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wuming schrieb am 22.8. 2010 um 21:33:18 Uhr über

Schlingensief

Sein Leben war, was er gemacht hat
Der Mann mit den Haaren: Zum Tod von Christoph Schlingensief, dem Theatermacher, der auf fast allen Feldern der Kunst zu Hause war.


Ein lieber Mensch, in seinem Hass bedingungslos: Christoph Schlingensief 2009 auf der Berlinale.
Foto: ddp Ein lieber Mensch, in seinem Hass bedingungslos: Christoph Schlingensief 2009 auf der Berlinale.
Foto: ddp
Am Ende stand doch die Krankheit, der Krebs. Nun hat sie gesiegt. Christoph Schlingensief ist tot. Aber ein Stückchen, das niemand mehr ungeschehen machen kann, so wie niemand ungeschehen machen kann, wer und was Christoph Schlingensief gewesen ist, ein kleines Stückchen hat er diesen Krebs doch besiegt. Indem er geblieben ist, wie er war, indem er ihn öffentlich gemacht hat, mit ihm gelebt hat, uns an seiner Krankheit hat teilnehmen lassen und indem er seine letzten Inszenierungen aus dieser Krankheit heraus gemacht hat. Diese Inszenierungen warenwenngleich auch lustig, grell und blasphemisch – von einer Inbrunst, die ganz ungeniert gezeigt werden konnte. Irgendwie hat Schlingensief den verfluchten Krebs, diese schreckliche ungreifbare Krankheit, auch benutzt, er hat sich in ihm eingenistet wie der sich in ihm. Aber am Ende musste er natürlich doch sterben.

Es ist jetzt nicht die Stunde der großen Interpretation, der Sachlichkeit, der Einordnung und der abschließenden Gerechtigkeit. Christoph Schlingensiefs weit gefächertes Oeuvre hat seine Analysen gefunden und wird weitere finden, wie es seine Doktoranden und vielleicht auch seine Nachfolger finden wird. Wir trauern um einen Mann, der auf fast allen Feldern der Kunst zu Hause war, dem Theater, dem Film, der Oper, der Bildenden Kunst, der Aktion. Am Ende hat er sogar noch ein schönes, ehrliches, berührendes und einfaches Buch geschrieben. Dass Christoph Schlingensief letztendlich vor allem anderen Aktionskünstler und Theatermacher war, liegt wohl nur daran, dass sich auf der Bühne die Gattungen wie nirgendwo sonst vereinigen lassen. Es gibt eben doch ein Gesamtkunstwerk. Und seit langem schon hatte er die Medien, die Öffentlichkeit zu einem neuen Feld der Kunst gemacht, auch sie hat er benutzt, indem er sie zu seiner Bühne machte, indem er die Medien, die auf Skandale gierten, die er ihnen eine Zeit lang freigiebig versprach, in seinem Sinn umfunktionierte.

Er liebte den Erfolg

Christoph Schlingensief hat sich mit einer großäugigen, naiven Gläubigkeit durch den Körper der Kultur hindurchgearbeitet. Er glaubte an die Kunst wie sonst keiner, er glaubte an ihre Kraft, an ihr verbindendes, menschenfreundliches Potential.

Es ist, wie immer in Momenten der Trauer, die Stunde der Erinnerung. Erinnerungen wie er, schon krank, an andere Kranke Nachrichten sandte, in denen er, man muss das mit genau diesem Wort sagen, Trost spendete, wo er doch selbst schon so viel Trost bedurfte. Christoph Schlingensief war einer der freigiebigsten Menschen, die es gibt. Erinnerungen an seine Wuschelhaare, die ihm, zur Überraschung der Ärzte, anfangs auch nach der Chemotherapie nicht ausfielen. Als ob die Naturoder die Chemie, wer weiß schon, wer in einer Chemotherapie regierterkannt hätte, dass sie ihm diese Haare keineswegs nehmen kann, ohne ihn sich selbst zu nehmen. Erinnerungen, wie er in seinen Inszenierungen auf die Bühne fegte. Erinnerungen an sein unglaublich freundliches Lächeln. Erinnerungen an die allererste Begegnung, wo er auf rührende Weise irgendwelche Theorien ausbreitete, weil er meinte, dem Herrn vom Feuilleton irgendetwas Kluges auftischen zu müssen. Erinnerungen an eine Wanderung der „Church of Fear“, wo Schlingensief Menschen, die ihm auf den Wegen entgegenkamen, zu ihrem Recht auf Angst bekehrte.

