, andererseits wollen viele von uns ihre Jugend möglichst lang hinauszögern. ... Die Leute standen herum, hielten ihr Bier in der Hand und quatschten nur über Belangloses und Unwichtiges, was typisch für solche Feten ist. ... Ich wurde müder und müder und wollte schon fast gehen, als ich mit einem Mädchen ins Gespräch kam. Sie war achtzehn. Wir teilten uns den Aschenbecher und redeten dann darüber, woher wir Emilio kannten. Dann erzählte sie mir, dass sie eine Ausbildung zur Inneneinrichterin absolviere und hoffe, bald auf eigenen Füßen zu stehen, weil ihr Vater nicht viel Geld habe und sie nicht ständig unterstützen könne. Ich fragte, was mit ihrer Mutter sei. «Sie ist gestorben, als ich elf war», antwortete sie und richtete ihren Blick nach unten. Sie hatte, vermutete ich, Angst vor meiner Reaktion. Viele zeigen bei ihrer Antwort ein Mitleid, das sie doch gar nicht empfinden können. Auch möchte man ja gar keines, nicht in so einer Situation, nicht auf einer Party. «Meine Mutter starb, als ich sieben war», sagte ich. Sie hob den Blick vom Boden, sah mich an und sagte lächelnd: «Du bist der Erste, der mir das daraufhin sagtSie war froh, dass sie kein «Das tut mir aber leidvon einem in Wahrheit ganz gleichgültig reagierenden Menschen hatte hören müssen. ... Mit den meisten meiner Freunde kann ich nicht darüber sprechen. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. ... Viele Gleichaltrige wollen mit so was nicht konfrontiert werden. Vorrang hat die belanglose Unterhaltung, das inhaltsleere Geschwätz. ... Es war an einem Sonntagnachmittag, wir saßen in einem Cafe am Prenzlauer Berg. Viele Leute waren um uns herum, ein Stimmengewirr, ein buntes Bild verschiedenster Menschen. Wie immer tranken wir Milchkaffee - oder war es Latte machiato? ... Wir haben ein Problem mit echten Gefühlen. Oft versuchen wir, sie zu verdrängen, weil wir mit ihnen nicht klarkommen, oder, wir glauben, es interessiere sich keiner dafür. ... Nach außen hin wollen wir cool und stark wirken. Manchmal denke ich, dass das ehrliche Gefühl, etwa Schmerz oder gar Verzweiflung, in das Fernsehen abgeschoben wird. Wenn wir in einer Telenova jemand weinen sehen, sind wir gerührt und zeigen Verständnis - bei uns selbst würden wir Tränen nur als Schwäche ansehen. ... Ich bin froh, wenn ich etwas von den Schwierigkeiten und Problemen anderer Menschen höre, sehe, lese, weil dies eine Möglichkeit zur Identifikation ist. Mit schönen Models, reichen und erfolgreichen Popstars kann ich mich nicht auf Dauer eins fühlen. Das ist bloß eine Scheinwelt, die aber leider vielen realer erscheint als alles andere. Die bunten, schönen Bilder lassen uns glauben, dass da keiner Probleme hat, dass es diesen anderen besser geht als einem selbst. ... Leo sagte: «Wir werden alle noch an unserer Coolness ersticken.» ... Das Merkwürdige ist, je älter ich werde, desto langsamer verliebe ich mich. ... Wir haben einen viel tabuloseren Umgang mit Sex als die Generationen vor uns. Viele haben auch Sex mit dem eigenen Geschlecht, mehre Affären gleichzeitig und reden miteinander darüber, welche Praktiken sie noch ausprobieren können. ... Gut aussehen, das ist ein enormer Druck. ... Was wir einander auf Partys erzählen, das ist eine Ansammlung von Klischees aus schlechten Heile-Welt-Filmen. aber es ist immer nur eine heile Welt, die man sich ausmalt, wenn man anfängt zu phantasieren, wie die eigene Zukunft ausehen könnte. Lebensplanung nennen wir so etwas. Wie viele von uns werden durch Parteien, Kirchen oder andere Institutionen zum Denken oder gar Mitdenken angeregt? Wie viel Wert wird wirklich auf unsere Meinung gelegt? ... Wer tritt für etwas ein, mit dem er über die Grenzen des schon Vorhandenen hinausgeht? ... Meine Generation erscheint mir als sehr unpolitisch. Wir treiben uns lieber in den Subkulturen herum; machen Partys, hören Musik, treffen viele Leute. ... Sogar dort, wo das System abgelehnt wird, akzeptiert man im Endeffekt doch, dass man ein Teil, nur ein Teil des Ganzen ist. ... Dabei suchen wir uns ständig neue Rhythmusgeber, neue Helden. Manche Bands sind schon nach dem zweiten Album veraltet. ... Vielleicht könnte ich sagen, ich bin bi. Ich mag aber diese Schubladen nicht. Überhaupt nicht. ... In meiner früheren Klasse war ein Junge, der nicht so viel Geld hatte und auch nicht auf Markenklamotten achtete, viele von uns kamen damit nicht zurecht, weil er nicht in die Masse der Uniformierten passte. Die trendigen Marken sollten ja zeigen: Ich gehöre dazu. ich bin einer von euch. Dieser Junge hatte keine Freundin und keine Freunde in unserer Klasse. ... Es ist so anstrengend dazu zu gehören, dass keiner mehr fragt, zu was dazu gehören? ... «

Ric Graf: »icool - Wir sind so jung, so falsch, so umgetrieben«; Rowohlt Taschenbuch Verlag, Juni 2006


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