Christoph Schlingensief war ein rührender, zu Herzen gehender, ein sehr lieber Mensch. Er tat und empfand die Dinge mit einer Inbrunst, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Er setzte sich am Ende in einer Ernsthaftigkeit mit Gott und Glaubensfragen auseinander, die er wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten hätte. Er glaubte bedingungslos an Wagner und die Erlösung durch denParsifal“. Er war auch in seinem Hass bedingsungslos, vor allem auf die Politiker, die dem Menschen kaltschnäuzig ihr Leben vorenthielten, Möllemann und Kohl waren seine Lieblingshassfiguren, die in ihrer Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit für ihn etwas Unerträgliches hatten. Er liebte den Erfolg, er brauchte es, gemocht zu werden, er konnte sich bis zum Schluss an einer Formulierung in einer Kritik stundenlang aufhalten, wenn er das Gefühl hatte, missverstanden worden zu sein. Meist trog ihn sein Gefühl nicht.

Erinnerungen an einen Menschen, der mit der Öffentlichkeit verwachsen war wie kein anderer. Was Christoph Schlingensief alles mitbekam, ist unvergleichlich. Niemandmit einer Ausnahmekonnte es an intelligenter Reaktionsgeschwindigkeit und dem schnellen Erfassen einer Situation mit ihm aufnehmen. Das ist das eine, was ihn mit Harald Schmidt verbindet. Schlingensief konnte auf der Bühne der Medien tanzen wie sonst nur noch Harald Schmidt in seinen Sternstunden.

Weinen wie ein kleines Kind

Erinnerungen wie er, nach vielen anstrengenden Stunden Fußmarsch, sofort in seinem Kleinbus saß, Emails checkte und Botschaften in die Welt schickte. Christoph Schlingensief war wirklich vernetzt. Erinnerungen an einen Mann, der einen Tag vor der Premiere desParsifalweinte wie ein kleines Kind, weil er in Bayreuth so grässlich missverstanden und missachtet worden war. Weil er wirklich dachte, dass der Tag desParsifalder Tag seines Endes sein könnte. Erinnerungen an einen Mann, der seine vielgestaltige Theatertruppe, sein Schaustellervolk wirklich liebte, als ob es sein eigener Körper wäre. Er liebte seine Leute, die Behinderten, die Videokünstler, die Denker, die Kranken, die Bildner, die Spieler und Schausteller. Er hatte eine Familie versammelt, der er eine Seele und eine Idee gab.

Erinnerungen an das größte Herz, das im Kunstbetrieb zu finden war. Schlingensief hatte ein ausgeprägtes soziales Gewissen, das machte ihn zum Nachfolger von Beuys, die Idee der sozialen Plastik hat ihn nie losgelassen. Er nahm diese Idee nicht nur ernst, er glaubte wirklich an sie und ihre weltverbessernde Kraft. Er glaubte, dass man die Welt verändern kann, dass man sie sogar verändern muss.

Dann natürlich Erinnerungen an die Filme, an die Stücke, die Auftritte und Aktionen. An die Filmskandale, „100 Jahre Hitler“, der Film über die letzten Stunden im Führerbunker, gegen den das, was später das deutsche Hochglanzkino imUntergangdaraus gemacht hat, wie ein müder Abklatsch wirkt. Der letzte deutsche Heimatfilmer ist er für dieses grausige Panoptikum schön boshaft genannt worden. Damals ging es Schlingensief um das Verdrängte der deutschen Geschichte, die Lebenslügen des gesäuberten Landes. Er reagierte darauf mit der gleichen schroffen Direktheit und Deutlichkeit wie Fassbinder, ein anderes seiner großen Vorbilder.

Deswegen sehen auch manche der Schlingensief-Filme wie Gruselfilme aus, er war der Exorzist, der deutsche Gespenster durch eine Gruselhomöopathie in höchsten Dosen austrieb, wie im Wiedervereinigungsfilm „Das deutsche Kettensägenmassaker“. Als eine westdeutsche Metzgerfamilie hört, dass die Mauer offen ist, verfällt sie in einen Blutrausch. Das war boshaft, frei, das war Punk. „Die 120 Tage von Bottrophieß eine böse Parodie auf die deutsche Filmszenerie von 1997. Genauso aber gehört zu diesem Werk, dass Schlingensief seinen ersten Film schon 1968 gedreht hatte, da war er neun Jahre alt, so sah er es. Sein Leben war, was er gemacht hat.

Erst in den Neunzigern hat er an der Berliner Volksbühne mit dem Theater angefangen. Es verschluckte sozusagen die Filme, fast in jeder Aufführung kamen eigens gedrehte Szenen vor. „100 Jahre CDUSpiel ohne Grenzenhieß die erste Aufführung, da deutete sich schon das wichtigste Prinzip von Schlingensiefs Theaterarbeit an: Nimm ein bekanntes, populäres Format und setzte dort neue, provokante Inhalte hinein. Dann hatte Schlingensief seinen Ruf als Provokateur endgültig weg, den er bis zum Schluss nicht mehr los wurde. Ein gewohnheitsmäßiger Provokateur: Das machte ihn weit harmloser, als er war. Verharmlosung, das war die Rache der Medien, die in Schlingensief ihren Meister gefunden hatten.

Der große Durchbruch war die Containeraktion 2000 in Wien, als sich ganz Österreich wochenlang mit dieser Aktion auf dem Opernplatz beschäftigte. Da stand ein Container, in dem Asylbewerber lebten. Die Zuschauer durften wählen, welcher der Bewerber den Container verlässt. Der wurde dann abgeschoben. „Bitte liebt Österreichhieß die Aktiondas Land war damals geächtet, weil die FPÖ mitregierte. Schlingensief zeigte so die Ausländerpolitik mit einer Deutlichkeit, die Österreich nicht ertragen konnte. Außerdem nutzte er das Big-Brother Spektakel, mit dem RTL damals die deutsche Öffentlichkeit elektrisierte. Aus drei Bereichen, nationales Selbstmitleid, rassistische Politik und exhibitionistische TV-Show, wurde mit traumwandlerischer Sicherheit ein öffentlicher Sprengsatz, auf den Österreich denn auch mit Hingabe reagierte.

Hamlet mit Neonazis

In Zürich zeigte er einen Hamlet, sein einziger Klassiker, in dem aussteigewillige Neonazis die Schauspielertruppe darstellten. Das Format, das er verwendete, kam diesmal nicht aus dem Fernsehen, sondern dem Theater: Gustaf Gründgens Hamlet-Aufführung von 1963. Hier, im Hamlet, deutete sich etwas an, das dann in Bayreuth, in seinemParsifal“ aufblühte. Schlingensief stellte eine finstere, überquellende Alptraumwelt auf die Bühne, eine Mischung aus Todes- und Erlösungstheater, visionär, bedrückend und befreiend zugleich. Mit Wagners Musik war er sich dabei in der maximalen Emotionalität einig. Damit hatte er zu seiner vollkommen eigenständigen Form gefunden, eine Form, die er in einer seiner letzten Produktionen, „Mea Culpa“ am Wiener Burgtheater, zu vollkommener Reife gebracht hat.

Ein anderer Strang seiner Arbeit waren die Bewegungen, die er initiierte. Da war die Arbeitslosenpartei „Chance 2000“, die Helmut Kohls Wolfgangsee durch Millionen Badende zum Überlaufen bringen wollte. Da war dieKirche der Angstnach den Anschlägen vom 11. September, mit Pfahlsitzern und der Prozession „Schreitender Leib“. Diese neue Kirche berief sich auf die Angst als letztem authentischen Gefühl: Wenigstens die Angst kann man uns nicht nehmen, war ihr Credo, wenigstens in der Angst sind wir wir selbst. Hier begann ein Weg, der Christoph Schlingensief immer mehr zu sich selbst führte, bis zur Aufführung derKirche der Angstbei der Ruhrtriennale vor zwei Jahren, wo er als Prediger, als Kind, als Kranker da war.

Ja, Schlingensief war von sich selbst besessen, er war manisch. Aber er mochte so manisch und selbstbesessen sein, wie er wollte, am Ende ging es ihm doch vor allem um die Mitmenschen. In seiner selbst erfühlten und ausgedeuteten Religiosität, seiner Bereitschaft, es mit der ganzen Welt aufzunehmen, für andere mitzuempfinden, hatte er Qualitäten, die über das Gebiet der Kunst hinaus gehen und nur durch religiöse Vorbilder beschrieben werden können. Er hasste falsche Töne und falsche Harmonie, er hasste Verlogenheit und Gesäusel. Da wollte er die Welt verändern. Und das war schön.

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“, hat Schlingensief sein Buch mit Gedanken und Gefühlen aus der Zeit der beginnenden Krankheit genannt. „Dann hänge ich vielleicht irgendwo zwischen den Sternen rum und kann nichts tun, würde so gern helfen oder etwas anderes machen, aber kann nichts machen.“ Am Samstag, als er starb, sollte eigentlich in Mülheim, ganz in der Nähe von Oberhausen, wo er 1960 geboren worden war, seine ProduktionS.M.A.S.H. In Hilfe ersticken“ herauskommen. Auch für den deutschen Pavillon in Venedig wird er nun nichts mehr machen. Das Operndorf in Burkina Faso, an einer Stelle, von der er spürte, dass sie die Energie hatte, die auch in ihm steckte, ist sein letztes Werk. Er hat es gemacht, als er wusste, dass er sterben würde. Von uns wird es abhängen, ob es weiterlebt.



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